Es begann mit dem Schmieden der großen Kritiken. Die Kritiker hofften, eine Kultur des Austauschs, des Abgleichens von Ideen und des Anhörens von Standpunkten zu finden. Doch sie wurden alle betrogen. Denn es wurde noch eine Art der Kritik laut. So, wie Morgoth Missklänge in die Schöpfungsmusik der Valar brachte, brachten ihre Stimmen den Diskurs nicht voran. Es ging nur darum, möglichst laut und auf übertriebene Weise das Internet vollzurotzen. Und so wie Sauron nach seiner Niederlage in der Schlacht des letzten Bündnisses hatten auch diese Kritiken keine körperliche Substanz. Denn Kritik war auch gar nicht das Ziel. Das Ziel war Angriff. Bei manchen vielleicht auch Vernichtung. Eine unheilvolle Entwicklung, die ihren Anfang in den frühen Tagen des 21. Jahrhunderts fand und die seither immer schlimmer geworden ist. Denn was nicht hätte vergessen werden dürfen, geriet in Vergessenheit.
Für diesen Artikel gibt es zwei Auslöser. Der eine ist blankes Entsetzung meinerseits darüber, wie die dunkle Seite von YouTube mittlerweile aussieht. Ich war ja einiges gewohnt, ich habe den Aufstieg der so genannten „angry critics“ miterlebt und festgestellt, dass es sich hierbei um eine sehr ungesunde Spielart handelt. Vielleicht war die Idee des „angry critics“ auch einmal, Kritikern, die über die Stränge schlagen, selbst den Spiegel vorzuhalten. Doch falls das der Plan war, ist davon nichts mehr übrig geblieben. Der Spiegel, der den Hass vorführen sollte, ist nicht mehr da. Vielleicht war er nie da. Nur der Hass ist noch vorhanden. Und der ist schlimmer als je zuvor.
Als ich mich nach dem Finale der ersten Staffel von „Die Ringe der Macht“ hinsetzte, um mich über die Kritikerlandschaft zu informieren und vor allen Dingen ein paar Kanäle abzugleichen, die sehr viel besser als ich die direkten Anspielungen in den Episoden erkennen würden, da führt mich der unheilvolle Algorithmus von YouTube leider auf direktem Weg in die dunkle Seite. Beispielhaft kann man hier einen Kanal nehmen, der die Besessenheit, mit der die Negativität weitergegeben wird, sehr gut illustriert. Zum Vergleich: Von „Die Ringe der Macht“ kam pro Woche eine Episode heraus. Das sind also rechnerisch vier Episoden für einen Monat. In diesem Kanal kamen im gleichen Zeitraum vierundzwanzig (!!) Videos heraus, die sich an der Serie abarbeiteten, im Schnitt also sechs Videos pro einzelne Folge (Notabene: im Schnitt!). Die Thumbnails der Videos sprechen für sich, wir sehen einzelne Darsteller der Serie, wobei hier entweder Video-Standbilder genommen wurden, die unvorteilhaft aussehen oder es wurden Bilder verfremdet, dass sie einen besonders widerwärtigen Eindruck machen (in einem Bild wurde beispielsweise eine Hand ins Bild montiert, so dass es aussieht, als würde sich Galadriel mit wütendem Gesichtsausdruck in der Nase bohren). Die Titel der Videos sind ähnlich reißerisch, AMAZON sei „in Panik“, die Serie „ein epischer Reinfall“, „hässlich und dumm“, „Müll“, eine „Missgeburt“ – und so weiter. Und der Inhalt der Episoden ist genau das, was das Thumbnail verspricht. Wenn wir den menschlichen Verstand mit einer Amphore vergleichen, aus der man Kreativität abschöpfen kann, so haben die Macher hier nicht nur den Bodensatz der Kreativität erreicht, sie haben den Boden der Amphore durchschlagen und kratzen gerade den Dreck aus dem Erdreich, das noch dazu radioaktiv verstrahlt ist, um daraus Content für YouTube zu produzieren.
