Batman – The Dark Knight und andere: Parallele Dimensionen und ihre Manifestationen

Die Batman-Comic-Geschichte „Ende einer Legende“ (Original: „To Kill a Legend“) von Alan Brennert, Dick Giordano und Adrienne Roy aus dem Jahr 1981 beginnt verstörend für Bruce Wayne. Er hat einen Alptraum, in dem die Ereignisse um den Tod seiner Eltern wiederholt werden. Da er danach nicht mehr einschlafen kann, legt er das Batman-Kostüm an und begibt sich in die Nacht. Es dauert nicht lang, und er wird Zeuge eines Überfalls. Er kann die Täter überwältigen, doch einer von ihnen flieht. Er folgt ihm in eine Sackgasse, wo plötzlich Nebel aufkommt, in dem der Verbrecher verschwindet. Batman durchquert den Nebel ebenfalls – und findet sich plötzlich am anderen Ende von Gotham City wieder, genauer gesagt in der Gasse, in der seine Eltern ermordet wurden. Und gerade als ihm der Verbrecher zu entkommen droht, kommt Robin dazu und hält ihn auf. Batman ist überrascht – Robin sollte eigentlich auf dem Weg nach Europa sein.

Genau in dem Moment taucht ein Fremder auf, den Batman mit „Phantas“ (Original: „Phantom Stranger“) anredet. Er hat alles, was geschehen ist, arrangiert, um Batman eine einmalige Chance zu bieten. Es gibt, so erklärt er, viele parallele Universen, mit vielen Erden. Auf einer davon wurden 40 Jahre zuvor Bruce Waynes Eltern ermordet. Der junge Bruce schwor Rache und wurde zu Batman. 20 Jahre zuvor sah der Bruce Wayne dieser Welt, wie seine Eltern starben. Nun seien wiederum 20 Jahre vorbei, und der Zyklus wird sich auf einer dritten Erde wiederholen – Thomas und Martha Wayne werden sterben, es sei denn, Batman reist in diese parallele Welt, um es zu verhindern. Phantas hat auch eine einleuchtende Begründung: Trotz seiner ganzen Heldentaten fühlt sich Bruce immer noch mitschuldig am Tod seiner Eltern. Nun kommt er die Chance, es ungeschehen zu machen – zumindest in einer parallelen Welt.

Batman und Robin reisen in die Parallelwelt. Ihre erste Begegnung mit dem erst achtjährigen Bruce Wayne lässt Robin schmunzeln, macht ihn aber auch nachdenklich. Bruce ist ein verzogener Millionärs-Balg. Wie wird sich sein Charakter entwickeln, wenn er den Tod seiner Eltern nicht miterleben muss und nicht zum Verbrecherjäger wird? Während Batman nach Joe Chill – dem zukünftigen Mörder des Ehepaar Wayne – sucht, geht Robin in Zivil als Dick Grayson in die Bibliothek von Gotham City. Sehr zu seinem Entsetzen findet er heraus, dass es auf dieser Parallelwelt keinerlei Heldemmythologie gibt, keinen Herakles, keinen Robin Hood, nichts. Als er die Sternenkarten durchsieht, muss er feststellen, dass die rote Sonne, um die Krypton – der Heimatplanet von Superman – kreist, auch nicht existiert. Also wird es Superman auf dieser Welt nicht geben. Haben die beiden überhaupt das Recht, das Schicksal aufzuhalten und dieser Welt möglicherweise ihren einzigen Superhelden vorzuenthalten?

Als es schließlich jedoch zur Konfrontation kommt, lässt auch Robin alle Bedenken fallen. Sie greifen ein, Batman bringt den Mörder seiner Eltern zur Strecke, bevor er zuschlagen kann. Sofort taucht Phantas wieder auf und bringt sie zurück – ihre Aufgabe auf dieser Welt sei erledigt. Was aus dem jungen Bruce Wayne wird, erfahren sie nicht.

Aber der Leser erfährt es: Beeindruckt von dem Fremden im Fledermauskostüm, der ihn und seine Eltern gerettet hat, ändert sich der Charakter des Jungen. Er wird ruhiger, beschäftigt sich mit Büchern – und er trainiert, denn eines Tages wird er Batman sein, aber nicht aus Rache, sondern aus Respekt vor dem Leben.

Die Möglichkeit paralleler Dimensionen hat viele Menschen fasziniert, seit deren Existenz  – zumeist im Zusammenhang mit Science-Fiction-Geschichten – diskutiert wird. Manche gehen gar so weit, die Möglichkeit von Paralleluniversen herzunehmen, um zu beweisen, dass Gott nicht existiert. So weit möchte ich nicht gehen, mir geht es um etwas anderes, den parallelen Welten von Geschichten. Eine Geschichte kann tatsächlich in verschiedenen Parallelwelten existieren, und seit es die neuen Medien gibt, sogar noch mehr. Verschiedene Faktoren sind es, die zur Entstehung dieser Welten beitragen. Um das darzulegen, möchte ich in die Welt, oder besser gesagt, die Welten des „dunklen Ritters“ zurückkehren.

  • Batman

Batman wurde 1939 von Bob Kane und Bill Finger als Comic entwickelt. Es handelte sich um einen typischen Superhelden, der das Verbrechen bekämpft. Doch er sollte anders sein als beispielsweise Superman. Superman sah seine Berufung zum Superhelden in den besonderen Kräften, die er als Bewohner eines anderen Planeten auf der Erde hat, getreu dem Motto: „Der Gebrauch der Kräfte, die man hat, ist man denen schuldig, die sie nicht haben.“ Batman hingegen sollte ein „normaler“ Erdenbürger sein, also überlegte man sich eine Motivation für ihn. Diese wurde schließlich der Tod seiner Eltern, den er im Alter von 8 Jahren mit ansehen musste. An deren Grab schwört der junge Bruce Wayne, seine Heimatstadt Gotham City vom Verbrechen zu befreien. Er eignet sich diverse Kampftechniken und ein umfangreiches Wissen über Kriminologie an. Eine Fledermaus, die sich in sein Arbeitszimmer verirrt hat, inspiriert ihn dazu, sich die Geheimidentität „Batman“ zuzulegen und ein entsprechendes Kostüm zu tragen, das die Verbrecher in Angst und Schrecken versetzen soll. Die Motivation für seine Taten war Vergeltung für den Tod seiner Eltern. Dieses Ziel verfolgte er mitunter auch mit äußerster Gewalt.

In den 1960er Jahren änderte sich das Bild, als eine Fernsehserie und schließlich ein Kinofilm über den Mann im Fledermauskostüm entstand. Die Serie war allerdings zur Hauptsache von ihrer Selbstironie geprägt und nahm das Genre, dem sie angehörte, mehr als einmal auf den Arm. Batmans Ausrüstung wurde so unglaublich erweitert, dass sein Gürtel irgendeine Ausrüstung gegen fast alles hatte, vom „Bat-Anti-Hai-Spray“ bis zum „Bat-Taschentuch“. In der Serie ging es darum, wie Batman und sein Compagnon Robin mit der ständigen Bedrohung der Stadt durch irgendwelche Superschurken Herr werden. Haarsträubende Schlussfolgerungen führten ihn stets auf die richtige Spur, und am Schluss siegte das Gute. Batmans Motivation geriet in den Hintergrund, genauso wie die seiner Gegner, die eben einfach „Bösewichte“ waren. Man könnte sagen, in dieser parallelen Welt, die das Fernsehen erschaffen hatte, herrschte kein psychologischer Tiefgang. Vermutlich erzählt man sich hier die Legende von Robin Hood genau so, wie Mel Brooks sie in „Helden in Strumpfhosen“ dargestellt hat (und da befindet sich der hiesige Batman in guter Gesellschaft, der selbst welche trug) und möglicherweise befindet sich in der Nachbarstadt des Gotham dieser Erde das Polizeihauptquartier der „Police Squad“, in der Frank Drebbin sein Unwesen trieb.

Ende der 1980er Jahre tat sich ein weiteres Paralleluniversum auf, das wiederum ganz anders aussah, wenngleich auch wieder eine psychische Ebene ins Spiel kam. Tim Burton produzierte den ersten Film einer neuen Batman-Reihe, die es auf vier Teile bringen sollte. Die Bewohner dieser Parallelwelt hatten einen gewissen Sinn für den übermäßigen Kitsch, wenn man sich betrachtet, wie Gotham City aussieht. Aber die Motivation von Bruce Wayne, sich des Nächtens eine dunkle Rüstung anzuziehen und sich über die Dächer der Stadt zu hangeln auf der Suche nach Verbrechern, wurde wieder in den Fokus genommen. In dieser Realität waren allerdings ein paar Fakten verändert. So wurde beispielsweise der Kriminelle Jack „Joker“ Napier statt Joe Chill zum Mörder des Ehepaar Wayne.

Vor einigen Tagen kam nun der dritte Teil der so genannten „Dark Knight“-Trilogie um Batman in die Kinos. Hier wurde die Geschichte erneut von vorne erzählt, erneut mussten Thomas und Martha Wayne sterben, damit ihr Sohn zum Superhelden werden konnte. Im Gegensatz zu der humorigen Variante und der Popcorn-Kinoversion wurde alles etwas düsterer und auch realistischer dargestellt – soweit man hier von „realistisch“ sprechen kann.

  • Star Trek

Bei Star Trek hat man öfters mal mit Paralleluniversen gespielt und auch mit alternativen Zeitlinien. Meistens wurde durch irgendetwas die Zeitlinie verändert und es war die Aufgabe der Serienhelden, diese Änderung wieder in Ordnung zu bringen. Dann entschloss das Studio sich dazu, das Star-Trek-Franchise zu „rebooten“ und tat das wiederum mit einer alternativen Zeitlinie. Ich gebe zu, als „Star Trek“ in die Kinos kam, hatte ich bedenken, dass Kirk, Spock und die Besatzung der Enterprise ganz am Ende die ursprüngliche Zeitlinie wieder herstellen würden. Es war ein mutiger und richtiger Schritt, das nicht zu tun. Denn so war es nicht einfach irgendein „Reboot“, dieser Reboot passte genau in die Multiversen von Star Trek.

  • James Bond

Genau die letzte Bemerkung kann man leider auf James Bond nicht übertragen. Auch hier sah man die Notwendigkeit, einen Reboot zu machen, allerdings in einer verwirrenden Konstellation. Bond wird mit „Casino Royale“ als Agenten-Neuling in die Gegenwart geholt, die ganze Geschichte von „Doktor No“ bis „Stirb an einem anderen Tag“ hat in diesem Universum nie stattgefunden. Trotzdem ist „M“ in beiden Universen die gleiche Person.

Gut, bei James Bond hätte man noch dazu das Problem gehabt, dass eine Erklärung mit „Paralleluniversen“ überhaupt nicht reingepasst hätte. Bei aller Phantastik, die zu den Bond-Geschichten gehört, das wäre selbst für den scheinbar unsterblichen Superagenten eine Spur zu dick gewesen. Außerdem gab es ja schon zwei parallele Universen, das der Romane und das der ursprünglichen Filmreihe. In den Romanen hat Bond beispielsweise in „Man lebt nur zweimal“ ein Kind mit Kissy Suzuki, in den Filmen nicht.

Durch den Neustart ist Bond in der Gegenwart angekommen, ohne die „Altlasten“ tragen zu müssen. Man hat sich nämlich nicht getraut zu erklären, warum Bond alle paar Filme sein Aussehen ändert und dabei ständig jünger wird. Und ein Bond mit dem Aussehen von Daniel Craig, der aber seit den 1960er Jahren bereits beim MI6 arbeitet… das wäre auch schon wieder Science Fiction.

  • Kampfstern Galactica

Bei „Kampfstern Galactica“… tja. Ein weiterer Neustart und eine leichte Andeutung im Pilotfilm der neuen Serie, wo man sah, dass die Cylonen mal so aussahen, wie in der alten Serie, das war’s dann aber auch. Ansonsten schien es den Autoren eine Freude zu sein, die Elemente der klassischen Galactica völlig umzudrehen, zum Beispiel indem man aus ursprünglich männlichen Charakteren nun weibliche machte.

Mit der neuen Serie konnte ich nicht allzuviel anfangen, sie hatte einige gute Ideen, aber die Ideen, die ich nicht so gut fand, gingen mir umso mehr auf den Keks. Dieser ganze Paranoiaplot, dass Cylonen nun so aussehen können wie Menschen und man nicht weiß, ob jemand ein Cylone oder ein Mensch ist, das war mir zu viel. Überrascht war ich, als ich erfuhr, dass die Serie so endete, wie ich mir das Ende für die usrprüngliche Serie vorgestellt hatte. Nicht dass mich das versöhnt hätte.

  • Perry Rhodan

Ja, nicht einmal die größte Science-Fiction-Serie der Welt bleibt vom Reboot verschont. Mit „Perry Rhodan Neo“ wird die bekannte Handlung der ersten Bände in eine Welt verlagert, die unserer ähnlicher sieht als sie es in den Heftromanen tat. Immerhin griff damals Perry Rhodan bereits im Jahr 1971 in die Geschichte der Erde. Das muss man sich mal vorstellen, wäre es Realität, würde ich zur ersten Generation gehören, für die es fast von Geburt an normal gewesen wäre, zu wissen, dass es Außerirdische wirklich gibt.

  • Conclusio

Die Gedanken zu diesem Artikel trage ich schon lang mit mir herum. Sie sind unausgereift, da ich stark von anderen Dingen eingespannt war. Ich denke aber, dass so ein Wunsch nach einem „Reboot“ etwas zutiefst Menschliches ist. Wir wollen Dinge mal aus einer anderen Perspektive sehen oder dass etwas einen völlig anderen Weg nimmt. Oder man möchte es dem Zeitgeist anpassen. Damit neue Leser oder Zuseher die Möglichkeit haben, sich in dieser Welt zurecht zu finden.

 

Davon mal abgesehen – wünschen wir uns nicht manchmal, wir könnten von einem bestimmten Zeitpunkt unseres Lebens aus völlig neu starten?

TRON LEGACY – Eine Betrachtung

„TRON ist ein Computerprogramm. Heute noch Vision. Vielleicht ist TRON schon morgen Wirklichkeit. Die Entscheidung liegt bei uns. Den Usern.“
(aus dem Vorwort des Hörspiels zum Original-Kinofilm TRON)

Die Vorgeschichte: TRON

Alles begann mit Steven Lisberger, der Ende der 1970er Jahre ein eigenes Zeichentrick-Studio aufbaute. Schon damals schwirrte ihm eine Idee zu einem Film im Kopf herum, den er „TRON“ nannte. 1980 schaffte es Lisberger, seine Idee einer „Olympiade der Tiere“ an die Fernsehanstalten zu verkaufen, kleine Zeichentrick-Clips, die im Fernsehen bei der Berichterstattung über die „wirklichen“ olympischen Spiele laufen sollten.

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Mit der Winter-Olympiade in Lake Placid lief alles glatt. Dann jedoch kam der große Boykott, Amerika und die meisten westlichen Staaten verweigerten die Teilnahme an der Sommer-Olympiade in Moskau, um gegen den Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan zu protestieren. Damit brauchten die Fernsehsender auch keine Clips von der „Tier-Olympiade“, obwohl diese schon fertig gestellt waren. Lisbergers Idee war, über die Einnahmen aus dieser Arbeit das Filmprojekt TRON unabhängig von großen Studios zu produzieren. Durch den Ausfall der Sommer-Olympiade war das allerdings nicht möglich, wenngleich alle Clips der Tier-Olympiade zu dem Kinofilm „Animalympics“ (deutscher Titel: „Die Dschungel-Olympiade“) zusammengefasst wurden und auch recht erfolgreich liefen. Lisberger wandte sich an verschiedene Studios, Disney schließlich schlug zu und realisierte TRON, der 1982 in die Kinos kam.

