„Englisch wird die Arbeitssprache. Deutsch bleibt die Sprache der Familie und der Freizeit, die Sprache, in der man Privates liest.“
(Günther Oettinger, derzeitiger Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg)
„Ich glaube, es war gut, dass ich bei dem Gespräch mit Herrn Oettinger nicht dabei war, sonst hätte es garantiert in Baden-Württemberg eine neue Ohrfeigen-Affäre gegeben.“
(Dieter Hallervorden, deutscher Kabarettist, als Reaktion auf obige Äußerung)
Ich weiß nicht, wie es den meisten Deutschen geht, wenn sie an ihre Muttersprache denken, oder ob sie überhaupt darüber nachdenken. Ich aber hatte ein Erlebnis, das mich zum Nachdenken brachte, nachdem mir zuvor schon Kleinigkeiten aufgefallen waren. Genervt hatte es mich beispielsweise, wenn ein Mensch einen eigentlich in Deutsch verfassten Satz mit einer Armada von englischen Ausdrücken verunstaltete: „Da hab ich dann das file gedownloadet und gleich auf der harddisc gesaved…“ Doch dann gab mir etwas zu denken.
Das, was mir zu denken gab, begann mit einem kleinen Wort. Einem sehr kleinen Wort. Genau genommen ist es das kleinstmögliche Wort in der deutschen Sprache, denn es besteht nur aus zwei Buchstaben. Das Wort hieß „in“. An diesem Wort bin ich vor einiger Zeit hängen geblieben. Und das war dann der Anfang. Wie aber kann man an so einem kleinen Wort hängen bleiben? Den genauen Zusammenhang weiß ich nicht mehr, ich weiß nur noch, es war Anfang des Jahres 2003 und in irgendeinem Fernsehbericht fiel der folgenschwere Satz darüber, was in diesem Jahr alles sein würde. Das wurde so formuliert:
„Und noch viel mehr werden wir in 2003 sehen!“
Ich stutzte. „IN 2003“? Mein Sprachverstand blieb an dieser Redewendung hängen. Im Englischen hatte ich es schon oft gehört, „in 2003“ bedeutete dort so viel wie „im Jahr 2003“ oder auch „im Verlauf des Jahres 2003“. Aber im Deutschen? Hat der Sprecher da einen Fehler begangen – oder war mir diese Redewendung nicht geläufig, weil ich sie eben noch nie gehört hatte? Hier muss man hinzu fügen, dass ich Anfang 2003 32 Jahre alt war, die Wahrscheinlichkeit, in 32 Jahren eine solche Redewendung noch nie gehört zu haben, war sehr unwahrscheinlich. Dieses kleine Wort „in“ setzte sich in meinen Gedanken fest.
Nun haben wir 2006, und die Redewendung „in 2003“ ist mir häufiger wiederbegegnet, auch in aktualisierten Abwandlungen wie „in 2004“, „in 2005“ oder ganz neu „in 2006“, vor allem, wenn von der Fußballweltmeisterschaft die Rede ist. Und tatsächlich hat sich für mich bestätigt, was ich „in 2003“ schon geahnt habe: die Redewendung ist falsch. In seinem Buch „Der Dativ ist dem Genetiv sein Tod“ schreibt Bastian Sick unter anderem über diesen Anglizismus, der es auf irgendeinem Weg geschafft hat, in die deutsche Umgangssprache einzusickern.
Aber warum? Viele Befürworter von Anglizismen behaupten, diese seien einfacher, eindeutiger und kürzer. Gut, „in 2006“ ist kürzer als „im Jahr 2006“, aber ich könnte auch einfach nur „2006“ sagen.
