
Die letzten drei Tage haben wir über den Disney-Film „Maleficent – Die dunkle Fee“ berichtet, der am 29. Mai 2014 Premiere feiert (Teil 1, Teil 2, Teil 3, Vorschau-Video). Ich möchte mich heute dem Thema des Films etwas nähern, denn es gibt hier einen Trend zu beobachten, den ich persönlich grundsätzlich gut finde. Ob er in „Maleficent“ auch gut umgesetzt ist, wird der Film dann beweisen müssen.
Schweifen wir dazu erstmal etwas ab von diesem Film und nehmen wir ein anderes Disney-Meisterwerk: „Aladdin“. Es ist die Nacherzählung der Geschichte „Aladin und die Wunderlampe“ aus der Sammlung „Geschichten aus 1001 Nacht“. In dem Film gibt es einen großen Widersache für den Helden: Dschafar (im Original „Jafar“ geschrieben), der sich der Wunderlampe bemächtigen will, um den Sultan anstelle des Sultans zu werden. Aber warum? Dschafar ist zu Beginn des Films bereits Großwesir, hat also schon eine gewisse hohe Stellung und – da er Magier ist – auch Macht. Warum will er Sultan werden? Und damals, als der Film erschien – 1992 -, wäre als Erklärung noch ausreichend gewesen: Na ja, er ist halt der Bösewicht, und solche Typen wollen immer mehr Macht haben, als sie derzeit besitzen. Ende der Erklärung.
„Ralph – Du Bösewicht! Aber das doch nicht heißt, Du auch… böser Wicht!“*
Es ist die simple Erklärung: Da gibt es das Böse, und es gibt Menschen, die dem Bösen verfallen. Meistens steckt hinter „dem Bösen“ auch eine Person, bei der christlichen Religion der Teufel, respektive Luzifer. In dieser einfachen Erklärung wird die Komplexizität des Menschen einfach geleugnet und teilweise mit Absicht die Augen vor der Möglichkeit verschlossen, dass in jedem Menschen das Potential zu einem „Bösewicht“ steckt. Es müssen nur die entsprechenden Umstände herrschen, und es kommt heraus. Mit der Psychoanalyse des 20. Jahrhunderts wurde dieser Bereich erstmals ernsthaft erforscht. Die Analytiker erkannten, dass es Zusammenhänge gibt etwa zwischen traumatischen – und auch nicht-traumatischen – Erfahrungen, die eine Person gemacht hat und der Persönlichkeit, die diese dann entwickelt. Kein Mensch ist „einfach böse“, er wird es durch bestimmte Sachen. Wobei das mit dem „böse sein“ an sich schon schwierig ist, denn: Wann genau hat man die Grenze überschritten und ist „böse“? Gerade im alltäglichen Leben ist das schwer zu erkennen, denn ich meine, wer hat schon eine dunkle Fee im Bekanntenkreis, die bei der Taufe des eigenen Nachwuchses erscheint und diesen verflucht?
Gleichzeitig wird dabei den Bösewichtern das „Mensch-sein“ abgesprochen. Okay, eine Fee kann im engeren Sinne sowieso nicht als „menschlich“ betrachtet werden, aber ich denke, es ist klar, worauf ich hinaus möchte. Nehmen wir als besseres Beispiel Scar aus „König der Löwen“, obwohl der per se auch kein Mensch ist. Aber er ist auch kein übernatürliches Wesen, im Gegensatz zu dem Magier Dschafar und der Fee Maleficent. Solchen Bösewichtern wird das „Normal-sein“ abgesprochen, sie sind eben böse, stehen unter dem Bann des Bösen, einer merkwürdigen, nicht greifbaren Macht. Und damit wurde festgelegt, dass man sie auch nicht zu verstehen braucht. Es gibt nichts zu verstehen, so hieß es, denn das ist eben „das Böse“.