In dem Film geht es um Kevin Flynn (Jeff Bridges), einem Computerprogrammierer, der für das damals aufstrebende Unternehmen Encom gearbeitet hat. Flynn programmierte ein paar Spiele für Spielautomaten, doch ein anderer Programmierer namens Ed Dillinger (David Warner) stahl ihm den Programmcode und gab die Spiele als seine aus. Flynn wurde entlassen und Dillinger stieg zum Chef von Encom auf. Gleichzeitig verdient Encom Millionen mit den Spielen. Mit Hilfe seiner ehemaligen Kollegen Lora (Cindy Morgan) und Alan (Bruce Boxleitner) bricht Flynn bei Encom ein, um im Computersystem der Firma die Beweise für Dillingers Betrug zu suchen. Allerdings wird das System mittlerweile von dem allmächtigen MCP, dem „Master Control Programm“ kontrolliert, das mittlerweile Ambitionen entwickelt, das Pentagon und den Kreml zu übernehmen. Das MCP nutzt ein neues Projekt von Encom, um Flynn in den Computer zu ziehen: Ein Laser, der Objekte digitalisieren kann. So landet Kevin im Speicher des Encom-Computers und findet heraus, dass es dort eine Welt gibt ähnlich der unseren, in der die Programme als Lebewesen existieren und vom MCP unterdrückt werden. Mit Hilfe von Alans Monitorprogramm Tron (ebenfalls dargestellt durch Bruce Boxleitner), will Flynn den MCP ausschalten und die Beweise finden, dass er und nicht Dillinger für den Erfolg von Encom verantwortlich ist. Ihr Gegner ist die rechte Hand des MCP, ein Wachprogramm mit Namen „Sark“ (David Warner).

Und nun die Fortsetzung: TRON LEGACY

TRON LEGACY / (c) by The Walt Disney Company
TRON LEGACY / (c) by The Walt Disney Company

Fast 30 Jahre nach dem Original kommt nun also die Fortsetzung: Die Handlung von TRON LEGACY beginnt 1989, also etwa sieben Jahre, nachdem Kevin Flynn gegen den MCP gekämpft hat. Kevin (immer noch Jeff Bridges) ist zum Chef von Encom aufgestiegen, nachdem Dillingers Betrug bekannt und das MCP gelöscht wurde. Begeistert erzählt Kevin seinem Sohn Sam vom „Raster“ im Innern des Computers und den neuen Möglichkeiten, die er bietet. Außerdem sei „etwas wunderbares“ passiert. Was, das will er Sam erst das nächste Mal erzählen. Dazu kommt es nicht mehr, denn Kevin Flynn verschwindet spurlos. Der Aufsichtsrat setzt seinen Freund Alan Bradley (immer noch Bruce Boxleitner) ab und fängt an, Encom umzugestalten, weg von den Ideen von Kevin Flynn.

Zwanzig Jahre später ist Encom aus dem Computeralltag nicht mehr wegzudenken. Auf dem Großteil der Computer der Welt läuft ihr Betriebssystem und gerade jetzt soll eine neue Version herauskommen, die sich, wie sich der Aufsichtsratsvorsitzende ausdrückt, nur dadurch von ihrem Vorgänger unterscheidet, dass nun als Versionsnummer eine „12“ auf dem Karton steht. Mit im Boot ist Ed Dillinger Junior (Cilian Murphy), Sohn von Ed Dillinger Senior (der Herr, der in diesem Film nicht erscheint). Sam Flynn (Garrett Hedlund) hingegen hat nicht mehr viel am Hut mit der Firma, obwohl er durch seinen Vater die Aktienmehrheit an Encom hält. Er sabotiert die Präsentation des Betriebssystems „Nr. 12“ und will sich wieder in die Abgeschiedenheit seiner sehr einfachen Unterkunft zurückziehen, als Alan im Raum steht. Er zeigt ihm einen alten „Pager“, den er ursprünglich von Sams Vater bekommen hat, um immer erreichbar zu sein. Aufgehoben hat er das Gerät nur aus sentimentalen Gründen, doch letzte Nacht bekam er eine Nachricht. Die Nachricht kam aus dem Büro von Kevin Flynn in dessen alter Spielhalle – von einem Anschluss, der seit Jahren abgeschaltet war. Sam lässt sich überreden, dort mal nachzusehen. Er entdeckt hinter einem alten TRON-Spielautomaten eine Geheimtür, die in einen Keller führt. In diesem Keller läuft ein Computer, offenbar noch so, wie Kevin ihn zurückgelassen hat. Als Sam herausfinden will, woran sein Vater zuletzt gearbeitet hat, wird ein Laser aktiviert und er digitalisiert und in die Welt im Innern des Computerspeichers gerissen. Hier hat ein Programm von Kevin die Herrschaft übernommen: Clu (ebenfalls Jeff Bridges), der sich damit brüstet, die Unterdrückung der User beendet zu haben. Clu folgt seiner Programmierung so konsequent, wie das nur ein Computerprogramm kann – er soll eine perfekte Welt schaffen. Und er will alles vernichten, was nicht perfekt ist – auch die Welt außerhalb des Computers. Sam muss sich auf dem Spielraster gegen verschiedene Gegner durchsetzen, bevor er von Quora (Olivia Wilde) zu seinem Vater gebracht wird und erfährt, dass dieser seit seinem Verschwinden hier im System gefangen war. Clu will Kevin unbedingt habhaft werden, denn er besitzt den Datendiskus, mit dem es Clu möglich wäre, in die Welt der User überzutreten…

Nach dem Trailer kommt die Betrachtung – Achtung, Spoiler möglich!

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TRON LEGACY – Kritik

Hm. Also, ich habe extra nochmal eine Nacht drüber geschlafen und weiß immer noch nicht so ganz, was ich von TRON LEGACY halten soll. Tatsächlich braucht man den ursprünglichen TRON nicht zu kennen, um diesen Film zu verstehen, da die Handlung nur auf den alten Motiven basiert, sonst weitgehend unabhängig ist und sich selbst erklärt. Der Film ist mit modernsten Methoden umgesetzt worden und (natürlich) in 3D. Allerdings wird der Zuschauer vor Beginn des Films darauf aufmerksam gemacht, dass der Film nicht durchgehend in 3D sei, sondern Sequenzen in 2D enthalte, was ein „stilistisches Mittel“ sei. Leider bin ich dem „stilistischen Mittel“ nicht so ganz auf die Spur gekommen, denn es gab für mich kein Muster, was 2D und was 3D ist. 3D wurde in meinen Augen relativ wahllos mal hier und mal dort (und natürlich bei Actionsequenzen) eingesetzt. Auf der anderen Seite muss ich einer Kritik widersprechen: Computerprogramme altern natürlich nicht wirklich, daher sieht Clu so aus, wie Jeff Bridges vor 20 Jahren. Das wurde mit einem Computereffekt gemacht und im Vorfeld hieß es in manchen Kritiken, das sähe völlig unrealistisch aus. Das fand ich nun überhaupt nicht. Man sieht zwar hin und wieder tatsächlich, dass die Bewegungen von Clus Körper und seinem Kopf nicht völlig synchron sind, aber das Resultat fand ich trotzdem recht verblüffend und es zeigt, wie weit die Computertricktechnik ist. Das Design selbst entspricht dem Stand des „beginnenden 21. Jahrhunderts“, so wie der ursprüngliche TRON dem Design der 1980er Jahre entsprach. Auch die Musik von Daft Punk passt in den Film, so wie „damals“ die Musik von Wendy Carlos.

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Nun zur Handlung – und die ist mein eigentliches Problem, weswegen ich diese Kritik mit einem „hm“ begann. Sie ist nämlich leider etwas dünn und der Zuschauer wird ganz am Anfang noch dazu in eine völlig andere Richtung geführt. Encom hat sich unter Kevin Flynn zu einem Unternehmen entwickelt, das sein Geld mit Spielen verdient und andere Software – wie etwa das Encom-Betriebssystem – als „Open Source“ und „Freeware“ herausgibt. Nach Flynns Verschwinden sah der Aufsichtsrat die Möglichkeit, auch hier Geld zu verdienen und nutzte seine durch die Freeware gewonnene Vormachtstellung dazu aus. Hier klingt etwas Kapitalismuskritik an, im Sinne des Umstands, dass man Menschen in einer Welt, in der der Computer unersetzlich wird, nicht die wichtigen Dinge zum Betrieb eines Computers überteuert andrehen darf. Auf die Spitze getrieben wird das natürlich durch das Encom-Betriebssystem, dessen neueste Version sich offenbar in nichts nützlichem von der vorigen zu unterscheiden scheint, nur durch den Umstand, dass sie neu verpackt angeboten wird.

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Dann jedoch auf einmal geht die Geschichte eine ganz andere Richtung. Die Welt im Innern des Computers hat mit Encom nämlich gar nichts zu tun, sie ist nicht einmal ein Spiegelbild der realen Umstände. Clu will – seiner Programmierung entsprechend – „einfach“ die perfekte Welt schaffen, und die Aufgabe der Helden ist es, ihn aufzuhalten. Als im Innern des Computers spontan eine neue Lebensform entsteht – wie auch immer das möglich ist -, wird diese von Clu vernichtet, da sie ihm als „nicht perfekt“ erscheint. Außerdem gibt es das eine oder andere Loch in der Handlung. Zum Beispiel sagt Kevin, dass Clu keine Programme selbst erschaffen könne (das können natürlich nur die User), sondern nur bestehende Programme seiner „Linie“ anpassen. Aber war den Drehbuchschreibern nicht bewusst, dass man Programme auch beliebig kopieren kann? Clu müsste es eigentlich ein Leichtes sein, eine Armee an „Klon-Kriegern“ zu schaffen, indem er einfach bestehende Programme kopiert – so oft er will. Außerdem geht es zwar auch immer wieder ins Religiöse hinein – gerade mit dem Entstehen einer neuen Lebensform -, aber dem Kinogänger, der TRON nicht gesehen hat, wird nicht erklärt, warum Clu aussieht wie Flynn: Weil er das Ebenbild seines Schöpfers ist, so wie jedes Programm (eben auch bei Tron, der aussieht wie Alan Bradley).

Die Konstellation an Figuren erschien mir auch etwas unglücklich gewählt. In TRON ist der Hauptbösewicht das MCP. Das Programm hat sich jedoch so viele andere Programme angeeignet, dass es nur noch stationär existieren kann. Deswegen hat es einen Handlanger, das Wachprogramm Sark, der die Dreckarbeit erledigt und brutal und gefährlich ist. Entsprechend anders war der Höhepunkt der Handlung, als es darum ging, das MCP und Sark auszuschalten. Bei TRON LEGACY ist Clu immer noch selber mobil und seine Handlanger nur Schatten. Seine rechte Hand ist ein kriecherischer Schleimer, der sich in der einen Sekunde Sam unterwirft und den Usern Treue gelobt, aber als Clu wieder die Oberhand gewinnt, sofort „Tod den Usern!“ ruft. Und Clus Meisterkrieger Nummer 1, bei dem es sich um den umprogrammierten Tron handelt, ist ein plumper Haudrauf, der die meiste Zeit des Films nur Knurrlaute von sich gibt. Seine „Rückverwandlung“ am Schluss ist für mich daher nicht ganz schlüssig, aus dem Nichts heraus hat Tron Erinnerungsfetzen daran, wie er selbst Flynn einst verteidigt hat, und auf einmal ruft er: „Ich kämpfe für die User!“ – und alles ist wieder wie früher.

In einem Punkt muss ich mir allerdings Asche auf mein Haupt streuen lassen: Ed Dillingers Sohn. Er wirkt auf mich ungefähr gleich alt wie Sam Flynn, und das schien mir spontan etwas unrealistisch zu sein, da ich David Warner in TRON für wesentlich älter gehalten hätte. Er war aber zu dem Zeitpunkt tatsächlich erst 41 – und er hat sogar eine Tochter, die 1982 geboren wurde. Also kann es tatsächlich sein, dass Sam Flynn und Ed Dillinger Junior gleich alt sind. Ansonsten erfüllt Dillinger Junior nur leider keine Funktion in dem Film – außer der selbe A**** zu sein wie sein Vater.

Sehr nett gemacht sind die kleinen Dinge, die für die Fans eingebaut wurden. Das geht von den auffälligen Sachen wie Kevins Lichtrenner aus dem ersten Film, über Dinge, bei denen man schon genauer hinsehen muss, wie die beiden Bits, die bei Kevin auf dem Kaminsims liegen, bis hin zu sehr subtilen Anspielungen. In letztere Kategorie gehört die Aufschrift auf dem Garagentor von Sam Flynns Unterkunft: „DUMONT“ Das ist der Name des Wärterprogramms vom Input/Output-Tower aus TRON. Dumont wurde von Doktor Walter Gibbs programmiert, selbiger hat in TRON ein Streitgespräch mit Dillinger über die Zukunft von Encom. Dabei erwähnt Dillinger, dass Encom nicht mehr dieselbe Firma sei, die mal in Gibbs‘ Garage existiert habe. Es wird in TRON LEGACY also angedeutet, dass Sam Flynn in der Garage lebt, in der Encom ursprünglich mal angefangen hat.

Positiv ist auch die deutsche Übersetzung zu sehen, denn hier hat man sich richtig Mühe gegeben. Anstatt der Versuchung zu erliegen, tolle englische Ausdrücke einfach unübersetzt zu lassen und damit mit der Kontinuität zum ersten Film zu brechen, hat man hier sehr genau darauf geschaut, dass das eben nicht passiert. So heißt es auf Deutsch weiterhin „(Spiel)Raster“, nicht „Grid“, und auch Clus von Flynn übernommene Phrase „Greetings, Programms!“ wird wie 1982 mit „Seid gegrüßt, Programme!“ übersetzt. Selbst „End of Line“, mit dem das MCP in TRON jedes Gespräch beendete, wurde übernommen: „Ende der Kommunikation“. Auch bei den Synchronsprechern sorgte man für die Konstellation von damals, und das, obwohl sich mittlerweile über die Serien „Agentin mit Herz“ und „Babylon 5“ Joachim Tennstedt als Synchronsprecher von Bruce Boxleitner etabliert hat. Das hätte jedoch zu Verwirrungen führen können, denn tatsächlich war auch Tennstedt bei TRON dabei, er sprach damals allerdings die deutsche Stimme des Programms „Ram“. Boxleitner wurde und wird von Lutz Riedel gesprochen, Jeff Bridges von Norbert Langer. (Und um die Verwirrung zu vervollständigen: Auch Jeff Bridges wurde mal von Joachim Tennstedt synchronisiert, unter anderem in „The Big Lebowski“.)

Mein Fazit: TRON LEGACY ist ein handwerklich sehr gut gemachter Film, der einem einen unterhaltsamen Abend verschaffen kann. Darüber hinaus hätte man noch etwas mehr an der Handlung arbeiten sollen, denn mehr als das übliche „Gut-gegen-Böse“-Schema bleibt nicht übrig und auch die Gefahr, dass Clu mit seinen Armeen den Computer verlässt und in unserer Welt alles „Unperfekte“ zerstören will, hat mich nicht mitgerissen. Das ist mir zu abgedreht, eine Handlung ähnlich dem ersten Teil, in dem ein MCP die Regierungen der Welt übernehmen will, indem es sich in deren Computersysteme einklinkt, hätte besser gepasst. Sozusagen ein echter „Cyberwar“. Schade, dass hier eine Möglichkeit vergeben wurde.

Wer sich von solchen Geschichten gern mal für zwei Stunden unterhalten lassen kann und will, für den ist TRON LEGACY gut geeignet, denn das tut er wirklich. Aber mehr nicht.

TRON LEGACY

Heutet startet in den Kinos der Film „TRON LEGACY“. Und hier schon mal vorab ein kleines Video – ein Video zu einem TRON LEGACY Videospiel im Stil der 1980er Jahre. Hach, das waren halt noch Zeiten…

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“Der Polarexpress” von Robert Zemeckis – eine Filmbetrachtung, Teil 3

Der Polarexpress / (c) by Warner Bros.

Im ersten Artikel über den Film „Der Polarexpress“ habe ich die Handlung ausführlich dargelegt, im zweiten Artikel habe ich die Figuren genau vorgestellt. In diesem Artikel geht es nun um den Hintergrund der Geschichte, die Stilmittel, die Technik und noch mehr.