Dann begegnete mir noch etwas, als ich an einem meiner Science-Fiction-Romane schrieb. In einer Szene kam eine Raumfähre vor, die ich weltmännisch neu-deutsch als „Shuttle“ bezeichnete und sowas schrieb wie „Als das Shuttle auf dem Boden aufsetzte…“. Das Rechtschreibprogramm jedoch kreidete mir hier einen Fehler an. Als ich diesen kontrollierte, ließ mich das Info-Fenster wissen, dass es nicht „das Shuttle“ hieße, sondern „der Shuttle“. Im Gedanken ließ ich alle Tondokumente, die ich im Kopf hatte, Revue passieren. Nein, dass passte irgendwie nicht. Picard verlangte bei Star Trek stets „Machen Sie ein Shuttle klar.“ und nicht „Machen Sie einen Shuttle klar.“ Aber ich war verunsichert, so dass ich mein(en) Shuttle kurzerhand in „die Raumfähre“ umbenannte.
Auf diese Weise aufmerksam gemacht fielen mir immer mehr Anglizismen auf, von denen nicht in aller Aufrichtigkeit gesagt werden kann, dass sie auf korrekte Weise in der deutschen Sprache verwendet werden. Und ausgerechnet die von mir so verehrte Science Fiction hat einen großen Teil dazu beigetragen. Aber da geht es ja schon los. Wie genau will man „Science Fiction“ übersetzen? Korrekt wäre „Wissenschaftsdichtung“, aber das klingt sehr trocken. In den frühen Tagen sagte man „Phantastische Literatur“ dazu, aber dieser Begriff lässt sich sehr schlecht gegenüber der so genannten „Fantasy“ abgrenzen, was man heutzutage aber offensichtlich muss.
Die Science Fiction hat so ein wenig die Vorgabe gemacht, dass alles, was nach Zukunft, nach Modernem klingt, Englisch zu sein hat. Dem hat sich die Werbesprache angepasst, aber mal ganz ehrlich, wer versteht, was damit gemeint ist? Ganz interessant in dieser Betrachtung ist beispielsweise der Begriff „Zerealien„. Dieser tauchte zuerst in einer Werbung für einen Schokoriegel auf und war der Versuch, das englische Wort „cereals“ ins Deutsche zu übersetzen. Der Begriff leitet sich von der römischen Göttin „Ceres“ ab, die unter anderem für den Ackerbau zuständig war. Entsprechend sind „Zerealien“ Feldfrüchte, in der Werbung Bestandteile des Frühstücks, Cornflakes – pardon: Maisflocken – und dergleichen. Offensichtlich hat man es im Deutschen aber bisher nicht ganz so für nötig gehalten, für diese Gruppe Lebensmittel eine eigene Bezeichnung zu finden. Aber wenigstens wurde eine deutsche Variante des Begriffs verwendet.
Mit anderen Dingen tat man das nicht, und so trieb eine Mischsprache, genannt „Denglisch“, die seltsamsten Blüten. Man nimmt an keinem „Treffen“ mehr teil, sondern an einem „Meeting“; auf dem Flughafen sucht man nach dem „Gate“ und nicht nach dem „Flugsteig“; in Internet-Foren werden keine „Umfragen“, sondern „Polls“ veranstaltet; Mitarbeiter werden auf ein Treffen nicht mehr „vorbereitet“, sondern „gebrieft“.
Nehmen wir das Wort „checken“, das sich schon so eingebürgert hat, dass man es sogar in Deutsch konjugieren darf (ich checke, du checkst, er/sie/es checkt…). Seine urspüngliche Bedeutung, sowohl im Englischen als auch zunächst im Deutschen war „überprüfen, kontrollieren“. Im Deutschen wird es heute auch in einem anderen Zusammenhang gebraucht, und die Frage „Hast Du es endlich gecheckt?“ bedeutet nicht unbedingt, dass sich der Frager erkundigt, ob man ein bestimmtes Gerät überprüft hat.
Makaber wird es beispielsweise mit dem Begriff „body bag“, der im Deutschen ein Mode-Accessoir umschreibt, eine Tasche, die man sich so über die Schulter hängt, dass man sie eng am Körper trägt. War jemand schon mal in Amerika in einem Laden und hat nach einer „body bag“ gefragt? Der Ladeninhaber würde einen zum nächsten Bestattungsunternehmer schicken: „body bag“ bedeutet nämlich „Leichensack“.
