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Transkript
Die Geschichte ist vorbei. Das war’s. Aus. Ende. Basta. Amen. Ja, Amen im wahrsten Sinne des Wortes, ist man versucht zu sagen. Doch halt, so ganz endgültig ist es nicht vorbei. Zwar wurden die Rätsel gelöst und das Objekt der Begierde, das McGuffin des Romans gefunden, aber Eco wollte seine Leser nicht einfach so entlassen, ohne noch ein Nachwort zu verfassen. Schauen wir uns dieses mal an und schließen wir dann die Serie ab.
Der Epilog ist kein direkter Bestandteil der Handlung mehr. Adson gibt nur noch in kurzen Abhandlungen wieder, was nach dem Brand der Abtei geschah. Es gibt auch keine wörtliche Rede mehr, aber philosophische Gedanken. Wir erfahren, dass die Bibliothek drei Tage und Nächte brannte, bevor die Flammen nichts mehr zum Fressen fanden und verlöschten. William und Adson machen sich auf den Weg in Richtung Norden, aufgrund weiterer politischer Ereignisse gehen Sie nach München, wo sie sich trennen müssen. William gibt Adson die Augengläser, die Nicolas ihm geschliffen hat und die beiden gehen ihrer Wege. Adson weiß nicht, was aus William geworden ist. Er berichtet, dass er Jahre später nochmal am Ort der Abtei war und ihre Ruinen besichtigt habe, wo er tatsächlich noch Überreste von Pergamenten aus der Bibliothek fand. Er habe sie mitgenommen, bei genauerer Betrachtung jedoch festgestellt, dass es nur Fragmente sind, die ohne ihren Zusammenhang keinen Sinn ergeben. Damit, schreibt Adson, möchte er das Papier, das er vollgeschrieben hat, hinterlassen:
Ich gehe und hinterlasse dies Schreiben, ich weiß nicht, für wen, ich weiß auch nicht mehr, worüber.
Umberto Eco: „Der Name der Rose“, Carl Hanser Verlag 2022, Seite 760
Damit ist die Geschichte wirklich beendet. Aber in der Neuauflage anlässlich des Jubiläums findet sich nun noch ein Nachwort mit dem Titel “Über die Lächerlichkeit und ihre Grenzen – Einige Gedanken zur Angst des Jorge von Burgos” von Philipp Blom. Er teilt ein paar kluge Gedanken mit, dass einige Sachen sich nicht geändert haben, während andere das sehr wohl taten. Ein zweites Nachwort zeigt verschiedene Skizzen, die Eco angefertigt hat, vom Aussehen der Mönche angefangen bis zur Planung des Labyrinths der Bibliothek, wobei man die Stufen sehen kann, die der Autor genommen hat, bis er bei dem angekommen war, das wir nun auch im Roman finden.
In beiden Adaptionen ist das Nachwort in das Ende mit eingearbeitet. Im Film reiten William und Adson von der Abtei los, dabei begegnet ihnen nach ein paar Metern ein letztes Mal die Rose. Es wird kein Wort gesprochen, aber die Taten sprechen für sich: William reitet weiter, während die Rose Adsons Hand an ihre Wange hält. Doch er folgt schließlich seinem Meister und lässt das Mädchen zurück. Dann hören wir zum letzten Mal Adsons Stimme als alter Mann, der davon berichtet, dass er seine Entscheidung nie bereut habe. Auch hier erwähnt er, dass er in dem Moment, als er und William getrennte Wege gehen von jenem die Augengläser bekam. Dann gibt er aber doch noch zu, dass er nie aufgehört habe, an das Mädchen zu denken, doch:
Nie erfuhr ich, wer sie war, noch erfuhr ich je ihren Namen.
Andrew Birkin et al., nach Umberto Eco: „Der Name der Rose“, Constantin Film 1986
Interessanterweise wird dann das letzte lateinische Zitat aus dem Roman eingeblendet, das allerdings unübersetzt bleibt:
Stat rosa pristinia nomine, nomina nuda tenemus.