Stilmittel

Die Darstellung im Film ist realistisch, das heißt, trotz aller rasanten Fahrten wurde auf allzu comichaftes verzichtet. Einzuordnen, in welcher Zeit der Film spielt, ist etwas schwer, aber anhand kleiner Details – etwa der Radkappe, die in Hero Boys Zimmer an der Heizung lehnt, oder die Autos, die man kurz auf der Straße sieht – kann man ungefähr die 1950er oder 60er Jahre als Zeitraum festmachen. Damit würde der „alte“ Hero Boy, der die Geschichte erzählt, diese in der Gegenwart (2004) erzählen, und sich an seine Kindheit erinnern.

Die Technik

„Der Polarexpress“ ist ein Computeranimationsfilm. Er zieht aus der Technik sehr viele stärken, aber leider auch ein paar Schwächen. Die Stärken sind natürlich die Bilder und teilweise sehr wilden Kamerafahrten, die real so nie machbar gewesen wären. Bei einigen Szenen fällt auf, dass der Film auf die 3D-Version für die IMAX-Kinos hin bearbeitet wurde, etwa wenn der Zug mit seinem Kuhfänger direkt vor der Kamera zu stehen kommen, oder die Fahrt in die Gletscherschlucht, die eigentlich eine Achterbahnfahrt ist. „Der Polarexpress“ setzte damit – vor dem Einsetzen der „3D-Welle“ in den Kinos – Maßstäbe.

Neu war ebenso, dass die Bewegungen der Figuren zuvor mit realen Schauspielern aufgenommen und in den Computer eingespeist wurden. Dieses „Motion Capturing“ genannte Verfahren erweckte auch Gollum für den „Herrn der Ringe“ zum Leben und wird bei den neuen „Tim und Struppi“-Film verwendet. Leider finden sich hier auch die Schwächen der Technik, wobei ich mir nicht ganz schlüssig bin, wo diese herkommen: die Figuren bewegen sich teilweise schon „irreal real“. Möglicherweise war die Technik zu dem Zeitpunkt noch nicht so weit ausgereift, oder die Schauspieler haben sich bei ihrer Darstellung zum „overacting“ hinreißen lassen. Was ich mir aber auch vorstellen kann, ist ein „Gewöhungseffekt“ von bisherigen Animationen – wir sind es einfach nicht gewohnt, dass sich animierte Figuren (Computer oder Zeichentrick) realistisch bewegen. Wenn beispielsweise eine Zeichentrickfigur still steht, bewegt sie sich wirklich nicht. Ein echter Mensch kann das nicht, seine Muskeln bewegen sich immer ein bisschen. Bei den animierten Figuren im „Polarexpress“ kommt das dadurch zum Tragen, dass diese beim Stehen immer hin- und herzittern (besonders auffallend beim Schaffner und beim Weihnachtsmann). Oder wenn die Kinder schnelle Bewegungen machen oder besonders heftig mit dem Kopf nicken, sieht das zwar auf den ersten Blick realistisch aus, wirkt aber gleichzeitig irgendwie überzeichnet.

Was im Gegenzug sehr gelungen ist, ist das „Einfangen“ der Mimik. Man kann die Regungen im Gesicht sehr deutlich sehen.

Der Polarexpress / (c) by Warner Bros.
Der Polarexpress / (c) by Warner Bros.

Schauspieler

Da die Figuren zuvor von echten Schauspielern dargestellt wurden, bediente man sich hier ebenfalls eines Stilmittels der Heldenreise: Hauptdarsteller Tom Hanks spielte mehrere Rollen. Er ist Hero Boy, dessen Vater, der Schaffner, der Landstreicher und der Weihnachtsmann. Außerdem spricht er die Einführung und das Schlusswort des Films, wobei es sich um Hero Boy als alten Mann handelt. Damit soll ausgedrückt werden, dass es sich bei dem Abenteuer um eine „Reise ins Ich“ handelt, und die Figuren, die auftreten, Aspekte der Hauptfigur und seiner Umgebung sind. Hero Boy wurde jedoch von einem Kind nachsynchronisiert. In der deutschen Fassung ist Arne Elsholtz (Tom Hanks‘ „Stamm“-Synchronsprecher) allerdings nur als Schaffner und Landstreicher zu hören.

Traum oder Realität?

In einem Interview zieht Tom Hanks Parallelen zur Geschichte des „Zauberers von Oz“. Tatsächlich passt der Vergleich, Dorothys Reise in die Welt von Oz folgt ebenfalls dem Konzept der „Heldenreise“, ist eine Reise „ins Innere“ und es finden sich in Oz Menschen aus der realen Welt wieder (sie werden im Film von den gleichen Schauspielern gespielt). Beim Polarexpress drückt sich das vor allem durch die mehrfachen Rollen von Tom Hanks aus. Eine weitere Andeutung findet sich auch in der Szene, als der Polarexpress vor dem Haus von Hero Boy anhält: Hero Boy spürt ein Beben, dann zischt die Zentralheizung – und das Zischen der Zentralheizung verwandelt sich in die Pfeife des Zugs. Scheinbar ist hier ein reales Geräusch in die Traumwelt herübergekommen und im Traum als Geräusch des Polarexpress wahrgenommen worden.

Eine letzte Erklärung, ob es ein Traum oder Realität war, bleibt der Film allerdings schuldig. Viele Dinge können rational erklärt werden (das Zischen der Heizung, oder auch wie Hero Boy die Tasche seines Morgenmantels zerreißt), aber das geheimnisvolle Päckchen mit dem Schlittenglöckchen des Weihnachtsmannes, sowie die Notiz, die mit „W.“ unterschrieben ist, entzieht sich jeder Erklärung, genauso wie die Tatsache, dass nur die Kinder den Klang des Glöckchen hören können. Auch stellt sich die Frage: Waren die anderen Kinder im Zug (vor allem Hero Girl und Billy) real – oder existieren sie nur in der Einbildung von Hero Boy? Immerhin bekommt jedes der Kinder eine Fahrkarte mit einer individuellen Lektion. Die Edbroke Avenue, in der Billy wohnt, ist in der Stadt, in der Hero Boy wohnt. Wenn er die Straße aufsucht, würde er dann Billy finden? Fragen, über die man sehr gut nachdenken kann, denn der Film beendet die Handlung an der richtigen Stelle. Er gibt keine Antwort, sondern lässt dem Zuschauer Platz für seine eigenen Gedanken und Ideen.

Der Schaffner präsentiert das "Elixir" / (c) by Warner Bros.

Die Reise und das Elixir

In einer Kritik zum Film habe ich gelesen, dass der Film zwar ganz nett sei, aber etwas über die Stränge schlägt und die Aussage, dass Armut nur eine innere Einstellung sei, die man überwinden könne, indem man einfach an den Weihnachtsmann glaubt, sei nachgerade pietätlos. Diesem Kritiker muss ich sagen, dass er den Film letztlich nicht verstanden hat, denn genau darum – „einfach“ an den Weihnachtsmann glauben – geht es eben nicht. Noch dazu wirft der Kritiker hier den Konflikt von Hero Boy und von Billy durcheinander. Hero Boy findet sich in der Situation wieder, in der sich viele Kinder wiederfinden – wenn es den Weihnachtsmann nicht gibt, was ist Weihnachten dann noch wert? Der Weihnachtsmann selbst aber sagt zu Hero Boy, er wäre „ein Sinnbild für Weihnachten“, und über Hero Girl meint er, sie trage den „Geist der Weihnacht“ in sich. Es geht darum, Erwachsen zu werden, und sich trotzdem diesen Geist zu bewahren, um den es auch in Charles Dickens „A Christmas Carol“ (und genauso vortrefflich in der modernen Fassung „Scrooged – Die Geister, die ich rief“) geht – das menschliche Miteinander und dass einem das Schicksal anderer Menschen nicht egal. Man mag das im „Polarexpress“ auf die „typisch amerikanische“ kitschige Weise ausgearbeitet sehen, aber es berührt.

Billys Konflikt hingegen liegt woanders: Wir können es nur vermuten, aber sein Leben und seine Umwelt hat ihn wohl so geprägt, dass er anderen Menschen gegenüber grundsätzlich misstrauisch ist. Kinder können grausam sein, und vermutlich hat er öfters solche Sätze hören müssen wie: „Gib Dich doch nicht mit dem ab, der ist doch arm!“ Um solche Situationen zu vermeiden, gibt er sich schon gar nicht mehr mit anderen Kindern ab. Mutterseelenallein steigt er in den letzten Wagen des Zugs und rührt sich dort nicht. Die Tatsache, dass dieser Wagen keine direkte Verbindung zu dem Wagen mit den Kindern hat, ist beinahe schon symbolisch, er fährt zwar im Zug mit, ist aber ganz für sich. Durch die Abenteuer mit Hero Girl und Hero Boy lernt er, dass nicht alle Menschen gleich sind, und es auch Menschen gibt, denen er nicht egal ist und die ihn nicht wegen seiner Armut vorverurteilen. Seine Lektion lautet, das Zutrauen zu anderen wiederzufinden. Auch das mag man als „typisch amerikanisch“ aufbereitet ansehen, aber eben, es ist eine Geschichte, die sich hauptsächlich an Kinder wendet. Und die verstehen sicherlich, was gemeint ist. Und letztlich, auch eine Heldenreise muss nicht immer so tiefgehend strukturiert sein, wie es beispielsweise „Herr der Ringe“ ist. Die Hauptsache ist die Botschaft, und dass sie verstanden wird. Und das erfüllt der „Polarexpress“ voll und ganz.

Die Art und Weise, mit der das „Elixir“ überbracht wird, fügt sich von daher auch nahtlos in die Geschichte ein: die Fahrkarten. Früher war es in der Tat üblich, Fahrkarten zu entwerten, indem man ein Loch in sie knipste (respektive zwei, wenn es sich um Hin- und Rückfahrt handelte). Der Schaffner des Polarexpress schreibt aber ganze Buchstaben in die Karten, die am Anfang – bei der Hinfahrt – noch keinen Sinn ergeben. Erst bei der Rückfahrt werden die Wörter ergänzt und so nochmal deutlich gemacht, welche Lektion das jeweilige Kind durch die Reise gelernt hat.

Sehen heißt glauben

Der zentrale Satz des Films lautet „sehen heißt glauben“. Nun könnte man sagen, dass das doch ziemlich materialistisch ist – man glaubt nur das, was man sieht. So ist das aber nicht gemeint, und das wird in einigen Szenen auch sehr deutlich. Die Aussage ist anderherum zu verstehen – wenn ich an etwas glaube, bin ich auch fähig, es zu sehen. Hero Girl bespielsweise hat Zweifel an ihren Fähigkeiten, zu führen und die richtige Entscheidung zu treffen. Das äußert sich darin, dass sie in Szenen, in denen ihre Entscheidungskraft gefragt ist, plötzlich die Hände vors Gesicht schlägt – sie will nicht hinsehen, weil sie nicht glaubt, dass ihre Entscheidung die richtige ist.

Hero Boy kann den Weihnachtsmann nicht sehen, aber nicht, weil er irgendwie unsichtbar ist, solange der Junge nicht an ihn glaubt, sondern weil andere ihm die Sicht versperren, so wie ihm seine Zweifel die Sicht auf das Wesentliche versperren. Billy hingegen sieht nicht, dass man es gut mit ihm meint. Er erkennt zum Beispiel nicht, was Hero Boy riskiert, indem er die Notbremse zieht und es Billy so ermöglicht, überhaupt an der Reise teilzunehmen. Auch der Neunmalklug sieht etwas nicht, nämlich dass es auch noch andere Menschen gibt, auf die man Rücksicht nehmen sollte.

Glauben wir etwas nicht, so sind wir auch nicht in der Lage, dies zu sehen. Glauben wir beispielsweise nicht an das Gute in einem Menschen, so unterstellen wir anderen gern unlautere Motive, egal wie sie sich verhalten. Wir sehen das Gute nicht, weil wir nicht daran glauben. Und genau so ist der Satz „sehen heißt glauben“ zu verstehen. Der Schaffner bringt es auf eine andere Weise auf den Punkt: „Man sagt zwar, sehen heißt glauben, aber manchmal sind die wertvollsten Dinge diejenigen, die wir nicht sehen.“ Das bezieht sich zum einen darauf, wie es auch im „Kleinen Prinz“ von Saint-Exupéry heißt, dass die wesentlichen Dinge im Leben „für das Auge unsichtbar“ seien und man sie nur mit dem Herzen sehen kann. Und zum anderen eben auch darauf, dass wir manchmal die wertvollen Dinge (wie Freundschaft oder Güte) nicht sehen, weil wir daran nicht glauben (wollen).

Hero Boy schafft es dann ja tatsächlich auch, sich den Geist der Weihnacht bis ins Alter zu bewahren, denn wie er im Schlusswort sagt, klingt für ihn das Glöckchen immer noch, obwohl er alt geworden sei. Und das, so fügt er hinzu, gelte für alle, die wirklich daran glauben.

Die Musik

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Wesentlicher Bestandteil jeden Films ist die Musik, der es gelingen muss, eine gewisse Stimmung zu transportieren. Für den Soundtrack des „Polarexpress“ zeichnet Alan Silvestri verantwortlich, und er hat ein paar pfiffige Ideen gehabt, wie man den Bezug zu Weihnachten musikalisch herstellen kann. Natürlich hat er ein paar großartige Kompositionen entworfen, die den Pathos des Films unterstreichen, in manchen Situationen hat er jedoch auch klassische Weihnachtsstücke einfließen lassen. So sind immer wieder Versatzstücke aus „Jingle Bells“ zu hören, oder als die Weihnachtswichtel auf den großen Platz laufen, wird „Oh Tannenbaum“ als Marsch gespielt.

Über die Lieder, die Bestandteil des Films sind, kann man geteilter Meinung sein, ich finde, sie passen sehr gut. Zum einen sind es wiederum bekannte Weihnachtsmelodien (die vor allem in der Weihnachtsstadt zu hören sind, wo sie aus allen Lautsprechern tönen) wie etwa Frank Sinatras „Santa Claus is comin‘ to Town“, „It’s beginning to look a lot like Christmas“ von Perry Como oder „Silver Bell“ von Kate Smith. Zum anderen sind das die Musicalnummern des Films. „The Polar Express“ umschreibt die Reise im Zug und ist mit einem Rhythmus unterlegt, der das Stampfen einer Dampflok imitiert; „Hot Chocolate“ eine von Tom Hanks / Arne Elsholtz mit großer Spielfreude vorgetragene Nummer um den Genuss des Kakaos, die genauso rasant ist wie die Szene die sie untermalt.

In dem etwas traurigen Lied „When Christmas comes to Town“ beschreibt Billy sein Leben, während Hero Girl versucht, ihn aufzumuntern. Zentrales Lied ist aber die Ballade „Believe“, gesungen von Josh Groban, in der es wiederum um den Kern des Films geht – wann glauben wir an etwas.

Alan Silvetri hat sehr gute Arbeit geleistet, und die „Suite from ‚Polar Express'“ ist das Stück, das zu meiner persönlichen Weihnachtsmusikauswahl einfach dazu gehört.

Hero Boy ist auf den Polarexpress aufgesprungen / (c) by Warner Bros.
Hero Boy ist auf den Polarexpress aufgesprungen / (c) by Warner Bros.

Die deutsche Version

Im Original hat man auf so viele Dinge geachtet – wie wurden diese in die deutsche Fassung übertragen? Ich muss sagen, auch wenn Arne Elsholtz nicht alle Rollen spricht, in denen Tom Hanks im Original zu hören ist (Hero Boy als alter Mann, Hero Boys Vater und der  Weihnachtsmann werden von anderen Synchronsprechern dargestellt), ist die deutsche Fassung sehr gut. Man musste ein paar Klippen umschiffen, aber die Übertragung ins Deutsche ist mehr als gelungen. Zum Beispiel gab es ein Problem, als die Kinder im abgekoppelten Wagen durch die Weihnachtsstadt rasen und Hero Boy die Bremse zuerst nicht finden kann. Der Landstreicher erscheint und klopft auf das Rad, mit dem die Bremse zugedreht wird. Im Original sagt er dazu: „Take a break!“, was ein Wortspiel ist („Take a break!“ heißt ungefähr so viel wie „Mach mal Pause!“, das Wort „brake“, das genau gleich wie „break“ ausgesprochen wird, bedeutet „Bremse“). Das Wortspiel ist nicht übertragbar, deswegen ruft der Landstreicher im Deutschen: „Bist wohl nicht zu bremsen?“ Ansonsten wurden sehr schöne deutsche Übertragungen vorgenommen, etwa wenn der Schaffner meint, es wird „höchste Eisenbahn“. Und ich muss sagen, es ist verdammt lange her, dass ich Redewendungen wie „Pflanz Dich!“ (in den 197er/80er Jahren umgangssprachlich benutzt für „Setz Dich!“) oder „Quadratlatschen“ gehört habe.

