Setzen! Sechs!

In der Schule ist Aufmerksamkeit gefordert. Die Schüler sollen sich auf den Lehrer konzentrieren und nicht reden, essen oder den Unterricht sonstwie stören. Das hat ja auch seine Richtigkeit, immerhin soll in der Schule gelernt werden. Wie ist es aber, wenn die Schüler von einst die Erwachsenen von heute sind – und es nicht um Unterricht, sondern um unsere Republik geht?

Dass einige Erwachsene in der Schule offenbar nichts gelernt haben, was Aufmerksamkeit betrifft, musste die Klasse 10a der Pfullendorfer Realschule feststellen und brachte damit einen Stein ins Rollen. Was war geschehen? Die Klasse war zu Gast im Bundestag. Zur Erinnerung: Dort sitzen die Leute, die wir gewählt haben, damit sie regieren und über das Schicksal der Republik entscheiden. Es fand gerade eine Diskussion statt. Das Thema war ganz bestimmt nicht unbedeutend: Es ging um die Verlägerung eines Bundeswehr-Einsatzes, es sollte also direkt über Wohl und Weh von Soldaten bestimmt werden. Doch das schien einige der Abgeordneten wenig zu interessieren (kein Wunder, sie müssen ja auch nicht in den Einsatz). Anstatt den Rednern zuzuhören und eine Grundlage für eine Entscheidungsfindung zu schaffen, verhielten sie sich wie ungezogene Schüler: sie quatschten nebenher mit dem Sitznachbarn, aßen, tauschten sogar Äpfel aus und machten alles Mögliche – nur konzentrierten sie sich nicht auf den jeweiligen Redner.

Schließlich bat die Sitzungsleiterin um Aufmerksamkeit. Den Realschülern, die das miterlebten, war es zu viel: Hätten sie sich so im Unterricht verhalten, wären sie rausgeflogen. Daher schrieben die Schüler zusammen mit ihrem Lehrer Martin Binder einen Brief an den Bundestagspräsidenten Norbert Lammert. Der reichte den Brief in Kopie an alle Abgeordneten weiter. Die Resonanz war mehr als man erwarten konnte: über 30 Politiker entschuldigten sich für das Verhalten und begründeten dies damit, dass der Tag eines Abgeordneten halt sehr lang sei. Inzwischen haben sogar einige Politiker angeboten, nach Pfullendorf zu kommen und mit den Schülern direkt zu sprechen. Außerdem sind die Tageszeitung “Die Welt” und das ZDF auf die Aktion aufmerksam geworden. Und der Deutschlandfunk machte sogar ein Interview mit den Schülern. Thema: “Welche Vorbilder bietet die Gesellschaft unseren Jugendlichen?”

Was kann man als normaler Staatsbürger da noch sagen? “Setzen! Sechs!” Wenn eben ein gewöhnlicher Staatsbürger sich über den Stress in seiner Arbeit auslässt, kriegt er meistens zu hören: “Du hast es Dir so ausgesucht! Keiner Zwingt Dich dazu, diesen Beruf zu machen!” Also, liebe Abgeordnete: Niemand zwingt Sie dazu, Abgeordneter zu sein! Wir – respektive ein Teil von uns – haben Sie zwar gewählt, aber nur, weil Sie sich freiwillig zur Wahl gestellt haben. Niemand hat Sie in den Bundestag geprügelt. Und dass dort wichtige Entscheidungen getroffen werden, die jederzeit vollste Aufmerksamkeit erfordern, haben Sie auch vorher gewusst! Sie sind immerhin nicht im Vorstand eines Hasenzüchtervereins, sondern in der Legislative. Von Ihnen hängt viel ab – da kann man doch erwarten, dass Sie aufmerksam bei der Sache sind!

Meinen Respekt spreche ich den Schülern aus, die diese Aktion gestartet haben; meine Hochachtung vor dem Lehrer, der es organisiert hat. Das ist politische Bildung, wie wir sie wünschen und brauchen. Hoffentlich gibt es mehr davon! Wie es Aldous Huxley so schön sagte. “Das Hauptziel der Bildung liegt nicht im Wissen, sondern im Handeln.

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