Umberto Eco: „Der Name der Rose“, Carl Hanser Verlag 2022, Seite 760
Übersetzt heißt das: “Von der einstigen Rose steht nur noch der Name, uns allen bleiben nur nackte Namen.” Der Film endet dann mit der Musik von James Horner, die den Zuschauer und die Zuschauerin passend in den Alltag zurück entlässt.
In der Serie hat Adson von Anna erfahren, dass die Rose noch lebt. Natürlich sucht er sofort ihren Unterschlupf im Wald auf, doch dort ist sie nicht mehr. Sie hat auch das Gedichtbuch, das er ihr bei einer Gelegenheit mitgebracht hat, zurückgelassen. Dann kehrt Adson zur Abtei zurück und sammelt Überreste aus der Bibliothek zusammen, quasi wird also die Szene, die im Roman auch beschrieben ist, um ein paar Jahre nach vorne gezogen. Es kommt dann zu einer freundlichen Wiederholung der Szene vom Anfang der Serie, da William erneut fragt: “Warum folgst Du mir?” Die beiden rekapitulieren die Ereignisse und William bringt das Zitat über die Rose. Adson erklärt, er werde nach Melk zurückkehren und in der dortigen Abtei sein Gelübde ablegen. Die beiden trennen sich an dieser Stelle, allerdings gibt William Adson nicht die Augengläser mit.
Okay, letzte Gedanken und Zusammenfassung: Dadurch, dass ich mich erneut sehr intensiv mit Ecos Werk auseinandersetzen durfte, wurde mir erneut vor Augen geführt, welche Arbeit darin steckt und welcher Detailreichtum. Von solchen scheinbaren Kleinigkeiten angefangen wie Salvatores falsches Latein, das aus dem “dritten Pferd” den “dritten von Pferd” macht und William so auf die richtige Spur bringt, bis hin zu der Ausarbeitung des Labyrinths der Bibliothek mit all ihren Sinnsprüchen und Buchstaben. Nicht zu vergessen die ganzen Anspielungen auf Namen, die ich hier nur gestreift habe. Nehmen wir als ein Beispiel, das ich gar nicht erwähnt habe, den Urheber all der Ereignisse: Der Name “Jorge von Burgos” ist eine kaum versteckte Anspielung auf den argentinischen Schriftsteller und Bibliothekar Jorge Luis Borges, der einerseits als literarisches Genie galt, andererseits aber auch den Militärputsch in Argentinien von 1976 und die anschließende blutige Militärdiktatur unterstützte, was ihm – wohl nicht zu Unrecht – den Vorwurf einbrachte, ein Reaktionärer zu sein.
Auch die Idee, das zweite Buch der Poetik des Aristoteles in den Mittelpunkt zu stellen, fügt sich wunderbar in die philosophischen Gedanken ein. Eco hat zwar immer gesagt, der Ausgangspunkt um “Der Name der Rose” zu schreiben sei sein Wunsch gewesen, einen Mönch zu vergiften, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass die Idee, genau dieses Buch zu nehmen, diesen Plan erst wirklich durchführbar machte. Eco hat Literaturwissenschaft studiert und daher ein profundes Wissen über literarische Werke. Dabei hat er sich im Roman auf eine wahre Begebenheit gestützt:
Sicher ist, dass Aristoteles vorgehabt hatte, in seiner Poetik nach der Tragödie und dem Epos – dem Inhalt des erhaltenen Textes – auch die Komödie zu behandeln, wie aus der Einleitung hervorgeht. Aber der Teil über die Komödie fehlt. Im allgemeinen wird angenommen, u. a. aufgrund der von Diogenes Laertius aufgestellten Liste der Werke von Aristoteles, in der zwei Bücher der Poetik erwähnt werden, dass Aristoteles dieses zweite Buch wirklich geschrieben hat, aber dass es im Lauf der Jahrhundert verlorengegangen ist.