Sehr viel Mühe hat man sich auch mit den Grafiken gemacht – anstatt diese zu untertiteln oder, wie es gerade in Fernsehserien gern gemacht wird, Deutsch vorlesen zu lassen, wurden sie komplett eingedeutscht. Auf der Warnlampe in der Weihnachtsstadt ist deutlich „UNARTIG“ zu lesen (statt „NAUGHTY“), die Schilder an der Gletscherschlucht warnen vor „99 % GEFÄLLE“ und sogar die Notiz, die in dem Päckchen mit dem Schlittenglöckchen liegt, ist Deutsch geschrieben, obwohl diese noch dazu von der Stimme des Weihnachtsmannes vorgelesen wird.

Besonders gelungen ist die deutsche Übertragung der in die Fahrkarten geknipsten Worte, was beim Neunmalklug sehr auffällt. Im Original bekommt er das Wort „LEARN“ („lernen“) geknipst, als der Schaffner ihm die Karte zurückgibt, hält Neunmalklug allerdings seinen Daumen über das „R“ und beschwert sich, was „LEAN“ („mager“) denn heißen soll. Der Schaffner nimmt darauf die Karte und meint, er habe nicht 4, sondern 5 Buchstaben geschrieben. Er hält dem Jungen dann die Karte so hin, dass „LEARN“ richtig zu lesen ist. In der deutschen Version knipst der Schaffner „LERNEN“, allerdings sind die Löcher vom mittleren „N“ nicht alle richtig durchgedrückt. Der Neunmalklug liest deswegen „LERMEN“ und beschwert sich, „lärmen“ würde man mit „Ä“ schreiben.  Der Schaffner nimmt die Karte und meint süffisant, „lärmen“ würde man nicht nur mit „Ä“, sondern auch mit einem „M“ schreiben und hält die Karte richtig hin. Dabei fallen die nicht richtig durchgedrückten Stücke aus ihren Löchern – „LERNEN“ ist nun deutlich zu sehen.

Es ist lange her, dass für die deutsche Version eines Kinofilms so ein Aufwand betrieben wurde, und dass dann tatsächlich auch die deutsche Fassung auf der DVD landete. Oft war es auch so, dass es zwar eine Fassung mit deutschen Schriftzügen im Bild gab (meistens bei Disney-Filmen), auf Video beziehungsweise DVD aber dann nur die Originalversion mit deutschen Untertiteln erhältlich war.

"Und? Kommst Du mit?" / (c) by Warner Bros.

Fazit

„Der Polarexpress“ ist ein netter Film, passend zur Weihnachtszeit, der die entsprechende Botschaft zu transportieren versucht. Er ist natürlich kein philosophisches Meisterwerk, aber er geht doch tiefer, als manche glauben. Da sind wir wieder beim Thema, „sehen heißt glauben“. Wenn man sich ein wenig mit der Handlung beschäftigt, kann man sich schließlich doch über das eine oder andere Gedanken machen, das in dem Film angesprochen wird. Die Teile des Films, die reine Action sind (die Gletscherschlucht, der zugefrorene See), sind in 3D auf der großen Leinwand recht beeindruckend (zu sehen – wie bereits erwähnt – beispielsweise im 4D-Kino im Europa-Park). Es gibt auch eine 3D-Version auf Blueray, die ich allerdings nicht kenne, und zu deren Qualität ich daher nichts sagen kann. Die Sequenzen stechen leider ein bisschen aus der Handlung des Films heraus, da sie sehr deutlich auf den 3D-Effekt getrimmt sind und zwar im Sinne der „Heldenreise“, von der ich die ganze Zeit sprach, als die „Prüfungen“ durchgehen würden, aber eigentlich keinen wirklichen Sinn haben (außer in wenigen Momenten).

Ich finde den Film gelungen und seit ich ihn entdeckt habe – sinnigerweise erst im 4D-Kino des Europa-Park – gehört er für mich zu Weihnachten dazu. Man mag sagen, dass es ein wenig übertrieben ist mit dem Pathos (vor allem verstärkt durch die Musik), aber andererseits gehört das irgendwie dazu. Genauso wie das Happy End. Und wenn man in den Film nicht so tief reingehen möchte, wie ich das in dieser Betrachtung gemacht habe, kann man das auch tun. Der Film richtet sich in erster Linie an ältere Kinder und Jugendliche, vielleicht gerade auch in dem Alter, in dem man nicht mehr an sowas wie einen Weihnachtsmann glauben mag, er prügelt einem die Moral nicht mit dem Holzhammer ein. Die Idee mit den Fahrkarten überzeugt voll und ganz und ist nicht aufdringlich.

Nun, dies war mein Blick auf den Film „Der Polarexpress“. Ich hoffe, es war nicht zu viel und nicht zu verdreht in den Gedankengängen. Vielleicht konnte ich Sie überzeugen, sich den Film anzusehen, entweder „mal wieder“, oder vielleicht auch zum ersten Mal. Oder, um es mit den Worten des Schaffners zu sagen:

„Und? Kommst Du mit?“

“Der Polarexpress” von Robert Zemeckis – eine Filmbetrachtung, Teil 2

Der Polarexpress / (c) by Warner Bros.

Im letzten Artikel habe ich ausführlich den Inhalt des Films „Der Polarexpress“ von Robert Zemeckis dargelegt. Nun möchte ich darauf eingehen, wovon der Film (und das Buch) genau handelt. Dazu betrachten wir uns jetzt einmal die Figuren genauer.

„Da steht…“ – „HA! Das ist nicht für mich bestimmt!“

Der Polarexpress / (c) by Warner Bros.
Der Polarexpress / (c) by Warner Bros.

In Teil 1 habe ich auch schon erklärt, dass es sich bei der Struktur der Geschichte des „Polarexpress“ um eine so genannte mythische „Heldenreise“ handelt. Die Struktur besteht grob gesagt aus mehreren Stationen, die der Held „abarbeiten“ muss: Wir lernen seine Welt kennen. Das Abenteuer ruft. Der Held weigert sich, dem Ruf Folge zu leisten, überlegt es sich dann aber doch anders. Der Held muss verschiedene Prüfungen bestehen und zum Höhepunkt der Geschichte seinem tiefsten Inneren entgegen treten. Hier wandelt sich der Held, erlangt ein „Elixir“ und kehrt verändert in seine Welt zurück, um ihr das Elixir zu bringen. Die Bezeichnung „Elixir“ leitet sich davon ab, dass es bei klassischen Fantasygeschichten meistens um ein magisches Elixir handelte, das der Held finden musste, um einen kranken König zu heilen oder den Fluch von jemandem zu nehmen. Im übertragenen Sinn bezieht sich das Elixir auf die Lektion, die die Hauptfigur (oder die Figuren) einer Heldenreise im Verlauf der Reise lernen, indem sie sich den verschiedenen Aufgaben, die auf sie zukommen, stellen. Das Elixir im „Polarexpress“ sind die Worte, die der Schaffner den Kindern in die Fahrkarten knipst und die für jeden eine Botschaft zu seiner persönlichen Entwicklung im Lauf des Abenteuers darstellt.

Merkmale einer „Heldenreise“ sind neben den klassischen Elementen die Archetypen als Figuren in der Geschichte sowie die Tatsache, dass man den Kern der Erzählung in einem Satz wiedergeben kann. Manchmal ist dieser Satz der Titel der Geschichte, beim „Polarexpress“ steht er als „Catch Phrase“ auf dem Kinoplakat: „Sehen heißt glauben“. Werfen wir aber nun einen genauen Blick auf die Figuren.

Der Junge – Hero Boy

Der Junge ("Hero Boy") / (c) by Warner Bros.
Der Junge ("Hero Boy") / (c) by Warner Bros.

Wie schon angemerkt sieht man bereits an der Tatsache, dass wir von den Hauptfiguren nicht einmal die Namen erfahren, dass wir uns in einer Heldenreise befinden: die Namen sind nicht wichtig – die Reise ist wichtig. Der Junge, der Hauptdarsteller des Films, wird im Drehbuch sogar „Hero Boy“ genannt, also wörtlich „Heldenjunge“. Auf seinen Konflikt legt der Film sein Augenmerk, er ist in einem Alter, in dem man sich zu alt fühlt, an sowas wie den Weihnachtsmann zu glauben. Hero Boy zieht dabei allerdings einen fatalen Schluss – der Weihnachtsmann ist Betrug, also ist auch Weihnachten ein Betrug. Zudem fällt auf, dass der Junge alles immer in Zweifel zieht. Der Satz, den man im Film am Häufigsten von ihm hört, lautet: „Bist Du sicher?“ Damit schafft er es sogar, seine Umwelt zu beeinflussen und genauso zögerlich zu werden, wie er selbst. Mehrmals wird ihm allerdings vor Augen geführt, welche Konsequenzen sein Zögern hat: Als er beispielsweise dem Mädchen ihre Fahrkarte bringen will, sieht er, dass die Wagen des Zugs nicht direkt miteinander verbunden sind. Er zögert beim Überqueren der Kupplung – und der Wind reißt ihm die Fahrkarte aus der Hand. Umgekehrt wird sein manchmal zutage tretendes impulsives Handeln belohnt, etwa als er ohne Zögern die Notbremse zieht, damit Billy an Bord kommen kann. Zum Höhepunkt des Films trägt er seinen schwersten Konflikt aus, er kann weder die Glöckchen vom Schlitten des Weihnachtsmannes hören, noch den Weihnachtsmann selbst sehen. Erst als er bereit ist zu glauben, kann er das Glöckchen hören und den Weihnachtsmann sehen, der schließlich sogar ihn auswählt, damit er sich das erste Geschenk von Weihnachten wünschen darf. Seine innere Wandlung wird dann noch dadurch ausgedrückt, dass er sich als Geschenk nicht irgendetwas wünscht, was Kinder in seinem Alter haben wollen – er möchte das Glöckchen vom Schlitten haben, damit er sich den Glauben bewahren kann.

Das Mädchen – Hero Girl

Das Mädchen ("Hero Girl") / (c) by Warner Bros.
Das Mädchen ("Hero Girl") / (c) by Warner Bros.

Von ihrem ersten Erscheinen in dem Film wird klar, dass das Mädchen eine besondere Gabe und ein Pflichtgefühl besitzt. Sie wird auf den Jungen aufmerksam, wie er unsicher durch die Reihen des Wagons tappt und sie sieht der Reise an den Nordpol freudig entgegen. Als Billy später zusteigt und allein im letzten Wagen sitzt, ist sie es, die ihm eine Tasse Kakao bringt. Auch wenn Hero Boy es hin und wieder mal schafft, sie mit der Frage „Bist Du sicher?“ von ihrer Selbstsicherheit abzubringen, ist doch klar: sie ist eine geborene Führernatur, jemand, der anderen den Weg weisen kann. Ihre Schwäche ist, dass sie sich verunsichern lässt, aber wenn sie die Führung übernimmt, kommt sie zum Ziel. Ihr Konflikt ist nicht so offen, wie bei Hero Boy, aber sie ist im eigentlichen Sinn nicht die Hauptfigur.

Der Neunmalklug

Der Neunmalklug / (c) by Warner Bros.
Der Neunmalklug / (c) by Warner Bros.

Der Neunmalklug ist besserwisserisch und vorlaut – und ziemlich egoistisch. Als der Polarexpress an einem Kaufhaus vorbeifährt, verkündet er, alle Geschenke, die man in den Schaufenstern sieht, will er für sich haben. Und als die Kinder vor dem Weihnachtsmann stehen, fordert er lautstark, für das erste Geschenk ausgewählt zu werden. Zurechtgewiesen wird er vom Weihnachtsmann selbst, der findet „Geduld und ein Quäntchen mehr Demut“ würden ihm ganz gut stehen. Offenbar ist er von seinem Wissen so sehr überzeugt, dass er meint, alles zu wissen und immer Recht zu haben. Und für Konsequenzen geradestehen will er schon gleich gar nicht. Zwar ist er es, der Hero Boy auf die Notbremse aufmerksam macht, als Billy dem Zug nachläuft, als aber der Schaffner laut polternd zur Tür hereinkommt, schwärzt Neunmalklug sofort Hero Boy an – schließlich hat der die Notbremse gezogen. Auch er macht am Ende eine Wandlung mit, als er zuerst dem Weihnachtsmann Recht gibt und vor dem Schaffner zugibt, einen Fehler gemacht zu haben. Wie bei Hero Girl ist der Konflikt nicht so stark ausgearbeitet, aber auch er ist keine Hauptfigur – in weiten Teilen des Films fehlt er vollständig.

Billy

Billy / (c) by Warner Bros.
Billy / (c) by Warner Bros.

Ausgerechnet der scheinbar Schwächste hat das stärkste Element in dieser Geschichte: Wir erfahren seinen Namen. Billy lebt in der Gegend, „wo die Armen wohnen“, wie Neunmalklug es ausdrückt. Sein Haus ist einfach und düster. Und wie Hero Boy zögert auch er, die Fahrt zum Nordpol mitzumachen. Als er dann doch an Bord kommt, wird deutlich, wie desillusioniert Billy bereits ist: anstatt zu den anderen Kindern zu gehen, steigt er allein in den letzten Wagen und bleibt dort auch. Freundlichkeiten und Freundschaft kennt er nicht, er hat „gelernt“, wo sein Platz im Leben ist – abseits von allen anderen, von Gesellschaft ausgeschlossen. Seine Wandlung im Film ist, dass er Zutrauen zu anderen Menschen und Zuversicht findet. Das vollzieht sich in mehreren Schritten: Billy redet die erste Hälfte des Films gar nicht, bevor Hero Boy und Hero Girl ihn belauschen, wie er traurig „When Christmas comes to Town“ singt. Weihnachten kennt er nicht, es „funktioniert“ für ihn einfach nicht. Und als er in der Fabrik des Weihnachtsmannes ein Geschenk findet, das an ihn adressiert ist, ändert sich schließlich alles. Zwar wirkt er immer noch unsicher, aber er vertraut seinen neuen Freunden.

Der Schaffner

Der Schaffner / (c) by Warner Bros.
Der Schaffner / (c) by Warner Bros.

Ich sprach zuvor von den „Archetypen“ in einer Heldenreise. Der Schaffner im „Polarexpress“ ist so ein Archetyp, sogar mehrere. Am Anfang ist er der Botschafter, der den Ruf des Abenteuers überbringt, dann wird er zum Mentor. Deutlich wird das durch die Fahrkarten, die er nicht einfach nur abknipst, sondern in die er ein Schlagwort schreibt, das den inneren Konflikt des jeweiligen Kindes beschreibt. Dabei beschränkt er sich am Anfang auf einzelne Buchstaben, die keinen Sinn zu ergeben scheinen. Erst am Ende der Reise löst er das Rätsel auf, indem er die Worte vervollständigt. Der Schaffner übergibt damit das „Elixir“, nach dem die Helden gesucht haben und das sie in ihre Welt mitnehmen. Die Rolle des Mentors wird bei ihm besonders deutlich, wenn es um Gründe für etwas geht. Zwar poltert er ständig wegen seinem Fahrplan, den er einzuhalten hat, wenn es aber einen Grund für eine Verzögerung gibt (wie etwa das Ziehen der Notbremse, damit Billy einsteigen kann), wird er gleich viel sanfter. Auch als Hero Girl eine Tasse Kakao auf die Seite schafft, geht er nicht gleich davon aus, dass sie das gemacht hat, um sich selbst eine Extraportion zu sichern. Er weiß, dass sie nur ihrem Verantwortungsbewusstsein gefolgt ist und ermutigt sie. Interessant ist auch die Tatsache, dass die ganze Zeit über fünf Minuten vor Mitternacht ist, und zwar von dem Moment an, da der Zug vor dem Haus von Hero Boy hält, bis zu dem Moment, da der Schlitten des Weihnachtsmanns fertig gepackt ist. So kann der Polarexpress pünktlich am Nordpol eintreffen und die Tatsache, dass „wir sogar noch fünf Minuten Zeit“ haben, lässt dem Schaffner Tränen der Rührung in die Augen steigen. Der Schaffner ist es am Ende auch, der Hero Boy den wesentlichen Satz über jede Heldenreise sagt: Wohin die Reise geht, ist nicht wichtig. Wichtig ist, sie überhaupt anzutreten. Also, sich der inneren Herausforderung zu stellen.