Ja, ich weiß. Irgendjemand wird ums Eck kommen und sagen: „Ja, darf man denn diese Serie gar nicht mehr kritisieren?“ Doch, das darf man. Aber dieses substanzlose Gekreische ist keine Kritik. Ein Kind, das sich auf den Boden wirft, mit Händen und Füßen trommelt und schreit, weil das Spielzeug, mit dem es gerade spielen wollte, halt nun gerade vom Geschwisterkind in Beschlag genommen wird, verhält sich ähnlich. Doch bei dem Kind gehört das zum Prozess der geistigen Reife dazu. Bei dem Kind können wir die Hoffnung haben, dass es lernen wird, dass nicht alles nach seinem Willen geht und dass man andere respektieren muss. Bei den Produzenten solcher Videos ist Hopfen und Malz verloren. Viel schlimmer ist: Sie werden belohnt. Nicht nur von Menschen, die sie in ihrem destruktiven Verhalten bestärken, sondern auch vom YouTube Algorithmus.
Der zweite Auslöser für diesen Artikel war wiederum ein Artikel, den ich durch Zufall über Facebook gefunden habe. Dieser gibt sehr gut meine Gefühle im Bezug auf die Serie wieder. In Details, was ich gut fand und was ich nicht so gut fand, stimme ich nicht immer mit dem Autor überein, aber das „große Ganze“ passt sehr gut. Deswegen, bevor Ihr diesen Artikel weiterlest, schaut Euch vielleicht erstmal das an:
Deutsche Tolkiengesellschaft – Sebastian Richartz: „Ringe der Macht – Ein Kommentar“
Mir geht es genauso wie Sebastian Richartz. Ist „Ringe der Macht“ die beste Serie oder die beste Tolkienadaption oder das beste Stück Filmgeschichte, die / das je produziert wurde? Nach dem momentanen Stand meiner Meinung nach eher nicht. Ist sie deswegen „ein epischer Reinfall“, „hässlich und dumm“ oder eine „Missgeburt“? Ebenfalls nein. Und damit kommen wir in eine Problemzone. Solche Kritiken werden nämlich immer weniger wahrgenommen. Die lauten, die kreischenden Kritiken sind jene, die so tun, als sei „Ringe der Macht“ direkt aus dem Schlund eines Balrog gekommen, die sind es, die man sieht. Sofort, wenn man auch nur eine Sache an der Serie gut findet, wird man von diesen so genannten „Kritikern“ an den Pranger gestellt, wobei sie sehr einfallsreich darstellen, dass man entweder dumm sei und daher sowieso alles gut findet, was einem von „der“ Filmindustrie vorgesetzt wird oder verblendet, ein „social justice warrior“ – auch „linksgrünversiffter Systemling“ oder früher „Gutmensch“ genannt -, der Freude an der „Wokeness“ hat, die den totaaaaal unpolitischen Inhalt, den das Werk ja schon immer hatte, verseucht. Entweder man ist mit den Kritikern oder gegen sie. Das „Dazwischen“, die Grautöne, das existiert für diese Art von Kritiker nicht.
Damit werden allerdings zwei Probleme immer größer. Zum einen muss man sagen, dass Menschen, die diese extremen Ansichten vertreten, nicht in der Mehrheit sind – die Zuschauerzahlen sprechen da für sich, egal ob irgendein YouTuber behauptet, die Serie sei ein Flop und AMAZON in Panik -, sie benehmen sich aber so. Es ist fast schon ironisch, aber genauso wie es beim „Herrn der Ringe“ um Macht geht – schließlich ist der „Eine Ring“ ja das ultimative Instrument der Macht – geht es auch hier um Macht. Es geht darum, den Diskurs zu bestimmen. Und hier frage ich mich selbst: Hoffen solche YouTuber tatsächlich, sie würden es schaffen, ein Projekt wie „Die Ringe der Macht“ so nachhaltig zu sabotieren, dass es eingestellt wird? Und ist es nicht ein Widerspruch, dass es notwendig ist, lauthals und marktschreierisch zu betonen, wie schlecht doch die Serie sei? Denn wenn die Serie keinen Anklang findet, dann wird AMAZON auch keine weiteren Staffeln produzieren, ganz egal, was irgendein YouTuber sagt. Das Problem erledigt sich dann von selbst. Nein, man möchte auf Nummer Sicher gehen. Die Zuschauer sollen schon vor dem Beginn der eigentlichen Serie wissen, dass sie sie schlecht zu finden haben (ja, das Niedermachen von „Die Ringe der Macht“ fing schon mit den Trailern an).
Wenn sich nun ein Studio von den lautstarken „angry critics“ beeinflussen lässt, dann kommt Chaos heraus. Zuletzt durften wir das als Liveperformance bei der Sequel-Trilogie von „Star Wars“ erleben. Die laut gekreischte Kritik, die rassistischen Anwürfe an Schauspielerinnen und Schauspieler führte zu dem Durcheinander, das nun als Episode 9 die Skywalker-Saga abschließt. Schleicht sich sowas ein, werden wir das leider noch häufiger erleben. Vielversprechende Anfänge werden abgewürgt und dann doch wieder das produziert, was man schon kennt. Nummer Sicher.