Theo van Velthoven: “Zeichen, Wahrheit, Macht” in Burkhart Kroeber (Hrsg.): „Zeichen in Umberto Ecos Roman ‚Der Name der Rose’“, dtv 1989, Seite 280 – 281
Gleichzeitig ist der Roman hochphilosophisch und berührt sehr viele Facetten von verschiedenen Themen. Da ist also diese Abtei, in der ein Konvent über die Armut Christi und die Armut der Kirche abgehalten werden soll, während es direkt unter besagter Abtei ein Dorf gibt, in der echte Menschen in echter Armut leben. Es geht um die Liebe, nicht nur im Bezug auf Adson und die Rose, sondern darüber hinaus, gerade was die Verhältnisse zwischen einigen der Brüder betrifft. Und es geht um Wahrheiten, Sicherheiten und Humor. Jorge von Burgos, der sich als göttliches Werkzeug sieht und selbst nicht einmal merkt, wie widersprüchlich seine “Wahrheit” ist. Einerseits verteufelt er Adelmus, als ihm jener seine fleischlichen Verfehlungen beichtet, auf der anderen Seite schürt er aber Malachias’ Eifersucht, damit dieser Severin erschlägt. Die Sicherheit, die diese Wahrheit geben soll, braucht aber auch die Furcht, die Furcht vor dem Teufel. Denn nur so hat man – in Jorges Augen – Sicherheit, wenn man genau weiß, wann man in den Himmel kommt oder in die Hölle. Das Lachen aber zerstört die Furcht und damit das, was Jorge die Sicherheit gibt. Erschreckenderweise ist folgender Absatz aus Kroebers Buch über die Hintergründe des Romans, obwohl er 1985 geschrieben und veröffentlicht wurde, ziemlich aktuell, sogar was das genannte Land – aber natürlich nicht nur dieses – betrifft:
Umberto Eco zeigt, wozu die Systeme der Sicherheit führen, seien sie national, kulturell oder kirchlich: Sie führen zum Tod, zum Mord im Namen der Wahrheit, die die Sicherheit des Systems bedroht, zur Zerstörung des ganzen Lebens. Unsere Zeit – gerade hier in Brasilien und in der brasilianischen Kirche – bestätigt zum Teil den sinisteren Charakter dieses Sicherheitsdenkens: Es legitimiert in fataler Weise die Unterdrückung und ist zwangsläufig intolerant; die Folgen sind das Leiden der Unterdrücker und das von ihnen erzeugte Leiden der anderen, das Reich der Freudlosigkeit und die Herrschaft der Ritter der schlimmen Nachricht.
Leonard Boff: “Die beiden Sackgassen des Bewahrens und des Erschaffens” in Burkhart Kroeber (Hrsg.): „Zeichen in Umberto Ecos Roman ‚Der Name der Rose’“, dtv 1989, Seite 357
Wenn wir uns beispielsweise die Situation anschauen, die gerade in den USA herrscht, da hätte ein Jorge von Burgos seine wahre Freude dran. Vielleicht würde er sogar vor Freude lachen – was für ein Gedanke, was für eine Posse!
Was natürlich auch nochmal erwähnt werden muss, ist die Einbettung der Geschichte in einen historischen Kontext, den Eco sehr gut wiedergibt. Und wie wir schon gesehen haben, lässt er auch einige historisch verbürgte Figuren auftauchen, so den Mystiker Ubertin von Casale, der heftige Kritik an den Päpsten übte, Michael von Cesena, einem Ordensgeneral der Franziskaner, Bertrand del Poggetto, einem Kardinal, der in der fraglichen Zeit päpstlicher Legat für Norditalien war und last but not least Bernard Gui. Die Darstellung der Figuren mag historisch nicht immer ganz akkurat sein, aber darauf muss man sich als Leserin und Leser eines Romans einstellen. Schließlich will die Geschichte ja auch eine Botschaft rüberbringen. Wer es genau wissen will, sollte sich dann einem wissenschaftlichen Werk zuwenden.