Der Landstreicher

Der Landstreicher / (c) by Warner Bros.
Der Landstreicher / (c) by Warner Bros.

Auf dem Dach des Polarexpress macht Hero Boy eine merkwürdige Bekanntschaft – ein Landstreicher, der dort sein Lager (einschließlich Lagerfeuer) aufgeschlagen hat und sich selbst als „König vom Polarexpress, ja, Herr über den gesamten Nordpol“ bezeichnet. Der Archetyp, den er verkörpert, nennt sich „Trickster“, man weiß nie so genau, mit wem man es zu tun hat. Im Fall des Landstreichers gilt das sogar doppelt, nicht nur, dass er eine undurchschaubare Persönlichkeit hat, manchmal hilft und Hero Boy auch manchmal ärgert – auch was er ist, kommt nie so wirklich raus. Es gibt einen Hinweis, als er Hero Boy fragt, ob er an Geister glaubt und jener verneint. Darauf meint der Landstreicher: „Interessant…“ Aus dem Film wurde eine Szene entfernt, in der die beiden Lokführer Smokie und Steamer vom „König“ hören und zitternd seine Geschichte erzählen: Er war ein Landstreicher, der auf das Dach des Zugs gesprungen war, um mitzufahren, doch beim „Flattoptunnel“ wurde er heruntergerissen und nie wieder gesehen (den „Flattoptunnel“ zeichnet aus, dass zwischen der Tunneldecke und der Bahn kaum Platz ist). In späteren Szenen erscheint der Landstreicher aus dem Nichts und verschwindet in einer Schneeverwehung. In den Szenen mit Hero Boy bringt er auf den Punkt, was die Zweifel in ihm auslöst: Hero Boy möchte an den Weihnachtsmann glauben, er möchte aber nicht hinters Licht geführt werden. Und er macht klar, was Hero Boy ist: ein Zweifler. Es ist auch die Stimme des Landstreichers, die der Junge zuerst hört, als er das Glöckchen vom Schlitten des Weihnachtsmann schüttelt und ihm keinen Ton entlocken kann.

Der Weihnachtsmann

Der Weihnachtsmann (links) mit Hero Boy und dem Schaffner. / (c) by Warner Bros.
Der Weihnachtsmann (links) mit Hero Boy und dem Schaffner. / (c) by Warner Bros.

Eigentlich ist es die zentrale Figur in der Geschichte, aber er kommt erst am Schluss vor und hat dort einen bemerkenswerten Satz: “Dieses Glöckchen ist ein wunderbares Sinnbild für Weihnachten. Ebenso wie ich.” Er macht damit deutlich, dass auch er selbst ein „Sinnbild“ sei, was den Konflikt von Hero Boy auflöst. Es geht nicht darum, ob es den Weihnachtsmann wirklich gibt, oder nicht, denn, das fügt er selbst noch hinzu: „Der wahre Geist der Weihnacht wohnt in Deinem Herzen.“ Hero Boy hat seine Aufmerksamkeit ganz auf die Rationalität gerichtet – am Nordpol gibt es kein Leben, also auch keine Weihnachtsstadt. Würde der Weihnachtsmann alle Kinder der Welt beschenken wollen, müsste sein Schlitten riesig sein, um alle die Geschenke zu transportieren, außerdem müsste er schneller als das Licht sein, um rechtzeitig überall auf der Welt zu sein. Aber darum geht es nicht, es geht nicht darum, ob es „funktioniert“, es geht um den Geist dahinter. Entsprechend lautet die Botschaft des Films nicht, wir sollen alle (wieder) an den Weihnachtsmann glauben, sondern unter die Oberfläche zu blicken. Auf den „Geist“ der Weihnacht.

Weitere Figuren

Hero Boy, Billy und Hero Girl / (c) by Warner Bros.
Hero Boy, Billy und Hero Girl / (c) by Warner Bros.

In dem Film kommen zudem noch weitere Figuren vor, die Eltern von Hero Boy, seine Schwester Sarah, weitere Kinder, die im Polarexpress mitreisen und die Weihnachtswichtel, die bis zuletzt die Weihnachtsstadt am Laufen halten. Alle diese Figuren spielen jedoch noch eine Nebenrolle – mehr oder weniger. Aber dazu schreibe ich mehr im letzten Artikel zum Film.

Nun haben wir uns die Handlung des Films genau angesehen und die einzelnen Figuren. 1 Minute nach diesem Artikel wird ein weiterer veröffentlicht, der eine Zusammenfassung und den Blick auf den Kern der Geschichte enthält.

„Der Polarexpress“ von Robert Zemeckis – eine Filmbetrachtung, Teil 1

Der Polarexpress / (c) by Warner Bros.

„Mit den Zügen verhält es sich so: Wohin man fährt, ist nicht so wichtig. Wichtig ist, die Entscheidung zu treffen, einzusteigen!“

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„Der Polarexpress“ war ursprünglich ein grafisches Kinderbuch von Chris van Allsburg, der ebenfalls die Vorlage für den Film „Jumanji“ lieferte. In großen Bildern wurde die Geschichte eines Jungen erzählt, der in einem Zug mit einer alten Dampflok zum Nordpol reist, um dort den Weihnachtsmann zu treffen. Der Regisseur Robert Zemeckis setzte das Werk als Film um, der 2004 in die Kinos kam. Zusätzlich wurde noch eine 3D-Version für die IMAX-Kinos erstellt. Eine Kurzfassung dieser 3D-Version läuft beispielsweise im 4D-Kino im Europa-Park Rust.

Für den Film wurde die Geschichte aufgearbeitet und in die Form einer klassischen Erzählung gebracht. Dabei wurde der Geist von van Allsburg bewahrt, dessen Geschichten gerne eine (manchmal auch sehr düster vorgebrachte) Moral beinhalten. Passend zum heutigen Tag möchte ich einen ausführlichen Blick auf „Der Polarexpress“ und seine Hintergründe werfen. Dazu werde ich hier sehr ausführlich auf die Handlung eingehen und auch Dinge verraten. Sollten Sie sich die Überraschung nicht verderben lassen wollen, empfehle ich Ihnen, den Film erst einmal selbst zu sehen und dann hierher zurück zu kommen, um sich meine Gedanken dazu durchzulesen. Einen Einblick in den Film bietet die offizielle Vorschau:



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„Der Polarexpress“ – eine Heldenreise

Das Konzept des Films um den „Polarexpress“ folgt der Idee der so genannten mythologischen „Heldenreise“, bei der eine Roman(oder Film-)figur die Stationen einer Reise erlebt, an deren Ende sich diese Figur gewandelt hat. Die Reise muss dabei nicht im wörtlichen Sinn stattfinden, auch eine „geistige“ Reise ist damit gemeint. Die heutzutage bekannteste „Heldenreise“ dürfte „Der Herr der Ringe“ sein.

Beim „Polar-Express“ wird das Konzept so weit getrieben, dass wir von den wichtigsten Figuren nicht einmal die Namen erfahren. Selbst im Drehbuch gab es die nicht, der Junge, dessen Geschichte erzählt wird, hieß dort schlicht „Hero Boy“, das Mädchen, auf das er im Zug trifft, „Hero Girl“. Auf die Figuren möchte eingehen, wenn es mir um den Kern der Geschichte geht. Deswegen zunächst einmal die Handlung.

„Und? Kommst Du mit?“

Am Abend vor Weihnachten vor vielen Jahren lag ich still in meinem Bett. Ich raschelte nicht mit dem Laken und atmete langsam und leise. Denn ich lauschte auf ein Geräusch, das ich befürchtet hatte, niemals zu hören: das Schlittengeläut des Weihnachtsmannes.

Die Einführung von „Der Polarexpress“

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Es ist Weinachtsabend. Ein Junge liegt in seinem Bett und kann nicht so recht einschlafen. Er bekommt mit, wie seine Eltern seiner jüngeren Schwester Sarah vom Weihnachtsmann erzählen. Dabei kommt eins heraus: Der Junge hält sich selbst für zu alt, um noch an den Weihnachtsmann zu glauben. Er hat sogar in Lexikas nachgelesen, um sich zu vergewissern, dass es am Nordpol kein Leben gibt – und erst recht keine Stadt vom Weihnachtsmann. Mit diesen Gedanken im Kopf versucht der Junge einzuschlafen, was ihm nicht recht gelingt. Er lauscht dem Ticken des Weckers, das schlagartig verstummt. Es ist 5 vor 12. Auf einmal beginnt die Erde zu beben und etwas Lautes, Erleuchtetes fährt draußen an den Fenstern vorbei. Der Junge springt aus dem Bett, schnappt sich seinen Morgenmantel – wobei er mit einer Tasche am Bett hängenbleibt und diese aufreißt – und rennt nach draußen. Mitten auf der verschneiten Straße direkt vor seinem Haus steht ein Zug mit einer Dampflok.

Ein Schaffner ruft laut: „Alles einsteigen!“ und fragt ihn, ob er mitkommen will. Auf die Frage nach dem „Wohin“ antwortet der Schaffner: „Na, zum Nordpol natürlich! Das ist der Polarexpress!“ Der Junge jedoch zögert, obwohl ihm der Schaffner dringend rät, mitzukommen. Doch als sich der Zug in Bewegung setzt, überlegt es „Hero Boy“ sich nochmal und rennt los. Im letzten Moment gelingt es ihm, aufzuspringen. Im Wagon empfängt ihn der Schaffner – wortlos, so als ob er damit gerechnet hätte, dass das passiert. Tatsächlich handelt es sich hierbei um ein klassisches Motiv – der Held der Geschichte weigert sich, dem Ruf des Abenteuers Folge zu leisten. Er muss erst ein Opfer bringen – in diesem Fall sich selbst überwinden -, bevor es losgehen kann.

Hero Boy kommt in einen Wagon, in dem sich lauter Kinder befinden, die – wie er selbst – Schlafanzüge respektive Nachthemden tragen. Offenbar sind auch diese Kinder für die Reise aus dem Bett geholt worden. Unsicher tappt er durch die Reihen und setzt sich schließlich irgendwo hin. Ein Mädchen von der Sitzbank auf der anderen Seite des Durchgangs – Hero Girl – lächelt ihn freundlich an, als er plötzlich mit einer Frage attackiert wird: „Weißt Du, was das hier für ein Zug ist?“ Neunmalklug, ein Junge mit einem Schlafanzug, auf dem eine Rakete abgebildet ist, überfällt ihn mit technischen Details der Lok und der Wagons, während Hero Girl schlicht meint, es handele sich hierbei um einen „Zauberzug“. Hero Boy ist noch mehr verunsichert. „Fahren wir wirklich zum Nordpol?“, will er wissen, was Hero Girl begeistert bejaht.

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Bevor sie jedoch mehr sagen kann, fährt der Zug an einem großen Kaufhaus vorbei, was bei allen Kindern Begeisterung auslöst. Dabei kommt heraus, dass Neunmalklug nicht nur vorlaut, sondern auch ziemlich egoistisch ist, als er betont, dass er die Geschenke, die in den Schaufenstern zu sehen sind, alle für sich haben will. Hero Boy achtet aber mehr auf den Weihnachtsmann, der ebenfalls im Schaufenster steht. Wie zur Bestätigung seiner Zweifel kann man sehr deutlich sehen, dass „Santa“ nicht echt, sondern eine Animatronic-Figur ist.

Der Schaffner betritt erneut den Wagen – Fahrkartenkontrolle. Sehr zu seiner Verwunderung findet Hero Boy in der Tasche seines Morgenmantels eine goldene Fahrkarte, die der Schaffner auf ungewöhnliche Weise entwertet: anstatt – wie früher üblich – einfach ein Loch reinzuknipsen, knipst er gleich eine Reihe von Löchern, die die Buchstaben „G“ und „N“ formen. Der Neunmalklug beschwert sich über seine Fahrkarte, in die der Schaffner „LE“ geknippst hat.

Doch schon geht es weiter: der Zug hält in der „Edbroke Avenue“, die Gegend, in der laut dem Neunmalklug „die Armen wohnen“. Die Kinder beobachten, wie der Schaffner vor einem düsteren, einfachen Haus mit einem kleinen Jung spricht und ihm das gleiche sagt, wie „Hero Boy“ – alles einsteigen, es geht zum Nordpol, das ist der Polarexpress. Doch auch dieser Junge, dessen Name, wie wir später erfahren, „Billy“ lautet, möchte zuerst nicht einsteigen. Der Polarexpress fährt wieder an, doch auch Billy überlegt es sich nochmal anders – leider zu spät. Er rennt, was er kann, stolpert aber und fällt hin. Hero Boy zieht die Notbremse, nachdem Neunmalklug ihn darauf aufmerksam gemacht hat. Billy kann nun einsteigen, geht allerdings in den letzten Wagen, in dem er ganz allein ist. In dem Moment poltert der Schaffner zur Tür herein und verlangt zu wissen, wer die Notbremse gezogen hat. Die Strafpredigt für Hero Boy wird von Hero Girl unterbrochen, die erklärt, dass er die Notbremse nur gezogen habe, damit der andere Junge einsteigen kann. Danach wird der Tonfall des Schaffners etwas milder, obwohl er immer noch grummelt, dass ein Fahrplan einzuhalten sei und es noch nie Verspätungen bei „seinem“ Zug gegeben habe.

Doch sofort ändert sich die Stimmung, als der Schaffner über die Sprechanlage nachfragt, wer von den Reisenden Durst habe. Als alle Kinder sich melden, tritt eine Akrobaten-Küchencrew auf, die den Kindern zu den Klängen eines Liedes mit dem Titel „Hot Chocolate!“ Kakao serviert. Heimlich schafft Hero Girl eine volle Tasse Kakao auf die Seite. Nachdem die Küchencrew wieder abgezogen ist, will sie damit in den letzten Wagen, um sie Billy zu bringen. In dieser Szene wird der Kontrast zwischen Hero Boy und Hero Girl sehr deutlich: Sie ist eine „Macherin“, die an andere denkt – er zieht alles in Zweifel. Als Hero Girl meint, ihr werde schon nichts passieren, fragt Hero Boy: „Bist Du ganz sicher?“ Er schafft es fast, sie von ihrem Vorhaben abzubringen, als der Schaffner erneut reinkommt. Doch er will keine Strafpredigt halten, weil Hero Girl heimlich eine Tasse Kakao auf die Seite geschafft hat. Er erkennt ihre Absicht und fragt: „Hat denn das Bübchen im letzten Wagen schon Kakao gehabt? Na, dann wird’s aber höchste Eisenbahn!“



Der Polarexpress / (c) by Warner Bros.
Der Polarexpress / (c) by Warner Bros.




Nachdem der Schaffner mit Hero Girl den Wagen verlassen hat, sieht Hero Boy die Fahrkarte des Mädchens auf ihrem Sitz liegen. Er will sie ihr bringen, allerdings tut sich ein Hindernis auf: die Wagen des Zugs sind separat, man kann nicht so einfach von einem zum anderen gehen. Während er zögernd auf der Plattform des Wagens steht, reißt ihm der Fahrtwind die Karte von Hero Girl aus der Hand. Was aber niemand mitbekommt: über eine abenteuerliche Reise mit einem Adler kommt die Karte zurück zum Polarexpress und bleibt in einem der Lüftungsschlitze hängen.