Ein „Handy“ kennt man außerhalb Deutschlands nicht. Im Internet wird „downgeloadet“. Und wenn man genau nachdenkt, so kommt man auf noch viele unzählige Beispiele von Wörtern, die aus dem Englischen kommen und „irgendwie“ in unsere Sprache integriert wurden. Zumindest glaubt man das und gaukelt sich selbst damit vor, man wäre weltoffen, nur weil man jedem Trend hinterher hechelt. Das damit aber die Sprache nicht offener, sondern im Gegenteil immer verwaschener und unklarer wird, erkennt man kaum. Englisch sei die Weltsprache, heißt es, also kann man auch ruhig ein paar hundert Begriffe übernehmen, das hilft der Verständigung! Ach wirklich? Was hilft es der Verständigung, wenn wir im Deutschen einen englischen Begriff anders verstehen, als jemand, der Englisch spricht? Beispiel: siehe oben, „body bag“. Oder glaubt zum Beispiel jemand, dass ein Engländer in Deutschland versteht, was damit gemeint ist, wenn auf einem Laden das Schild „Back-Shop“ steht? Der Engländer muss denken, es handele sich um einen „Rücken-Laden“, vielleicht auch einen „Zurück-Laden“. Was bitte soll der denn verkaufen? Oder kann man da gekaufte Ware „zurück“ bringen, die einem nicht zusagt? Dass es sich in Wirklichkeit um eine Bäckerei handelt, erfährt unser englischer Freund erst auf den zweiten Blick.
Frankreich fing an, sich gegen die Schwemme der Anglizismen zu wehren, indem sie eine Reihe von Bestimmungen erließen, dass beispielsweise die Titel von Kino- und Fernsehfilmen oder -serien ins Französische übersetzt werden müssen. So trägt beispielsweise die Serie „CSI“(und deren Ableger) in Frankreich den Titel „Les Éxperts“, zu Deutsch: „Die Experten“, oder ganz in Deutsch: „Die Fachleute“. Ob „Star Wars“ in Frankreich wohl auch seinen angestamten Titel „La Guerre des Étoiles“ behalten durfte? Aber da kommen wir schon zum Nächsten: In mehreren Episoden der Sternensaga ist im Deutschen von dem galaktischen Territorium die Rede, in dem unter anderem der Planet Tattuine liegt: das „Outer Rim“. Das bedeutet im Deutschen schlicht „Randzone“. Oder der notorische Bösewicht namens „Count Dooku“, dessen eingedeutschter Titel, nämlich „Graf Dooku“ für manche Zuschauer einfacher verständlich gewesen wäre.
Machen wir mal ein Gedankenspiel: Was wäre, wenn es eine ähnliche Bestimmung wie in Frankreich auch in Deutschland gäbe? Huch! Das klingt nach Deutschtümelei. Das ist vielleicht der Grund, warum Frankreich es geschafft hat, nicht jeden sprachlichen Müll zu übernehmen, das in Deutschland aber sehr schwierig ist: Man könnte mit so einer Forderung eventuell an den rechten Rand gerückt werden. Die Deutschen schämen sich seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr nur, dass sie Deutsche sind, sie schämen sich auch der deutschen Sprache.
Mir egal, versuchen wir es trotzdem. Hmmm… komisch, manche Dinge würde man auf einmal verstehen. Und manche Dinge würden schonungslos ihre Gewöhnlichkeit offenlegen.
Voltaire meinte zu dem Thema:
„Verwendet nie ein neues Wort, sofern es nicht
drei Eigenschaften besitzt: Es muß notwendig,
es muß verständlich und es muß wohlklingend sein.“
Ach, noch etwas: Die Merkwürdigkeiten im Umgang mit der deutschen Sprache haben inzwischen ausgereicht, dass von „Der Dativ ist dem Genetiv sein Tod“ bereits mehrere Fortsetzungen erschienen sind, Teil 2 und Teil 3.