Zum anderen führt diese Art der Kritik zur Zerstörung des Diskurses. Wenn die eine Seite laut wird, muss der Rest eigentlich genauso laut werden. Genauso kreischen. Genauso übertreiben. Solche Kritiker mag es geben, aber sie sind nicht so laut wie die anderen und ihre Zahl noch kleiner. Die breite Masse moderater Kritik bleibt eher leise und überlegend. Unaufgeregt, so wie der Beitrag von Sebastian Richartz. Damit behalten die Lauten die Diskurshoheit. Und würde man versuchen, sie mit ihren eigenen Waffen zu schlagen, würde der Diskurs ebenfalls zerstört, da nun nur noch Geschrei und Gekreische herrscht. Oder die Situation eskaliert noch weiter. Ich darf nur daran erinnern, dass Jake Lloyd, der Darsteller des jungen Anakin Skywalker in „Star Wars Episode 1“ so bedrängt wurde, dass er seine Schauspielkarriere beendete. Hayden Christensen, sein „Nachfolger“ in Episode 2 und 3 ging es ähnlich. Erst jetzt, Jahrzehnte später, da die Emotionen abgekühlt sind, wird erkannt, dass es auch Leute gab, die ihn in seiner Rolle gut fanden. Die ihm auf der offiziellen Star Wars Con applaudierten und begeistert jubelten, als er erzählte, dass er für die Serie „Obi-Wan Kenobi“ nochmal Darth Vader spielen wird.
Wenn nur noch geschrien und gekrischen wird, geht erleben wir genau das, was „Die Ringe der Macht“ sehr gut in der Zerstörung der Südlande dargestellt hat: Ein Vulkan bricht aus, es regnet Asche und Feuer und das ganze Land wird in eine ewige Dunkelheit gehüllt. Ja, ich weiß, das Bild habe ich schon mal bemüht und ich habe vieles von diesem Artikel in dem Zusammenhang schon erwähnt. Ich hatte nur noch nicht das volle Ausmaß der Macht Saurons erkannt. Vielleicht wollte ich es auch nicht wahrhaben. Ich hatte gehofft, aber… worauf habe ich diese Hoffnung eigentlich gegründet? Ich weiß es nicht.
Was mich vor allem überrascht, ist dieser blanke Hass auf sowas banales wie eine Serie. Und ja, es ist banal! Die Welt hat echte Probleme, nicht nur in fernen Landen, auch hier bei uns (oder in Amerika oder wo auch immer die Serie läuft). Aber stattdessen arbeitet man sich an fiktiven Figuren und den Leuten, die sie darstellen, ab. Vielleicht ist hier ein Teil der Erklärung zu sehen, fiktive Probleme, die noch dazu überzogen dargestellt werden, an den Pranger zu stellen, ist wohlfeil. Jeder dieser Kritiker kann sich selbst als der große Held sehen, der sich gegen „das System“ – was auch immer das sein mag, da kann man so viel projizieren – stellt. Ein echtes Risiko geht er damit keins ein. YouTube findet, dass diese Videos mit seinen AGBs übereinstimmen und auch den Monetarisierungsregeln entsprechen. Damit bringt dieser Inhalt den Kritikern vor allem auch eins: Geld. Und eine ähnlich laute Gegenreaktion haben sie eh nicht zu befürchten.
Irgendwo sitzt Sauron und lacht sich ins Fäustchen. Daher darf ich Euch bitten, solche differenzierten Ansichten wie die von Sebastian Richartz weiterzuverbreiten. Und sei es nur, damit noch mehr Leute erfahren: Okay, die Welt ist noch nicht komplette durchgedreht. Ich glaube, das würde schon helfen.
Ergänzung: Die letzte Folge der Staffel 1 von „Die Ringe der Macht“ lief am 14. Oktober 2022, das ist zu dem Zeitpunkt, da diese Worte in die Tastatur fließen, fast einen Monat her. Und was soll ich sagen? Der Kanal von dem im Artikel die Rede ist, produziert immer noch Videos über die Serie. Der Ton ist immer noch gleich kreischend, „Ringe der Macht“ sei ein „Milliardenflop“ und so weiter. Und die Thumbnails der Video sehen auch immer noch gleich aus. Manche Menschen haben kein echtes Leben.