Dummerweise will der Schaffner in diesem Moment die Fahrkarte sehen. Hero Boy bekennt sich zwar schuldig und will dem Mädchen seine geben, doch der Schaffner lehnt ab: die Karten sind nicht übertragbar. Er führt Hero Girl zurück in den letzten Wagen, was Neunmalklug zu der Spekulation veranlasst, er werde sie dort aus dem Zug werfen. Um zu verhindern, dass dem Mädchen etwas passiert, will Hero Boy nochmal die Notbremse ziehen – und entdeckt die Fahrkarte im Lüftungsschlitz. Er will sie ihr bringen, überwindet die Lücke zwischen den zwei Wagons mit einem beherzten Sprung, und findet niemanden außer Billy im letzten Wagen vor. Der blickt schüchtern nach oben – der Schaffner und das Mädchen befinden sich auf dem Dach des Zugs!

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Hero Boy klettert über eine Leiter ebenfalls auf das Dach, doch die beiden sind auf dem Weg zur Lok und zu weit weg, um sein Rufen zu hören. Der Junge läuft ihnen nach und trifft unerwarteterweise auf einen Landstreicher an einem Lagerfeuer. Er zeigt sich erstaunt über die Fahrkarte, erklärt aber, er brauche keine – er springe auf den Zug, wann immer ihm danach sei. Er sei praktisch der König vom Polarexpress – der Herr über den Nordpol. Hero Boy fragt, ob denn nicht der Weihnachtsmann der Herr über den Norpol sei, worauf der Landstreicher zurückfragt, wie er denn zum Weihnachtsmann stehe. Hero Boy gibt zu, dass er gern an den Weihnachtsmann glauben möchte, aber… Der Landstreicher beendet den Satz: „Du willst Dich nicht behummsen lassen. Du willst nicht, dass man Dir ’n X für’n U vormacht. Du willst Dich nicht verschaukeln lassen!“ Der Landstreicher nennt mindestens noch vier weitere Synonyme für „jemanden reinlegen“, bevor er den zentralen Satz des Films sagt: „Sehen heißt glauben!“ Hero Boy wird wieder unsicher: „Wir fahren doch alle zum Nordpol… oder ist das alles ein Traum, wie Sie sagen?“ Der Landstreicher widerspricht: „Das waren DEINE Worte, nich‘ meine!“ Dann will er dem Jungen helfen, Hero Girl wiederzufinden. Zuvor stellt er aber noch eine Frage: „Glaubst Du an Geister?“ Der Junge verneint, wozu der Landstreicher nur meint: „Interessant…“

Sehen heißt glauben!

Als der Landstreicher ein paar Schritte in die Nacht geht, glaubt Hero Boy, er sei in einem Traum und will aufwachen. Er kneift sich selbst und wirft sich selbst Schnee ins Gesicht, was aber nichts bringt. Plötzlich taucht der Landstreicher vor ihm auf – auf Skiern. Der Zug fährt nun eine steile Abfahrt herunter, das können die beiden ausnutzen, um abwärts zu fahren. Das müssen sie auch, denn direkt nach der Abfahrt kommt ein Tunnel – und zwischen dem Dach des Zugs und der Tunneldecke ist nur ein Zentimeter Platz. Tatsächlich erreichen die beiden noch kurz vor dem Tunnel den ersten Wagon. Der Landstreicher ruft Hero Boy zu, er solle springen – und verschwindet spurlos. Der Junge springt…

…und landet im Kohlentender der „Dicken Berta“, wie der Landstreicher die Lok genannt hat. Sehr zur Überraschung des Jungen findet sich Hero Girl am Steuer der Lok wieder. Die beiden Lokführer Smokie und Steamer sind am Vorderteil der Lok zugange, wo sie eine kaputte Lampe auswechseln. Als das Licht wieder leuchtet, erkennen die beiden ein Hindernis und rufen dem Mädchen zu, sie soll den Zug stoppen. Doch Hero Boy zweifelt schon wieder – er bezweifelt, dass sich Hero Girl an den richtigen Hebel zum Stoppen des Zugs erinnert, weil ein anderer „auch wie ’ne Bremse“ aussieht. Seine Zweifel stecken sie an, so dass sie wie gelähmt ist. Schließlich entscheidet sich der Junge dafür, doch den Hebel zu ziehen, den Hero Girl benannt hat – und der Zug hält an.

Natürlich ruft das den Schaffner auf den Plan, der sofort wieder von dem Fahrplan anfängt, den es einzuhalten gilt. Doch dann sieht er, was für den Stopp gesorgt hat: eine Karibuherde, die das Gleis blockiert. Durch einen Zufall findet der Schaffner dann aber heraus, wie man die Karibus dazu bringen kann, das Gleis freizumachen. Der Zug fährt wieder an, während sich der Schaffner, der Junge und das Mädchen noch am Kopf der Lokomotive befinden.

Als der Zug auf die Gletscherschlucht – einer Schlucht mit 99 % Gefälle – zufährt, geht der Hebel kaputt, der die Geschwindigkeit reguliert. Erst auf dem zugefrorenen Gletschersee bringen Smokie und Steamer den Zug wieder zum Stehen. Als das Mädchen bei der Schlitterparty über den See fast vom Zug fällt, wird sie vom Lokführer festgehalten, dieser vom Jungen – und dieser wiederum von dem Landstreicher, der aus dem Nichts auftaucht und wieder ins Nichts verschwindet. Doch als das Eis des Sees anfängt, aufzubrechen, müssen sich Smokie und Steamer beeilen, den Zug zurück an Land und aufs Gleis zu bringen.

Nun bekommt das Mädchen endlich seine Fahrkarte wieder und der Schaffner kann sie abknipsen – er knipst auch ihr die Buchstaben „LE“ in den Schein. Auf dem Rückweg in den Wagon erzählt der Schaffner, wie er auf seiner ersten Fahrt beinahe einmal vom Zug gefallen sei. Er habe sich nicht mehr festhalten können – und doch sei er nicht gestürzt, weil er gerettet worden sei. Von jemandem. Oder etwas. Auf die Frage von Hero Boy, ob der Schaffner seinen Retter gesehen habe, antwortet der: „Bedaure. Man sagt zwar ’sehen heißt glauben‘, aber manchmal sind die wertvollsten Dinge diejenigen, die wir nicht sehen.“

Der Weg zurück in den Zug führ die drei durch den Frachtwagen. Dort befinden sich alte Spielsachen, die am Nordpol wieder runderneuert werden sollen. Der Junge sieht sich eine Marionette genau an und merkt nicht, dass der Schaffner und das Mädchen bereits weitergegangen sind. Plötzlich legt ihm eine Marionette die Hand auf die Schulter – sie ist ein Abbild von Ebenezer Scrooge (aus Charles Dickens „Christmas Carol“) und fährt ihn an: „Du bist wie ich: ein Zweifler! … Du glaubst nicht!“ Doch es ist der Landstreicher, der durch eine Dachluke die Fäden der Marionette bedient. Erschreckt flüchtet der Junge.

Er findet Hero Girl im letzten Wagen wieder bei Billy, der ein sehnsüchtiges Lied über Weihnachten singt („When Christmas comes to Town“), da es für ihn bisher nicht wirklich Weihnachten gegeben hat. Dann endlich erreicht der Zug den Nordpol – und zwar um 5 Minuten vor Mitternacht. Dass man doch pünktlich ist, rührt den Schaffner so sehr, dass ihm die Tränen kommen.

Nun wird auch klar, was das besondere an der Reise ist: der Weihnachtsmann wird einem der Kinder das erste Weihnachtsgeschenk übergeben. Als sich die Kinder darauf vorbereiten, zum Hauptplatz der Weihnachtsstadt zu gehen, fällt Hero Girl auf, dass Billy immer noch im Zug sitzt. Sie will ihn überreden mitzukommen, da er glaubt, dass Weihnachten für ihn „nicht funktioniert“. Bevor ihr das gelingt, wird allerdings der Wagon abgekuppelt, in dem sich die drei befinden, und fährt rasant durch die Weihnachtsstadt. Mit Hilfe des plötzlich erscheinenden Landstreichers findet Hero Boy die Bremse und kann den Wagen auf einer Drehscheibe zum Stehen bringen.

In dem Moment hört Hero Girl ein Schlittenglöckchen – Hero Boy allerdings nicht. Das Mädchen führt die drei dem Klingeln nach durch die Fabrik des Weihnachtsmanns, bis sie bei einem Transportband ankommen, auf dem sich noch ein Päckchen befindet, das an Billy adressiert ist. Da Billy sich weigert, das Päckchen loszulassen, landen die drei im Sack des Weihnachtsmannes, wo sie von den Wichteln entdeckt werden. So kommen auch sie schließlich zum Hauptplatz der Weihnachtsstadt – und es ist immer noch 5 Minuten vor Mitternacht.

Die Kinder erleben, wie der Schlitten des Weihnachtsmannes gerichtet wird. Dazu bringen Wichtel das Geschirr mit den Glocken an, deren Klang Hero Girl zuvor schon gehört hat. Aber Hero Boy hört immer noch nichts. Dann öffnet sich die Tür des Hauptgebäudes, in der der Weihnachtsmann steht – Hero Boy kann ihn nicht sehen, weil immer irgendjemand im Weg steht. Da löst sich eines der Glöckchen vom Schlittengeschirr und fällt mit einem dumpfen Geräusch dem Jungen direkt vor die Füße. Als er es aufhebt und schüttelt, hört er nichts außer der Stimme des Landstreichers, die vorwurfsvoll „Zweifler!“ flüstert.

Nun versucht er, sich zu konzentrieren. Fast schon verzweifelt murmelt er vor sich hin: „Ich will glauben!“ Dann schüttelt er das Glöckchen nochmal – und hört sein Klingeln. Fasziniert betrachtet er das glänzende Metall der Glock, als er feststellt, dass der Weihnachtsmann neben ihm steht und fragt: „Was hast Du da eben gesagt?“ Der Junge stammelt: „Ich glaube… ich glaube… ich glaube, das gehört Ihnen.“ Damit gibt er das Schlittenglöckchen zurück. Der Weihnachtsmann bedankt sich und wählt ihn aus, das erste Geschenk zu bekommen. Als er fragt, was der Junge haben möchte, wählt er… das Glöckchen. Der Weihnachtsmann gewährt den Wunsch und meint: „Dieses Glöckchen ist ein wunderbares Sinnbild für Weihnachten. Ebenso wie ich.“

Dann schlägt die Uhr Mitternacht. Der Schlitten des Weihnachtsmannes erhebt sich in die Lüfte und fliegt davon. Die Kinder werden zurück in den Polarexpress gebracht. Nun klärt sich auf, was die Buchstaben bedeuten, die der Schaffner in die Karten geknipst hat: es sind Worte, die den Kindern den Weg weisen sollen. Aus dem „LE“ des Neunmalklugs macht der Schaffner „LERNEN“ (er soll Demut und Geduld lernen), aus dem „ZU“ auf Billys Karte wird zuerst „ZUNEIGUNG“, dann, als er die Karte nochmal dreht, „ZUTRAUEN“, schließlich „ZUVERSICHT“ (er soll sein Misstrauen und seine negative Einstellung überwinden). Das „LE“ auf der Karte von Hero Girl erweitert der Schaffner zu „LEITEN“ (sie soll ihrer Führungsrolle annehmen), die Buchstaben „G“ und „N“ bei Hero Boy bilden Anfang und Ende von „GLAUBEN“.

Im Zug schließlich wollen alle Kinder das Glöckchen sehen, das Hero Boy bekommen hat. Doch er hat es verloren – gedankenverloren hat er es in die kaputte Tasche seines Morgenmantels gesteckt. Zwar wollen ihm die anderen Kinder beim Suchen helfen, doch es ist zu spät. Der Polarexpress ist schon auf dem Rückweg.

Die Kinder werden in umgekehrter Reihenfolge zu Hause abgesetzt, also Billy zuerst. Bei ihm war der Weihnachtsmann schon – und auch das Haus, in dem er wohnt, ist jetzt festlich geschmückt. Als Hero Boy aussteigt, sagt der Schaffner zu ihm: „Mit den Zügen ist es so: Wo man hinfährt, ist egal. Wichtig ist die Entscheidung, einzusteigen.“ Und als er sich an der Tür seines Hauses nochmal umdreht, um den abfahrenden Zug zu betrachten, sieht er auf dem Dach den Landstreicher, der zum Abschied winkt, um sich dann in ein Schneetreiben aufzulösen. Im Haus ist noch alles unverändert – der Weihnachtsmann war noch nicht da gewesen. Billy geht die Treppe nach oben in sein Zimmer…

…und fast ohne Übergang wird er von seiner Schwester geweckt, die aufgeregt erzählt, dass der Weihnachtsmann gekommen sei. Hero Boy steht schlaftrunken auf und will seinen Morgenmantel vom Bettpfosten nehmen. Dabei bleibt dieser mit der Tasche hängen und sie reißt auf – genauso wie zuvor, als er aufstand, um zum Polarexpress zu laufen.

Schließlich sind alle Geschenke ausgepackt… wirklich alle Geschenke? Nein, die Schwester findet noch einen kleinen Karton, auf dem der Name von Hero Boy steht. Er öffnet ihn – und sehr zu seinem Erstaunen findet er darin das Glöckchen vom Schlitten des Weihnachtsmannes, zusammen mit einem Zettel, der von „W.“ unterschrieben ist und mitteilt, dass das Glöckchen im Schlitten gelegen habe und Hero Boy solle doch das Loch in seiner Tasche stopfen. Die Eltern kommen dazu und bewundern das Glöckchen, doch sie können seinen Klang nicht hören.

Es gab eine Zeit, da konnte fast jeder meiner Freunde das Glöckchen hören. Aber nach und nach verstummte es für alle. Und es kam ein Weihnachtstag, an dem selbst Sarah seinen süßen Klang nicht mehr hörte. Für mich jedoch klingt das Glöckchen nach wie vor, obwohl ich alt geworden bin. Und das gilt für alle, die wirklich daran glauben.
Das Schlusswort von „Der Polarexpress“

Soweit die Handlung von „Der Polarexpress“. Im zweiten Teil werfe ich einen genauen Blick auf den Hintergrund und das Innerste der Geschichte. Der zweite Teil wird genau 1 Minute nach diesem Artikel veröffentlicht, Sie finden ihn, indem Sie auf den nächsten Artikel in der Reihe klicken.

„Tim und Struppi“-Film: „Das Geheimnis der Einhorn“ 2011

Tim und Struppi: Das Geheimnis der Einhorn (Comic-Cover)
Tim und Struppi: Das Geheimnis der Einhorn (Comic-Cover)

Fast genau ein Jahr ist es her, als ich in diesem Blog eine Artikel-Reihe über die Abenteuer von „Tim und Struppi“ veröffentlichte (eine Übersicht über die Artikel gibt es hier).  In dem Artikel habe ich kurz die geplante „Tim und Struppi“-Kinofilm-Trilogie angesprochen, von der damals noch nicht sehr viel bekannt war. Seit Anfang des Jahres kamen einige Meldungen, dass das Projekt weiter fortschreitet und zurzeit gedreht wird – und zwar im „Motion Capture“-Verfahren, da der Film kein Real-, sondern ein Computerwerk werden soll.

Mittlerweile ist sogar ein Datum für den Start bekannt gegeben worden. Laut „The Hollywood Reporter“ soll der Film, der den Titel „Tintin – The Secret of the Unicorn“ („Das Geheimnis der Einhorn“) trägt, am 23. Dezember 2011 in die Kinos kommen. Allein der Titel legt es schon nahe, aber auch die Besetzung, dass das gleichnamige Album von Hergé die Grundlage für die Geschichte des Films  hergeben soll. Die Darsteller für die verschiedenen Rollen sind unter anderem Jamie Bell als Tim, Andy Serkis („Gollum“ aus „Herr der Ringe“) als Kapitän Haddock und Daniel Craig („James Bond“) als Rackham der Rote. Soweit die Fakten. Was jetzt folgt, sind ein paar Spekulationen von mir. Dabei werde ich auf die vermutlich Handlung des Films eingehen. Wenn Sie sich das nicht verderben lassen wollen, wäre jetzt ein guter Zeitpunkt, das lesen an diesem Artikel zu beenden.