Der Film beschränkt sich in seiner Umsetzung auf die Kernelemente des Romans und verschiebt die Ereignisse ein bisschen, um einen holliwoodesken Höhepunkt zu erklimmen. Immerhin, die Fragen der Armut werden beleuchtet und die merkwürdig zweifelhafte Rolle der Kirche, allerdings bleibt es bei ein paar plakativen Momenten. Zum Beispiel sehen wir, wie die Bauern den Zehnten abgeben und dafür von einem sichtlich genervten Mönch einen kurz dahingenölten Segensspruch erhalten. Oder wie die Dorfbevölkerung hilft, den Wagen der päpstlichen Delegation den Weg zur Abtei hochzuschieben, während die Angehörigen der päpstlichen Delegation in feine Kleider gehüllt gelangweilt aus dem Fenster schauen. Was die Tode betrifft, bleibt immerhin das Motiv, aber viel von Williams geistiger Arbeit geht verloren und der Umstand, dass er gleich zweimal durch Zufall etwas herausfindet, ist eigentlich genau das, was der Sherlock-Holmes-Autor Sir Arthur Conan Doyle in seinen Geschichten auf jeden Fall vermeiden wollte. Da William eine Pastiche auf Holmes ist, hätte hier etwas mehr Ehrgeiz seitens der Drehbuchautoren gut getan. Viele kleine Spuren und Hinweise gehen im Filmdrehbuch verloren, was sehr schade ist, aber wohl zeitlich nicht machbar. Dass aber bei Severins und Malachias’ Tod nicht mal mehr von den Posaunen der Apokalypse die Rede ist, ist meiner Meinung nach ein Fehler im Skript. Für den Zuschauer, der den Roman nicht kennt, muss es sich so darstellen, dass die Mord nun völlig ausufern und keinen Schema mehr folgen. Aber genau das ist ja der Punkt: Sie haben nie einem Schema gefolgt – außer dass alle Vergifteten das gleiche Buch gelesen haben -, nur William glaubte, eins erkannt zu haben.
Trotzdem findet sich auch sehr viel gut umgesetztes in dem Film, die realistische Darstellung des Mittelalters zum Beispiel, oder Szenen, die zwar nicht wörtlich aus dem Buch stammen, aber etwas von dort auf andere Weise umsetzen. Insofern, das kann ich jetzt schon sagen, ist der Film in meinen Augen die stärkere Adaption von Ecos Werk. Es ist eben, wie es im Vorspann ja heißt, ein Palimpsest, eine Umarbeitung, bei der man das Original noch sehen kann.
Allerdings ist mir da noch etwas aufgefallen, das ich nicht ganz klären konnte. Ich habe erwähnt, dass ich den Film nicht in den Streamingdiensten fand, auf die ich Zugriff habe. Für diese Reihe habe ich daher eine DVD gekauft (übrigens hoffe ich, dass es eine Jubiläums-Blu-Ray des Films gibt, mit tonnenweise Zusatzmaterial und in neuer Abtastung), meine einzige Quelle. Die ist allerdings sehr eingeschränkt, denn komischerweise hat der Film nur eine deutsche, aber keine originale Tonspur und ich habe den Eindruck, dass mindestens eine Szene fehlt. Gleichzeitig kommen Szenen vor, von denen ich mir nicht sicher bin, ob diese in allen Versionen enthalten sind.
Welche Szene fehlt? Die Stelle, an der Gui den Scheiterhaufen von Remigius anzündet. Wir sehen, wie Salvatores Scheiterhaufen brennt, dann kommt es zur Störung durch den Klosterbrand. Anschließend wird gezeigt, was in der Bibliothek passiert und als zurück zu den Scheiterhaufen geschnitten wird, brennt der von Remigius schon lichterloh. Ich weiß, dass es hier eine Stelle gibt, an der Remigius zu lachen anfängt, da er sich Hoffnung macht, nun doch nicht verbrannt zu werden, worauf Bernard Gui persönlich sich eine Fackel schnappt und den Scheiterhaufen anzündet.
Was ist mit den Szenen, die mir unbekannt vorkommen? Zum einen ist das Adsons Besuch im Dorf, wo er sieht, unter welch katastrophalen Umständen die Rose lebt und zum anderen die Flucht von Ubertin, bei der dieser sich in einem Fass versteckt. Es ist gut möglich, dass diese Szenen in der Originalfassung drin waren, denn die Fassung, die ich immer wieder und wieder gesehen habe, war eine Aufnahme im Zweikanalton vom ZDF auf Videocassette. Vielleicht waren diese Szenen aus Zeitgründen da rausgeschnitten. Ja, ich habe den Film auch im Kino gesehen, aber ich kann mich nicht an jede Kleinigkeit erinnern.
