Tim und Struppi: Kohle an Bord [Rezension]

1956 beginnt Hergé die Arbeit an einem Abenteuer, in dem eine ganze Reihe Figuren aus vergangenen Alben wieder auftauchen würden. Verbunden wurde das ganze durch eine mehrschichtige Handlung, die sich verschiedenen aktuellen Problemen widmeten. Eines davon: der Sklavenhandel.

Handlung: Zuerst begegnen Tim und Haddock nach einem Kinobesuch General Alcazar, dann wartet als zweite Überraschung auch noch Abdallah (aus „Im Reiche des schwarzen Goldes“) auf sie in Mühlenhof. Der Grund stellt sich bald heraus: In Abdallahs Heimatland hat es einen Staatsstreich gegeben und sein Vater, der Emir, musste flüchten. Sein Widersacher, Scheich Bab El Ehr, hat seine Flugzeuge aus der gleichen Quelle, aus der auch Alcazar Waffen beziehen will, um in San Theodorus wieder an die Macht zu kommen. Tim und Haddock reisen nach Khemed, um den Emir zu besuchen, doch ihre Reise wird sabotiert. Zu Fuß versuchen sie, sich nach Watisdah durchzuschlagen, um von dort weiter in die Wüste zu reisen.

Kritik: General Alcazar, Abdallah, Dawson, Oliveira de Figueira, Doktor Müller, Ben Kalisch Ezab, Allan Thompson und Roberto Rastapopoulos. Das sind die Figuren aus früheren Alben, die sich in „Kohle an Bord“ ein Stelldichein geben (in der Reihenfolge des Erscheinens). Und da sind General Tapioka und Scheich Bab El Ehr gar nicht mit dabei, denn diese werden eigentlich nur erwähnt, auch wenn sie eine gewisse Rolle spielen. Nicht ganz in die Reihe passt der Pilot Pjotr Klap, der hier zum ersten Mal dabei ist, aber nochmal wiederkehren wird.

Mit dem Sklavenhandel hatte Hergé wieder ein Thema gefunden, bei dem er Tim für die Schwachen eintreten lassen konnte. Mit entsprechender Dramatik kommt die Geschichte dann auch daher, etwa, als die in den Laderaum eingepferchten Pilger auf Haddock einstürmen, den sie für einen ihrer Peiniger halten. Mit der Idee, dass muslimische Pilger auf dem Weg von Afrika nach Mekka, also auf einer der heiligen Handlungen, die ein Moslem laut dem Koran in seinem Leben mindestens einmal machen sollte, verschwinden und als Sklaven verkauft werden, hat der Zeichner eine Idee aufgegriffen, die er in einem Zeitungsartikel gelesen hatte. Dort wurde von einer ebensolchen Praxis berichtet, mit der arabische Kunden mit Sklaven versorgt wurden. Der Codesatz „Kohle an Bord“, der der Geschichte auch den Namen gab, ist jedoch eine Erfindung von Hergé – aber eine sehr treffende, die die Menschenverachtung der Leute zum Ausdruck bringt, die andere Menschen als Ware ansehen.

Neben der düsteren Grundstimmung gibt es aber natürlich auch wieder lustige Momente, für die meistens Haddock zuständig ist, so zum Beispiel, als er so müde ist, dass er während des Gesprächs mit Oliveira de Figueira einschläft oder als er sich Bianca Castafiore, die wie immer seinen Namen verdreht, als „Harrock’n Roll“ vorstellt.

Das Ende der Geschichte mit dem Schicksal von Rastapopoulos geht schon ein wenig in Richtung der James-Bond-Filme. Allerdings muss man bedenken, dass „Kohle an Bord“ 1958 beendet wurde, die Welt aber noch vier Jahre auf den ersten Bond-Kinofilm warten musste. Das Album ist erneut eine spannende Geschichte. Dass der Hintergrund um Waffenschmuggel und Staatsstreich, der in die Handlung um den Sklavenhandel auch noch einspielt, manchmal etwas verwirrend ist, tut dem Gesamten keinen Abbruch. Schließlich ist auch im realen Leben die Politik nicht einfach.

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Tim und Struppi: Der Fall Bienlein [Rezension]

Mitte der 1950er kehrte Hergé zu den Einzelband-Abenteuern zurück und sollte auch dabei bleiben. Inzwischen hatte er ein eigenes Studio und begann, dessen Möglichkeiten voll auszuschöpfen. Bisher fertigte er die Zeichnungen zuerst mit Bleistift an und übertrug sie dann mit Tusche. Danach wurden sie koloriert. Nun konnte er verschiedene Techniken und Blickwinkel ausprobieren – ganz wie im Kino. Und wie im Kino sollte auch das neueste Abenteuer aussehen.