ACHTUNG! AB HIER SPEKULATION UND SPOILER!

Ich lese da noch ein paar interessante Rollen in dem Film, nämlich Allan (dargestellt von Daniel Mays), Ben Salaad, Bianca Castafiore und ein namenloser „Afgar Outpost Soldier“. Allan ist Haddocks verbrecherischer erster Offizier an Bord der Karaboudjan in „Die Krabbe mit den goldenen Scheren„. Aus dem gleichen Album stammt auch (Omar) Ben Salaad, der Kopf einer Opiumschmuggler-Bande. Und in dieser Geschichte findet die „historische“ Begegnung von Tim und Kapitän Haddock statt. Es sieht also so aus, als seien für diese Kinoversion von „Das Geheimnis der Einhorn“ einige Elemente aus „Die Krabbe mit den goldenen Scheren“ mit eingeflossen. Sehr viele offenbar, denn auf der Liste fehlen andererseits wichtige Figuren, wie etwa die Brüder Vogel-Faull (wobei es natürlich sein kann, dass diese einfach nicht gelistet wurden – oder erst in der Fortsetzung wirklich auftauchen). Müsste ich spekulieren, könnte ich mir vorstellen, dass Haddock versucht, den Schatz seines Ahnen Franz von Hadoque zu finden, während Allan ihn mit Alkohol ruhig stellt und seinen Opiumschmuggel durchzieht. Wie die Castafiore da reinpasst, ist mir selbst noch nicht ganz klar.

Ich werde das jetzt nicht werten. Ich kenne die Handlung nicht. Außerdem ist mir bewusst, dass Kino einer anderen Dynamik folgen muss als ein Comic. Und es kommt dazu, dass die Comics von Tim und Struppi weltweilt bekannt sind. Wenn man sich sklavisch an die Vorlage hält, erzählt man nichts Neues. Vielleicht gelingt es den Autoren (Joe Cornish, Steven Moffat und Edgar Wright), die bekannten Geschichten zu etwas zu verbinden, das auch den langjährigen Fans, die das Vorbild in- und auswendig kennen, Überraschungen zu bieten vermag. Obwohl, eine Überraschung darf eigentlich keine sein: der große Bösewicht im Hintergrund – wenn er denn in der Handlung vorgesehen ist. Denn wenn es ihn gibt, dann kann es sich nur um einen handeln: Roberto Rastapopoulos. Jede andere Lösung läuft Gefahr, die Fans zu enttäuschen.

Ich persönlich bin schon sehr gespannt.

STAR TREK – Der neue Film 2009

STAR TREKIn einer fernen Zukunft: Ein Raumschiff der Sternenflotte trifft auf eine Anomalie im Weltraum, wird beschossen und schwer beschädigt. Der Kommandant des feindlichen Schiffes, ein Romulaner,  will mit dem Captain des Sternflottenschiffes verhandeln, wozu er selbigen zu sich an Bord kommen lässt. Doch der Captain wird getötet und der Feind eröffnet erneut das Feuer. Der momentane kommandierende Offizier, ein gewisser Kirk, lässt das Schiff evakuieren und schützt die davonfliegenden Notshuttles dadurch, dass er den Feind mit dem eigenen Schiff rammt. Kirk kommt dabei ums Leben, doch seine Frau entkommt, die während der Flucht einen Sohn auf die Welt bringt: James Tiberius.

Selbiger James Tiberius Kirk wächst zu einem rebellischen jungen Mann heran, der nicht so recht weiß, was er mit seinem Leben anfangen soll. Dann jedoch begegnet er nach einer für ihn nicht unbedingt positiv verlaufenden Schlägerei dem Sternflottenkapitän Christopher Pike, der ihn auffordert, der Sternenflotte beizutreten. Kirk nimmt die Herausforderung an und durchläuft die Akademie in drei statt vier Jahren. Gerade zu diesem Zeitpunkt taucht das Schiff wieder auf, das 25 Jahre zuvor das Raumschiff von Kirks Vater zerstört hat. Es greift einen verbündeten Planeten an. Die Sternenflotte schickt mehrere Raumschiffe zur Unterstützung, unter anderem die nagelneue USS ENTERPRISE. Mit an Bord: James T. Kirk…

Natürlich passiert noch sehr viel mehr in dem Film, aber wenn man die Beschreibung zu ausführlich macht, läuft man Gefahr, zu viel zu verraten. Deswegen habe ich diese Rezension in zwei Bereiche aufgeteilt. Ich werde in dem ersten Abschnitt hier nicht zu sehr auf Einzelheiten eingehen, um denjenigen, die den Film noch nicht gesehen haben, keine Überraschungen zu verraten. Ich werde rechtzeitig davor warnen, wenn der zweite Abschnitt beginnt, in dem ich dann ins Detail gehe.

Der neue Film aus der „Star Trek“-Reihe trägt den überraschenden Titel „Star Trek“, und er soll im wahrsten Sinne des Wortes das Franchise neu beleben. „Star Trek“ dümpelte seit einiger Zeit so vor sich hin, der letzte Kinofilm („Star Trek – Nemesis“) war nicht zu berauschend vom Ergebnis her und die letzte Fernsehserie („Enterprise“) wurde nach vier Staffeln eingestellt. Nun wollte man zu den Wurzeln der ursprünglichen Fernsehserie (hierzulande auch als „Raumschiff Enterprise“ bekannt) zurückkehren und zeigen, wie sich die Legenden Kirk, Spock, McCoy und all die anderen kennengelernt haben und zu den Helden, wurden die man kennt. Deswegen erhielt der Film im Vorfeld gerade von Fans einige Schelte. Natürlich würde das Design des Films modern sein, wie würde man das mit dem Canon der Serie in Einklang bringen? Überhaupt der Canon, würde sich die Handlung nicht in zu viele Widersprüche zur bekannten Serie verwickeln?

Die Antwort lautet: Nein. „Star Trek“ ist ein Film, der Spaß macht, weil man alle diese Probleme auf eine „Trek-Weise“ gelöst hat (mehr dazu im zweiten Abschnitt). Die Handlung geht sehr auf die Charaktere (allen voran Kirk und Spock) ein und man erfährt sehr viel über denen Motivation. Ehrlich gesagt, in diesem Film habe ich zum ersten Mal Spocks innere Zerrissenheit nachvollziehen können, ein Kind zu sein, das halber Mensch und halber Vulkanier ist. Fans werden die bekannten Figuren und ihre Marotten wiedererkennen, was auch den hervorragenden Schauspielern geschuldet ist. Und wer mit „Star Trek“ nicht so vertraut ist, braucht keine Angst zu haben, sich hier nicht zurecht zu finden. Die Handlung enthält viel Humor und eine ordentliche Portion Action. Die Spezialeffekte – von denen es nicht wenige gibt – stammen aus der Effektschmiede von George Lucas, ILM.

Natürlich ist auch das Design dem Zeitgeist angepasst. Man sieht und hört zwar den Geist des Originals, aber alles ist sehr modern, vom Design der Hülle der ENTERPRISE über die Ausstattung der Brücke bis zu den Uniformen. Der Film ist für Fans und Nicht-Fans gleichermaßen geeignet, natürlich vorausgesetzt man mag Science Fiction. In der Tat glaube ich, dass er geeignet ist, neue Fans für das Franchise zu finden. Ich bin begeistert und kann es nur empfehlen, sich „Star Trek“ anzusehen.

Soweit der allgemeine Teil. Nun kommt eine Werbeunterbrechung, danach geht es mit dem zweiten Abschnitt weiter. ACHTUNG! Im zweiten Abschnitt wird auf die Handlung eingegangen, wenn Sie sich also die Überraschung nicht verderben wollen, dann lesen Sie nicht weiter!

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Die „Trek-Weise“, die ich oben beschrieb, ist so einfach wie überzeugend: Die ganze Geschichte ist eine Zeitreise mit einer alternativen Zeitlinie. Zeitreisen gab es in „Star Trek“ immer schon („Star Trek IV“, TNG: „Yesterday’s Enterprise“, DS9: „Trials and Tribble-ations“ und viele mehr) und meistens war die Handlung eine Verletzung der Zeitlinie, die „repariert“ werden musste. Aus der „Classic“ Serie sticht hier „City on the Edge of Forever“ hervor, als McCoy versehentlich durch ein Zeitportal geht und einen schweren Eingriff in die Geschichte vornimmt, so dass die Föderation nie gegründet wird. Kirk und Spock folgen ihm, um das zu korrigieren.

In dem neuen Film erleben wir das ganze nun aus der Sichtweise der geänderten Zeitlinie selbst – und nichts wird repariert. Als erste Details der Handlung bekannt wurden, gab es einen Aufschrei unter manchen Fans. Kirk hat seinen Vater nie kennengelernt, weil er gestorben ist? Hat Kirk nicht mehrfach seinen Vater erwähnt bei „Classic“? Und einiges mehr. Doch durch die geänderte Zeitlinie wird das alles erklärt.

„Star Trek“ hatte bei der Themenwahl in den letzten Jahren eher nicht so das glückliche Händchen. Das Problem war, dass man Konzepte übernahm, die schon andere gemacht hatten. Das ist durchaus legitim, denn auch „Star Trek“ kann das Rad nicht neu erfinden. Allerdings hatte man bei vergangenen Konzepten vergessen, ein „Trek-Element“ mit reinzubringen. Bei „Voyager“ traute man sich an das Konzept einer Science-Fiction-Serie mit einem über mehrere Episoden reichenden Handlungsbogen heran – aber das hatte „Babylon 5“ zuvor schon mit Erfolg getan. Dann wollte man mit „Enterprise“ ein Prequel produzieren – nachdem die Prequel-Episoden von „Star Wars“ erfolgreich waren. Doch es fehlte etwas, das „Star Trek“ ausmacht. Bei „Star Wars“ beispielsweise warteten die Fans schon seit Jahren auf die Vorgeschichte, wie Anakin Skywalker zu Darth Vader wurde. „Enterprise“ hingegen war einfach „noch ’ne Serie“.

Die Idee, ein Franchise „neu zu starten“, hatten schon die Macher von „James Bond“ und „Battlestar Galactica“. Und sie hatten es mit Erfolg durchgezogen. Nun tut es also auch „Star Trek“ – und die Idee mit dem Romulaner, der aus der Zukunft kommt und die Zeitlinie verändert, bringt genau das für die Reihe typische Element mit hinein. Denn dadurch wird ein direkter Bezug zu den bisherigen Serien hergestellt. Bei Bond und Galactica wurde einfach nochmal von vorne angefangen. In welcher Relation die neuen Geschichten zu den alten stehen (ob es also zwei parallele Universen gibt, bei dem in einem James Bond wie Roger Moore aussieht und im anderen wie Daniel Craig), wird nicht erwähnt. Gut, bei Bond würde es nicht ganz passen, bei Galactica möglicherweise, aber auf jeden Fall passt es zu „Star Trek“. Der Bezug zur Originalreihe wird auch durch das Auftauchen von Leonard Nimoy als „alter Spock“ deutlich hergestellt. Genauso deutlich wird durch ihn auch auf die Geschichte hingewiesen, die nun anders verläuft, mit allen Widersprüchen, die entstanden sind. Da waren die Autoren sogar recht mutig, gerade mit den Ereignissen um Vulkan und Spocks Eltern, die einen starken Eingriff in das Universum von „Star Trek“ bedeuten. Dabei hilft die alternative Zeitlinie – von hier an ist alles erlaubt und möglich. Allerdings, und das ist auch gut so, haben es die Autoren nicht übertrieben und die bekannten Charaktere gut gezeichnet. Und die Schauspieler setzen das wunderbar um.

Stellt sich die Frage: Wird die Zeitlinie wieder repariert? Meiner Meinung nach muss sie das nicht. Und eigentlich kann sie das auch nicht. Das Problem ist: Der Auslöser für die Racheaktion der Romulaner ist ein Ereignis in einer Zukunft, die nun nicht mehr in dieser Weise existiert. Und ich habe von einer Theorie gelesen, dass man eine Zeitlinie sowieso nicht direkt manipulieren kann. Doctor Who, die Hauptfigur aus der gleichnamigen SF-Serie, würde nun sagen, das liegt daran, dass Zeit nicht linear ist, sondern mehr so „wibbly-wobbly timey-wimey“. Die Theorie, die ich meine, besagt, dass eine Manipulation an der Zeitlinie dazu führt, dass ein Paralleluniversum entsteht, während die ursprünglich Zeitlinie in einem anderen Universum erhalten bleibt. Das heißt, auch die „Star Trek“-Fans können beruhigt sein: In einem Paralleluniversum existiert die Zeitlinie, wie wir sie aus „Classic“ kennen, weiter. Wir sehen hier eben nun eine andere Variante. Und die kann man sowieso nicht ändern.

Außerdem: Was würden Sie sagen, wenn man Ihnen sagen würde, dass das Leben, wie Sie es kennen, leider nur aufgrund einer Zeitlinienmanipulation zustande gekommen ist? Würden Sie es riskieren, diese Manipulation rückgängig zu machen, ohne zu wissen, ob die Alternative wirklich besser ist?

Angeblich soll ein weiterer Film bereits beschlossene Sache sein.  Ich persönlich freue mich darauf, noch mehr Abenteuer aus dieser Zeitlinie zu sehen. Und ich kann es nur nochmal wiederholen: Der Film ist empfehlenswert.

James Bond 007: Ein Quantum Trost

Am Ende der letzten Episode („Casino Royale„) der James-Bond-Reihe haben wir gesehen, wie Bond aufgrund eines Hinweises auf dem Handy seiner toten Freundin Vesper Lynd den Aufenthaltshort eines gewissen Mister White ausfindig machte und diesem ins Bein schoss. Und nun die Fortsetzung…

James Bond rast mit dem verletzten Mister White im Kofferraum am Comer See entlang in Richtung Siena, immer verfolgt von Leuten der geheimnisvollen Organisation, die in „Casino Royale“ hinter dem dubiosen LeChiffre standen. Bond gelingt es, diese abzuhängen und White dem MI6 auszuliefern. Doch bevor White etwas sagen kann, entpuppt sich einer der MI6-Agenten als Verräter und befreit ihn. Bond kann den Verräter nach einer wilden Jagd zur Strecke bringen. Die Hinweise führen Bond nach Port au Prince auf Haiti, wo er Dominic Greene trifft, der versucht, mit Umweltprojekten groß herauszukommen. Doch letzteres ist nur Tarnung, in Wahrheit versucht Greene, einen Putsch in Bolivien zu unterstützen. Sein Preis: Ein Gebiet in der Wüste, in dem scheinbar nichts ist. Bond folgt Greene nach Bregenz am Bodensee, wo er ein Treffen von dessen Organisation QUANTUM verfolgt und feststellen muss, dass die Fronten aufgeweicht sind: der amerikanische CIA will Greene mit seinen Ambitionen in Bolivien gewähren lassen. James Bond ist auf sich gestellt…

  • Mehr als nur ein Quäntchen: Ein QUANTUM Trost…

Der sowohl in Englisch als auch in Deutsch gewöhnungsbedürftige Titel stammt von einer James-Bond-Kurzgeschichte von dessen Erfinder Ian Fleming aus dem Jahr 1959. Bond ist auf Einsatz, aber zwischendurch gezwungen, gesellschaftlichen Pflichten nachzugehen. In dem Fall bedeutet das, bei der Party eines britischen Gouverneurs anwesend zu sein. Bond langweilt sich nach den Regeln der Kunst, bis eine unbedachte Bemerkung seinerseits darüber, dass er – wenn überhaupt – am ehesten eine Stewardess heiraten würde, den Gouverneur dazu veranlasst, die Geschichte eines Mannes zu erzählen, der eine Stewardess geheiratet hat. Die Ehe lief nicht sehr gut, aber sie bestätigt den Gouverneur in seiner Theorie des „Minimums an Trost“ – unterschreitet ein Mensch durch äußere Einflüsse dieses Minimum, nimmt er auch auf Menschen, die ihm eigentlich mal etwas bedeutet haben, keine Rücksicht mehr. Als Bond die Party verlässt, ist er nachdenklich geworden, da ihm diese zutiefst menschliche Geschichte vor Augen geführt hat, wie abstrakt das Leben, das er führt, eigentlich ist. Beinahe macht es den Eindruck, als wollte Ian Fleming mit der Geschichte als jene trösten, die gerne wie James Bond wären, aber viel zu „normale“ Leben führen. Denn auch wenn der Agent beinahe alles kann, er kann doch nicht so „normal“ sein wie sie.