Im Internet kursieren auch ein paar Schnittberichte, also scheint es nicht unüblich gewesen zu sein, den Film etwas zu kürzen. Warum in der DVD-Version aber die Stelle mit Remigius’ Scheiterhaufen fehlt, ist mir nicht klar, vor allem, nachdem wir kurz zuvor gesehen haben, wie Salvatore schreiend verbrennt. Und ach ja, da ist noch was: Kann es sein, dass die Szene, in der Adson und die Rose Sex haben, in der Fernsehversion eingekürzt war?
Nun noch ein paar Worte zur Serie. Ich habe es schon gesagt, ich halte die Verfilmung für die stärkere Adaption und das hat sehr viel mit den Änderungen zu tun. Die Serie kreist da um zwei diametrale Gegensätze, einerseits sind ganze Passagen wortwörtlich aus dem Buch übernommen, andererseits wurde extrem weit von der Vorlage abgewichen. Die Hinzufügungen sind dabei leider nicht immer so geschickt, wie bei der Filmadaption. Teilweise zieht sich die Serie wirklich hin und dass Adson und die Rose sich regelmäßig sehen, passt irgendwie nicht zusammen. Noch dazu fällt dadurch, dass es kein Dorf am Fuß der Abtei gibt, der Gegensatz zwischen Arm und Reich weg, der im Film so gut herausgearbeitet wird und den Disput widerspiegelt, um den es geht. Man hat der Rose einen anderen Hintergrund gegeben, um eine Botschaft der heutigen Zeit unterbringen. Sie ist nun kein armes Mädchen aus dem Dorf mehr, sondern eine Kriegsflüchtige. Das passt natürlich ebenfalls gut rein, denn die normale Bevölkerung bekam auch damals ja immer nur die Auswirkungen der großen Politik zu spüren, ohne wirklich mitbestimmen zu können, was geschah. Aber die Rose als armes Mädchen in einem Dorf unterhalb der Abtei, während ganz bildlich gesprochen “die da oben” in der Abtei über die Armut der Kirche diskutieren, sollte eben genau diesen Kontrast darstellen. Das führt dazu, dass sich die Handlung der Serie in meinen Augen zerfleddert, wo sie etwas mehr Fokus auf eine Sache gebraucht hätte.
Ein Gleichnis fiel mir ein, was die komplett hinzugefügten Handlungsstränge in der Serie betrifft: Nehmen wir mal den umgekehrten Fall an, ein Autor wird beauftragt, einen Roman zu einem dreistündigen Film zu schreiben. Da der Film aber so lang ist, will der Verlag, dass der Roman mindestens 700 Seiten lang ist. Also schreibt der Autor den Roman, macht gewisse Hinzufügungen, wie das bei Romanadaptionen von Filmen so üblich ist, stellt dann allerdings fest, dass er trotzdem nur auf 650 Seiten kommt. Also was tun? 50 Seiten sind nicht wenig. Als sucht der Autor eine Stelle im Skript auf und fügt einen Nebenplot dazu, der sich über 50 Seiten hinzieht. Das Problem ist nur: Egal, was der Autor schreibt, er muss am Ende des Nebenplots wieder den Ausgangspunkt erreicht haben, damit der Rest der Geschichte nicht gestört wird. Ich habe den Eindruck, dass etwas ähnliches bei der Serie getan wurde. Insofern wird bei mir immer noch die Filmadaption laufen, wenn mir der Sinn danach steht und nicht die Serienadaption.