Tatsächlich blieb das in den Disney-Filmen auch lange Zeit so, wie man am Beispiel Dschafar oder Scar sieht. Warum will Dschafar den Sultan absägen? Keine Ahnung. Warum trachtet Scar seinem Bruder nach dem Leben? Wird nicht erklärt. Warum ist Ursula, die Meerhexe aus „Arielle“, böse? Erfahren wir nicht. Und so weiter. Aus dieser Zeit fällt mir spontan nur ein Disney-Bösewicht ein, der einen Ansatz von Hintergrund zeigt (aber nicht mehr!): Prinz John Ohneland aus der animierten „Robin-Hood“-Version. Von ihm erfahren wir, dass er neidisch ist auf seinen Bruder Richard Löwenherz und deswegen unbedingt selbst König bleiben will.
In den 1990er Jahren änderte sich das langsam und die Bösewichte bekamen ihre eigene Hintergrundgeschichte. Die neueste Stufe dieser Entwicklung (zumindest was meine Beobachtungen betrifft) war der Roman „Wicked – Die Hexen von Oz„, aus dem 2003 ein Musical wurde. In diesem Buch wird die Geschichte des Films „Der Zauberer von Oz“ genauer beleuchtet, und zwar aus der Perspektive der „bösen“ Hexe des Westens. Hier wurde ein bekannter und in mehreren Werken als „böse“ dargesteller Charakter genommen und erklärt, was sie so hat werden lassen. Das Werk hält einige Überraschungen bereit, so zum Beispiel auch, dass der „Zauberer von Oz“ gar nicht so gut ist, wie man glaubt. Aber genau das ist das Thema: Menschen sind vielschichtig und komplex. Die „bösen“ genauso wie die „guten“.
Und wer sich anschaut, was „Wicked“ zeigt, der wird zweifellos auf die Parallelen zu „Maleficent“ kommen. Das ist auch das Wermutströpfchen, das ich jetzt schon bei der Disney-Produktion sehe: Das Déjà-Vue-Gefühl. Zwar handelt es sich dabei lediglich um das „Konzept“, von dem man sich hat inspirieren lassen, aber wenn man bedenkt, was Disney veranstaltet, was das Urheberrecht und dessen Auslegung betrifft, ist es ein wenig janusköpfig.
Nichtsdestotrotz hoffe ich persönlich, dass sich der Trend fortsetzt, der den Zuschauer auch etwas mehr fordert, nämlich dass Charaktere komplex dargestellt werden. „Maleficent“ ist da ein guter Schritt in die richtige Richtung, es wäre aber großartig, wenn das Konzept auch bei zukünftigen Entwürfen von Schurken und Helden beibehalten würde. Das heißt jetzt nicht, dass die ganzen Disney-Klassiker neu aus der Perspektive des Bösewichts verfilmt werden sollen, sondern dass bei den neuen Filmen da von Anfang an dran gedacht wird und es nicht wieder so sein wird, dass die einzige Motivation, die der Zuschauer erfährt, ein „ist halt so!“ bleibt.
Das ist natürlich auch ein Risiko. George Lucas hat für seine Prequel-Trilogie von STAR WARS viel Prügel einstecken müssen, unter anderem auch dafür, dass viele Dinge „irgendwie total anders“ sein. Nein, eigentlich nicht, sie haben Tiefe bekommen. Denn während bei den Originalfilmen die Fronten klar nach „schwarz“ und „weiß“ getrennt waren, ist das bei den Prequels gar nicht mehr so. Die Jedi machen Dinge, die nicht unbedingt so „gut“ sind und die Sith haben haben auch ein paar Punkte zu sagen, die einen zum Nachdenken bringen können. Aber um dieses Thema kümmere ich mich ein andermal. Und da Disney nun auch STAR WARS gehört, ist es auch in deren Verantwortung, es gutes draus zu machen.
Also hoffe ich auf mehr Schurken, die nicht einfach nur „böse“ sind, sondern hinter denen etwas steckt. Wie war das noch gleich?
„Ich bin böse und das ist gut. Ich werde niemals gut sein und das ist gar nicht schlimm. Es gibt keinen, der ich lieber sein möchte als ich.“*
* aus „Ralph reicht’s“

