Rückblick: Das Leben, das Universum und der ganze Rest

„Außerdem bin ich tausendmal intelligenter als Du!“
„Ach ja?“
„Ja – sag eine Zahl zwischen eins und zehn.“
„Sieben.“
„Falsch – siehst Du?“
(Marvin der Androide diskutiert mit einer Matratze in Douglas Adams‘ „Das Leben, das Universum und der ganze Rest“)

Unlängst hatte ich Gelegenheit, meine Gedanken frei zu machen und etwas über die im Titel dieses Eintrags genannten Themen nachzudenken. Wie das? Nun, ich hatte eine Woche Urlaub. Eigentlich hatte ich konkrete Pläne für diese Woche, ich wollte meine französische Brieffreundin in Orléans besuchen. Leider wurde nichts daraus. Wie ich inzwischen erfahren habe, liegt in ihrem Leben, vor allem beruflich, einiges im Argen. Man ist geneigt, hinzuzufügen: So wie überall. Da sie nicht weiß, ob sie nächstes Jahr noch eine Arbeitsstelle hat, kann sie es sich im Moment nicht erlauben, Urlaub zu nehmen. Traurig, denn es erinnert mich ein wenig an Erpressung: arbeite fleißig, nimm ja keinen Urlaub und vielleicht hast Du nächstes Jahr Deine Arbeit noch. Die Betonung liegt auf „vielleicht“, denn garantieren kann das niemand. Respektive, es will auch niemand garantieren. So hält man sich das arbeitende Volk gefügig.

Nun muss ich meinen Urlaub sehr weit im Voraus planen und einreichen, deswegen war es nicht mehr möglich, irgendwas umzustellen. Aber es bot sich mir eine Alternative. Schon lange wollte ich mir die Gemeinschaft auf Schloss Glarisegg bei Steckborn in der Schweiz (am Schweizer Ufer des Untersees, einem Teil des Bodensees) ansehen. Nun, „ansehen“ ist nicht ganz das richtige Wort, denn „angesehen“ habe ich sie mir schon, ich war schon mehrmals dort, tageweise. Nein, ich wollte etwas mehr mitbekommen von der besonderen Atmosphäre dort und als so genannter „Gasthelfer“ mitarbeiten. Glücklicherweise war es möglich, mich kurzfristig dort anzumelden, später stellte ich fest, dass das mithin daran lag, dass außer mir in der Woche, die ich mir „ausgesucht“ hatte, niemand sonst als Gasthelfer da war. „Gasthelfer“ bedeutet, einen verminderten Beitrag für Übernachtung und Verpflegung zu zahlen und dafür bei den Arbeiten, die so täglich anfallen, mitzuhelfen. Das gibt einem die Gelegenheit, die Leute, die auf dem Schloss leben, etwas genauer kennenzulernen.

Aber ich gebe offen zu, dass ich auch Bedenken hatte. Die Bedenken resultierten bei mir aus einem Gefühl heraus, für diese Gemeinschaft nichts „Nützliches“ tun zu können. Dummerweise hatte ich nämlich gleich zwei „Erfolgsgeschichten“ miterleben dürfen, die mich zweifeln ließen. Die eine war meine Freundin, die bereits letztes Jahr als Gasthelfer dort war und durch ihr großes Talent im Bezug auf Gestaltung Eindruck machte, so dass sie schließlich das Programmheft für die Veranstaltungen auf Schloss Glarisegg gestalten durfte (neben einigen anderen Dingen). Sie hatte einen Freund ebenfalls als Gasthelfer nach Glarisegg gebracht, der sich auf Informatik verstand und einige computertechnische Dinge (unter anderem einen Podcast) organisiert hat. Nützliche Dinge eben.

So stand ich nun da und fragte mich: „Und was kannst Du für diese Gemeinschaft tun?“ Und leise hörte ich diese Stimme, die zischte: „Nichts. Gar nichts.“ Nun gut, eigentlich geht man als Gasthelfer dorthin, um bei täglichen Arbeiten wie in der Küche oder beim Abspülen zu helfen, nicht um Programmhefte oder Internetseiten zu gestalten. Trotzdem warf mich das in tiefe Zweifel und neben der einen Stimme, die ich eben schon erwähnte, hörte ich noch eine zweite, die Christian Tramitz gehörte und im vorwurfsvollen Ton ein Zitat aus „Der Schuh des Manitu“ wiedergab: „WAS kannst Du eigentlich?“

Ich kann Menschen retten und Romane schreiben.