Ich habe zwar gesagt, ich möchte selber keine Adaption schreiben, die sowieso nie umgesetzt wird, aber wie es so ist, ich kann meinem Gehirn nicht befehlen, sich keine Gedanken zu machen – und das hat es schon getan. Immerhin nur grob, aber wie könnte man eine Adaption mit dem Vorsatz angehen, den die Produzenten der Serie hatten? Denn es ging ihnen ja auch darum, die Rolle der Rose zu stärken und eine starke Frauenfigur (in Form von Fra Dolcinos Tochter Anna) einzuführen. Nun, da hätte man vielleicht einen Kontrast mit Rückblenden herausarbeiten können. Wir lassen das Kloster, wie es ist – eine Männergemeinschaft und keine Anna, die einen Bernard Gui mit dem Schwert bedroht. Aber immer, wenn Remigius zurückdenkt an seine Zeit bei Fra Dolcino kann man den Kontrast herausarbeiten: hier das strenge, geregelte Leben im Kloster unter Männern, dort eine gemischte Gemeinschaft aus Männern und Frauen, die sich diesen Regeln nicht unterwerfen wollen. Besonders gut könnte sowas funktionieren, wenn in der Gegenwart von den Mönchen von der Verderbtheit der Frauen gesprochen wird und Remigius sich an sein Leben bei den Dolcinianern erinnert, wo von Verderbtheit nichts zu sehen ist. Damit hätte man auch eine Motivation, warum Remigius heimlich Nachts Frauen in die Abtei schmuggeln lässt. Aber das ist nur ein Grundgedanke, denn müsste man ausführlich ausarbeiten, und das möchte ich nicht.
Übrigens hat sich auch die Serie noch eine künstlerische Freiheit mit Bernard Gui in diesem Zusammenhang herausgenommen. Es wird gezeigt, dass er der Inquisitor bei Fra Dolcino war, das stimmt allerdings nicht. Gui hat viele Urteile gesprochen, aber das Urteil gegen Dolcino war nicht von ihm.
Was ist aber nun mit meinem komischen Gefühl in Bezug auf das Ende mit den Scheiterhaufen? Das ist immer noch da. Das Problem ist, dass ich weder genau sagen kann, ob das Ende des Romans ohne Scheiterhaufen besser gewesen wäre, noch habe ich eine Alternative anzubieten, die einen ganz anderen Weg gegangen wäre. Diesmal aber wirklich. Ich akzeptiere es daher einfach mal als gegeben, auch weil mir vor allem bei der Filmadaption Remigius’ dahingespucktes “Der Teufel, dem ich abschwöre, das seid Ihr, Bernardo Gui!”, hervorragend gesprochen von Helmut Qualtinger, so gut gefällt.
Das war es nun. Das waren meine Betrachtungen des Romans “Der Name der Rose” und seiner Umsetzungen. Wie ging es aber denn nun aus, damals, als ich mich zum ersten Mal mit dem Werk beschäftigte? Ich schrieb den Artikel für die Schülerzeitung, er wurde veröffentlicht und das war’s. Keine Resonanz. Außerdem hatte ich mir den Roman nochmal erarbeitet, für den Fall, dass ich in die mündliche Deutschprüfung gehen müsste. Da musste man sich nämlich ein Thema heraussuchen und vorbereiten, so für den Fall der Fälle. Dazu kam es aber nicht, meine Note stand nicht so zweifelhaft, dass es nötig gewesen wäre, die mündliche Prüfung abzulegen. Also verschwand diese Ausarbeitung irgendwann, wie weiland das zweite Buch der Poetik des Aristoteles. Jetzt brauche ich eigentlich nur noch, so als letzte Verbeugung vor dem Roman, ein gutes Zitat zum Schluss. Und ich glaube, ich habe da eines, das passt:
Der Name der Rose wäre Rose, wenn es die Rose gäbe.
Augusto Abelaira: “Der Name der Rose wäre Rose, wenn es die Rose gäbe” in Burkhart Kroeber (Hrsg.): „Zeichen in Umberto Ecos Roman ‚Der Name der Rose’“, dtv 1989, Seite 193
Quellenangaben
- Giacomo Battiato et al., nach Umberto Eco: „Der Name der Rose“, 11 Marzo Film
- Andrew Birkin et al., nach Umberto Eco: „Der Name der Rose“, Constantin Film 1986
- Sir Arthur Conan Doyle: „Sherlock Holmes – Eine Studie in Scharlachrot“, Lizenzausgabe des Kein & Aber Verlags 2005
- Umberto Eco: „Der Name der Rose“, Carl Hanser Verlag 2022
- Burkhart Kroeber (Hrsg.): „Zeichen in Umberto Ecos Roman ‚Der Name der Rose’“, dtv 1989
- diverse Autoren: „Die Bibel – Neues Testament“
- diverse Autoren: „Der Name der Rose – Pressebuch mit Informationen zum Film“, Constantin Film Presseabteilung 1986
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