Im Film ist von der Kurzgeschichte außer dem Titel nichts mehr übrig, was ich schade finde, da zumindest ein Anklang meiner Ansicht nach sehr gut in die Handlung gepasst hätte. Nun wird dem Publikum leider nicht erklärt, was es mit dem „Quantum Trost“ auf sich hat, außer dass die geheimnisvolle Organisation, gegen die Bond kämpft, QUANTUM heißt.

Der Film macht konsequent weiter mit der Linie, die in „Casino Royale“ begonnen wurde. Soll heißen: Nichts ist mehr so, wie es mal war. Bond ist endgültig im 21. Jahrhundert angekommen, in dem ein Land in ein anderes Land einmarschiert, das tausende Kilometer von der eigenen Grenze weg liegt, von dessen Diktator man sich aber bedroht fühlte und man dringend die Demokratie einführen wollte, aber bei Problemen quasi vor der eigenen Haustür die Augen verschließt, wenn es den eigenen obskuren Zwecken dient. Nicht einmal die Engländer kommen gut weg, denn die reihen sich schließlich mit ein in die Länder, die Dominic Greenes Unterstützung beim Putsch in Bolivien zulassen wollen. Qs technische Spielereien fehlen ebenso wie Miss Moneypenny, und wiederum beginnt der Film nicht mit der „gun barrel sequence“. Diese sehen wir erst am Ende, vor dem Abspann. Und Daniel Craig als Bond scheint zwar unsterblich, aber nicht unverwüstlich zu sein: Während beispielsweise bei Roger Moore der Anzug immer korrekt saß, egal was er durchmachte, ist der neue Bond dreckig, blutbefleckt und verletzt sich. Alles das ist aber nichts Negatives, im Gegenteil, es sind diese Details, die die Geschichte im Boden verankern, so dass andere Teile nicht zu abgehoben wirken – denn natürlich muss der Held Dinge überleben, die vermutlich kein Normalsterblicher überlebt hätte. Es geht sogar so weit, dass bei der Hatz, als Bond den MI6-Verräter durch die Menschenmassen von Siena jagt, Unbeteiligte angeschossen werden.

Schon in der Eingangssequenz fragte ich mich, ob die frappante Ähnlichkeit Zufall war, doch dann stellte ich fest – offenbar nicht. Denn in den Film wurden ein paar kleine Reminiszenzen an die „klassische“ Bond-Serie eingebaut. In der Eingangssequenz stürzt ein Auto der Quantum-Leute an einer Baustelle von der Straße herunter in einen Abhang (wie bei „Dr. No“, nur dass das Auto diesmal – ganz realistisch – nicht explodiert), in Bregenz stellt Bond einen Quantum-Agenten am Rand eines Flachdachs, der sich an Bonds Krawatte festhält, um nicht abzustürzen (wie in „Der Spion, der mich liebte“, der Agent stürzt genauso ab – allerdings ohne eine Information preiszugeben), eine Gefährtin Bonds wird ganz mit Erdöl bedeckt und erstickt auf seinem Bett drapiert (wie in „Goldfinger“, nur da war’s Gold) und M entzieht Bond offiziell seine Lizenz und fordert ihn auf, seine Waffen abzugeben (wie in „Lizenz zum Töten“, auch in „Ein Quantum Trost“ schlägt Bond seine Wächter kurz darauf nieder und flüchtet).

Mit diesem Film ist bewiesen, dass die Leichtigkeit von früher endgültig über Bord geworfen wurde. Die Grenzen zwischen „gut“ und „böse“ sind nicht mehr so eindeutig, ganz nach dem Motto „böse ist, wer böses tut“. Es ist ein anderer Bond, ein Bond unserer Zeit, und er gefällt mir. Nach dem, was ich von Fleming gelesen habe, wage ich die Behauptung, dass dieser 007 dem Autor sicher auch gefallen hätte. Was ist aber nun mit der Geschichte – ist sie fertig oder nicht? Dazu kann ich nur sagen: Ja. Und nein. Das mit „Casino Royale“ begonnene Kapitel wurde abgeschlossen und Bond macht in den zwei Stunden, die der Film dauert, eine wichtige Entwicklung durch. Trotzdem ist QUANTUM aber nicht besiegt. In meiner Rezension zu „Casino Royale“ schrieb ich von der Meldung, dass die ersten drei Filme zusammen eine Trilogie bilden sollen als Einstieg für die neue Serie. Nachdem ich „Ein Quantum Trost“ gesehen habe, habe ich eher den Eindruck, dass es ein wenig wie ein TV-Format behandelt wurde: die Pilotepisode ist eine Doppelfolge, in der natürlich nicht alles geklärt wird, aber dazu gibt es dann ja die späteren Folgen der Serie. Anders als bei „Batman Beginns“ und „Dark Knight“ wurde auf die Stilmittel der klassischen Trilogie gänzlich verzichtet, nach der die zweite Episode der Niedergang ist, aus dem die Hauptfigur im dritten Kapitel als Held wieder aufsteigen darf.

Die zwei Stunden vergingen wie im Flug, der Film hat keine Längen und bietet die Grundelemente, die eine Bond-Geschichte haben muss: einen starken Gegner, exotische Schauplätze und… Bond-Gespielinnen. Ganz besonders hat mir der Einsatz der Zwischentitel gefallen, die dem Zuschauer erklären, an welchem Ort man sich gerade befindet, die Titel wurden nämlich individuell für jeden Ort in der Schriftart gestaltet. Und der Film macht Lust auf mehr. Wir dürfen also gespannt sein, wie das Duell zwischen QUANTUM und 007 weitergeht, und wie das nächste Kapitel heißt. Von Fleming gibt es nämlich nur noch zwei Titel, „Risico“ und „007 in New York“.

James Bond wird zurückkehren!

Update: Auch der Wortvogel äußert sich hier zu Bonds zweitem Abenteuer, und zwar positiv.

James Bond 007: Casino Royale

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Anfang des 21. Jahrhunderts: Die Welt ist unglaublich kompliziert geworden. Der Terrorismus scheint allgegenwärtig zu sein. Zu Zeiten des kalten Krieges gab es eine genau gezogene Linie, wer auf dieser Seite stand, war Freund, wer auf der anderen Seite stand, Feind. Doch so einfach ist es nicht mehr, das muss auch M, die neue Vorgesetzte der Auslandsabteilung des britischen Geheimdienstes MI6 einsehen. Besondere Sorge bereitet ihr ein 38jähriger Anwärter auf den Job eines Geheimagenten mit Lizenz zum Töten, ein Mann mit Namen Bond, James Bond. Um die Lizenz zu erhalten, muss er zwei Tötungen vorweisen. Doch sie glaubt, es sei noch zu früh.

Nichtsdestotrotz verdient er sich seine Lizenz, als er den Prager MI6-Sektionschef Dryden des Verrats überführt und ihn und seinen Leibwächter liquidiert. Sein neuer Auftrag führt ihn nach Madagaskar, wo er einen Bombenleger aufspüren soll, der allerdings unter spektakulären Umständen den Tod findet – so spektakulär, dass Bond sich am nächsten Tag in den Medien wiederfindet. M tadelt ihn für sein Verhalten und suspendiert ihn vorläufig, was Bond augenscheinlich für einen Urlaub in Nassau nutzt. Doch in Wirklichkeit arbeitet er auf eigene Faust an dem Fall weiter: der Bombenleger hat eine SMS aus Nassau erhalten, von dem zwielichtigen Alex Dimitrios. Über diesen kommt er einem weiteren Anschlagsplan auf die Spur: der neue Flieger von SKYFLEET, der der Öffentlichkeit zum ersten Mal vorgestellt werden soll. Bond kann das Attentat verhindern und bringt damit LeChiffre in die Bredouille, der das Geld verschiedener terroristischer Vereinigungen verwaltet – er hatte das Geld nämlich dazu verwendet, auf einen Börsencras der Firma SKYFLEET zu setzen, der gekommen wäre, hätte sein Anschlag funktioniert.

LeChiffre muss nun 150 Millionen Dollar beschaffen. Dazu veranstaltet er ein „Texas Hold’em“-Turnier im „Casino Royale“ in Montenegro. Bond wird in das Turnier eingeschleust. Unterstützung erhät er von einer Mitarbeiterin des britischen Schatzamtes, Vesper Lynd…

  • Alles oder nichts: Ein Blick auf „Casino Royale“

Das titelgebende Kasino steht im Roman in dem französischen Ort „Royale-les-Eaux“ und hat daher seinen Namen. Nach der französischen Grammatik würde man die Übersetzung für „königliches Kasino“ nämlich „casino royal“ schreiben. Dadurch, dass man für den Film dieses Kasino nach Montenegro verlegt hat, fällt dieser Hintergrund ganz weg. Natürlich ist das nicht die einzige Änderung an Flemings Roman. Aber der Reihe nach.

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Nachdem man endlich die Rechte an dem ersten James-Bond-Roman hatte, wollten sich die Produzenten auch daran machen, diesen zu verfilmen. Dabei stellte sich allerdings die Frage, wie das geschehen sollte, und man entschied sich zu einem mutigen Schritt: Man wollte die Geschichte des britischen Agenten 007 nochmal von vorne und zeitgemäßer erzählen. Während man durch verbindende Elemente in den 20 bisherigen (offiziellen) Filmen andeutete, dass es sich um die Geschichte ein- und desselben Mannes handelt, brach man mit dem 21. Bond die Reihe. In der Anfangssequenz von „Casino Royale“, die ganz in Schwarz-Weiß gehalten ist, hat Bond noch nicht einmal seine „Lizenz zum Töten“. Weiters fällt auf, dass die typische „gun barrel sequence“, also der Anfang, bei dem man Bond durch den Lauf einer Pistole sieht, weggelassen wurde. Er kommt erst beim Übergang von der Anfangssequenz zum Titellied. Das Titellied hat einen vom Film abweichenden Titel, Chris Cornell singt „You know my name“. Das von Monty Norman komponierte „James-Bond-Thema“ wird erst am Schluss des Films verwendet. Erst dann sagt Bond auch zum ersten Mal den Satz „Mein Name ist Bond, James Bond.“ Und als er sich einen Wodka Martini bestellt (den er in der bsiherigen Filmreihe stets „geschüttelt, nicht gerührt“ wollte) und gefragt wird, ob er ihn geschüttelt oder gerührt haben möchte, antwortet er mürrisch: „Sehe ich so aus, als ob mich das interessiert?“
Bond ist also noch nicht Bond. Anstatt aber einen Film zu produzieren, der vor „James Bond jagt Doktor No“ spielt, ist dieser ein Kind unserer Zeit. Trotz allem hat man sich aber auf Ian Flemings Beschreibungen besonnen und diese bei der Charakterisierung des Agenten berücksichtigt. Der Bond des Films deckt sich mit dem Bond der Romane, darüber waren sich auch die Kritiker einig. Bond ist hier wie dort kein Musterknabe, das kann er auch gar nicht sein, er hat die „Lizenz zum Töten“, seine Aufgabe ist es, Menschen zu liquidieren. Dass das auch für einen James Bond keine leichte Aufgabe ist und er einiges zu verarbeiten hat, zeigt der Film auch sehr gut, als 007 die Beziehung zu Vesper Lynd dazu benutzen will, aus dem Geheimdienst auszuscheiden. M hat durchaus Recht mit ihrer Einschätzung, dass es noch zu früh sei, Bond die Lizenz zu geben, da er sich im Verlauf des Films als aufbrausend und teilweise sehr emotional erweist – mehr, als es einem Geheimauftrag gut täte.

Die Handlung des Films ist gegenüber dem Buch stark erweitert worden. Der Roman konzentriert sich hauptsächlich auf das Duell zwischen LeChiffre und Bond im Kasino (die beiden spielen dort übrigens Baccara). Hintergrund ist hier – der Roman wurde in den 1950ern geschrieben – der kalte Krieg, und LeChiffre arbeitet für SMERSCH, dem Spionageabwehrdienst der Russen. Mit der Handlung um den internationalen Terrorismus wurde die Geschichte in unsere Gegenwart geholt, allerdings verzichtete man auf Geheimbasen in erloschenen Vulkankratern, in denen ein Glatzkopf im grauen Anzug seine weiße Katze streichelt. Trotz aller spektakulärer Effekte blieb alles „bodenständig“ und nachvollziehbar.

Damit wurde noch ein mutiger Schritt unternommen: Das Ende von „Casino Royale“ ist eigentlich offen. Zwar sind die Handlanger – unter ihnen LeChiffre – zur Strecke gebracht, das Ziel wurde aber dennoch nicht erreicht. Im Gegenteil, die letzte Szene, in der Bond Mister White stellt, endet einfach mit dem Abspann, bevor wir erfahren, welche Rolle dieser Mann in der ganzen Sache spielt. Die Fortsetzung, „Ein Quantum Trost“, soll, so heißt es, genau an dieser Stelle die Handlung wieder aufnehmen, was ein weiteres Unikum der Serie darstellt. Zwar dauerte es von „Doktor No“ bis „Man lebt nur zweimal“ fünf Filme, bevor man den Kopf der Verbrecherorganisation SPECTRE – Ernest Stavro Blofeld – zum ersten Mal zu sehen bekam, aber jeder Film hatte eine in sich geschlossene Handlung. Das funktionierte gut, so gut, dass auch das „Feuerball“-Remake „Sag niemals nie“ allein stehen kann.

Der Erfolg hat den Produzenten für ihre mutigen Entscheidungen Recht gegeben. Man hat Bond gewissermaßen nach alten Standards neu definiert und sich nicht von negativer Presse, die es bereits im Vorfeld gegeben hatte, beeinflussen lassen. In einigen Artikeln war angezweifelt worden, ob Daniel Craig, der neue Bond, überhaupt für die Rolle geeignet sei. Ausgerechnet er war es dann, der von den Kritikern hinterher das meiste Lob bekam. Die Handlung und Ausführung des Films selbst, so wurde bemängelt, sei etwas unsicher, was ein wenig nach „Angst vor der eigenen Courage“ aussah.

Einen – kurzen – Aufschrei gab es in Deutschland, als der erste synchronisierte Trailer in den Kinos lief. Bonds deutsche Simme wurde kritisiert, da Dietmar Wunder unter anderem auch Adam Sandler spricht, der eher komische Filme macht. Was jedoch übersehen wurde: Wunder synchronisiert zum Beispiel auch Carmine Giovinazzo, der den Danny Messer in „CSI: NY“ gibt (dort führt er auch die Synchronregie), er kann also durchaus auch ernste Rollen die richtige Stimme verleihen. Und das ist ihm bei Daniel Craig als James Bond gelungen.

„Casino Royale“ ist ein gelungener Auftakt einer neuen Art von James-Bond-Reihe. Blickt man auf die bisherige Serie zurück, so stellt man fest, dass Bond sich dort nicht entwickelte, sondern sprunghaft war. In einem Film wurde etwas ausprobiert, das man – wenn es bei den Zuschauern nicht ankam – im nächsten Film einfach ohne Erklärung wieder fallenließ (man bedenke nur den Unterschied im Charakter von James Bond bei Roger Moore gegenüber Timothy Dalton, und wiederum Dalton gegenüber Pierce Brosnan). In den Medien kursierte die Meldung, dass „Casino Royale“, „Ein Quantum Trost“ und ein dritter Film zusammen eine Trilogie mit durchlaufender Handlung bilden sollen. Da man im ersten Film Bond quasi bei „Null“ (ohne seine bereits bekannten Charaktaristika) anfangen ließ, bietet sich hier die Chance, ihn zu entwickeln und von Film zu Film zu steigern. Mal sehen, ob man den Mut für diesen Schritt auch noch besitzt. Der Anfang ist schon gemacht.

Ende? Nein, nicht ganz. James Bond wird zurückkehren in:

EIN QUANTUM TROST