Ersteres, so schätzte ich, wird man dort nicht so häufig brauchen, mal ganz davon abgesehen, dass sowieso Mediziner anwesend sind. Letzteres würde ich nicht richtig einbringen können. Selbst wenn der Fall einträte, dass man mich darum bitten würde, einen Roman oder dergleichen über Glarisegg zu schreiben, hätte ich damit große Schwierigkeiten. Ich kann keine Auftragsarbeiten schreiben. Das war schon in der Schule so, schreib einen Aufsatz zu dem und dem Thema… furchtbar (und dann auch noch für eine ganz bestimmte Zielgruppe, die nur aus einer Person bestand – dem Lehrer)! Deswegen hatte ich auch verschiedene Diskussionen mit meiner Freundin, die nicht verstand, welches Problem ich hatte. Kein Wunder, so richtig verstand ich es ja selbst nicht. Vielleicht habe ich die Befürchtung, die Latte könnte für mich von vornherein hoch gelegt werden und ich sah keine Möglichkeit, etwas „gleichwertiges“ leisten zu können. In einem Gespräch sagte ich ihr, dass sie Spuren hinterlassen hat, dass man sich an sie erinnert. Ich hingegen hatte die Befürchtung, die Herr Tobias Knopp aus Wilhelm Buschs „Knopp-Trilogie“ hat: „Auch von mir wird man es lesen: / Knopp war da – und ist gewesen.“ In einem Anfall des mir eigenen Zynismus meinte ich, dass man sich wohl kaum an mich erinnern wird, weil man sagt: „He, der hat so toll Geschirr abgespült, wann kommt der mal wieder?“

Ich hatte nur etwas vergessen, vermutlich, weil es zwar ein guter Gedanke ist, aber im wirklichen Leben viel zu selten praktiziert wird. Es war eine Weisheit, die da lautet, was auch immer Du tust, egal wie gering Dir Deine Arbeit erscheint, mache sie mit voller Konzentration. Sei im Augenblick anwesend. Wenn Du das tust, werden auch andere auf Dich aufmerksam.

Was soll ich sagen? Es ist nicht ganz so gewesen, wie ich es in meinem Zynismus ausgedrückt habe, aber es war der Einstieg. Ich wurde hauptsächlich zu Spüldiensten eingeteilt und nach einiger Zeit lief das ganz gut. Ich arbeitete konzentriert, weil ich das von mir selbst so erwartete. So kam ich mit verschiedenen Leuten ins Gespräch, über die verschiedensten Dinge. Und ich musste nichts „großartiges“ vor mir hertragen, um Spuren zu hinterlassen. Das geschah, weil ich ich bin. Ich weiß nicht, wie lange es her ist, das man mir dieses Gefühl vermittelt hat.

Vielleicht ist es so: In dem Lied „Impossible Dream“ aus „The Man from La Mancha“ heisst es, man solle nie aufhören, den „unmöglichen Traum“ zu träumen, man soll immer versuchen, den unerreichbaren Stern zu erreichen. Wie kann ich versuchen, den unerreichbaren Stern zu erreichen? Nun kann ich auf der Erde stehen, Nachts zum Himmel blicken, den Stern betrachten und sagen, da möchte ich hin. Heutzutage scheint aber jeder zu fordern, man solle immer so nah an dem unerreichbaren Stern sein, dass man mit der Hand seine Hitze schon spüren kann. Der Stern ist unerreichbar, also werde ich ihn auch nicht erreichen, aber ich muss näher an dem Stern dran sein als jeder andere. Ein verrücktes Wettrennen: einer steht auf der Erde, also stellt sich der andere auf einen Stuhl. Der nächste auf einen Tisch, dann klettert einer auf einen Baum… und so weiter. Was man dabei nicht bedenkt: Wenn ich in einen Baum klettere, um den unerreichbaren Stern näher zu sein, tue ich das allein. Denn in der Krone eines großen Baumes ist nur Platz für mich allein, für niemand sonst. Diese Suche scheint in einen Wettbewerb ausgeartet zu sein. Auf mich speziell bezogen muss ich sagen, dass mich das Leben wahrscheinlich darauf konditioniert hat. Oder ich habe mich vom Leben dazu konditionieren lassen. Dieses „besser sein als andere“, selbst in Punkten, wo es eigentlich unmöglich ist, zu bestimmen, wer denn nun besser ist. Ist denn der wirklich besser, der dem Stern am nächsten ist? Oder ist der besser, dessen Stern am hellsten strahlt oder am größten ist?

Es tut gut, Begegnungen gehabt zu haben, die nicht nach Äußerlichkeiten fragten oder danach, wie nah ich mit meiner Hand an meinen unerreichbaren Stern bin. Die Frage hieß: „Wer bist DU?“ und nicht „Wo stehst Du?“ Oder „Was machte Dich zu dem, was Du bist?“ und nicht „Warum bist Du nicht so wie die anderen?“

Tatsächlich wurde ich gefragt, ob ich wiederkommen werde, nicht nur für Tagesbesuche, sondern mal wieder für länger. Das kann ich mir sehr gut vorstellen. Denn neben den Arbeiten, den Leuten und den guten Gesprächen ist es auch ein sehr inspirativer Ort. Ein Ort für viele Gedanken. Und wonach kann es einem Autor mehr verlangen?


„Die Zeit, sie eilt im Sauseschritt / Wir steh’n nicht still, wir eilen mit!“
(Wilhelm Busch: Die Knopp-Trilogie)

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