Inhalt: Auf Schloss Mühlenhof gehen ohne ersichtlichen Grund Gläser zu Bruch. Nachdem Bienlein zu einem Kongress nach Genf abgereist ist, ist der Spuk zuende. Tim vermutet einen Zusammenhang. In Bienleins Labor finden sich riesige Apparate, die zeigen, dass er an einem Experiment mit Ultraschall gearbeitet hat. Als Haddock und Tim dort einen bordurischen Spion überraschen, wird ihnen klar, dass der Professor in Gefahr ist. Sie reisen ihm nach und geraten in einen Konflikt zwischen Agenten aus Syldavien und Bordurien.

Kritik: Zuerst zwei Dinge, die nicht so ganz stimmig sind. Zum einen wird nicht klar, warum Bienlein diese Experimente mit Ultraschall macht. Noch in „Reiseziel Mond“ ist er stolz darauf, die Atomkraft zu einem friedlichen Zweck zu verwenden. Welchem friedlichen Zweck soll seine Ultraschallkanone dienen? Zum zweiten wird auch Syldavien in dem Band ziemlich zweifelhaft dargestellt, obwohl es ebenfalls in „Reiseziel Mond“ / „Schritte auf dem Mond“ das genaue Gegenteil war.

So, genug des Negativen. „Der Fall Bienlein“ ist eine stimmige Agentengeschichte im Hitchcock-Stil, in der Hergé erneut aktuelle Realität mit fiktiven Elementen mischt. Der Konflikt zwischen Syldavien und einem offenbar kommunistischen Bordurien spiegelt den kalten Krieg wieder, unter dessen Einfluss das Album entstand. Die Möglichkeiten des Studios kamen Hergés Sinn für Perfektionismus sehr entgegen, und für diese Geschichte ging er sogar so weit, sich in Genf nach Schauplätzen umzusehen. Das Hotel, in dem Bienlein absteigt, existiert genauso wie die Villa, die Vorbild für die bordurische Botschaft war. Sogar die Stelle, an der Tim und Haddock im Auto von der Straße abgedrängt werden und in den Genfer See stürzen, hat er eigens gesucht.

Auch hier werden zwei neue Figuren eingeführt, die in späteren Alben nochmals auftauchen werden. Die eine ist Oberst Sponsz (dessen Namen sich tatsächlich von dem brüssler Wort für „Schwamm“ ableitet), der Chef des bordurischen Geheimdienstes, die andere der aufdringliche Versicherungsvertreter Fridolin Kiesewetter. Hergé hat mit diesem einen Charakter eingefangen, den wahrscheinlich jeder Mensch kennt: ein Nervtöter, dessen Mundwerk einfach nicht still stehen kann und der damit natürlich prädestiniert ist für den Beruf eines Vertreters, denn natürlich hofft man immer, dass so eine Person möglichst schnell wieder geht. Und wie wird man einen Vertreter am schnellsten los? Indem man ihm was abkauft. Kiesewetter selbst akzeptiert auch kein „nein“, als Haddock ihm entnervt mitteilt, er sei gegen alles versichert, entgegnet ihm jener ohne auf den Einwand einzugehen: „Dann sind wir uns ja einig… bis bald!“

Den ersten Auftritt hat in dieser Geschichte auch die Metzgerei Schnitzel, deren Nummer dummerweise die gleichen Ziffern beinhaltet wie die von Mühlenhof – lediglich in anderer Zusammstellung, was dazu führt, dass entweder ständig Leute anrufen, die die Metzgerei haben wollen; umgekehrt landet Haddock ab sofort immer dann, wenn er besonders aufgeregt das Telefon bedient, bei deren Anschluss. Dass ersteres sehr nervig sein kann, kenne ich aus eigener Erfahrung, meine Telefonnummer war mal fast identisch mit der eines Kaffeeladens – nur zwei Ziffern waren verdreht.

Und noch ein Element führt Hergé ein, was vermutlich aus seiner eigenen Situation entstand: Kapitän Haddock, der in der Eingangssequenz erklärt, er habe genug von den Abenteuern und wolle nur noch Ruhe. Das entsprach dem Gefühl, das Hergé selbst hatte, manchmal fühlte er sich von seiner eigenen Schöpfung völlig eingenommen und sehnte sich nach Ruhe. In den folgenden Geschichten wird Haddock noch mehrmals den Wunsch nach Ruhe ausdrücken – und sich anschließend in ein neues Abenteuer stürzen. Auf die Spitze getrieben wird das in „Tim in Tibet“, aber dazu kommen wir noch.

Eine spannende Geschichte vor dem Hintergrund des Ost-West-Konflikts, die beweist, wie gut Hergés Abenteuer funktionieren, wenn sie zwar Fiktion, aber in der Realität verwurzelt sind.

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Tim und Struppi: Schritte auf dem Mond [Rezension]

Über die Entstehung der Geschichte wurde schon alles bei „Reiseziel Mond“ gesagt. „Schritte auf dem Mond“ ist die direkte Fortsetzung.

Inhalt: Die Rakete mit Bienlein, Tim, Haddock, Struppi und Ingenieur Wolff ist auf den Weg zum Mond. Gleich nach dem Start die erste Überraschung: Schultze und Schulze, die „ein Uhr Nachts“ und „ein Uhr Mittags“ nicht auseinanderhalten können, sind mit an Bord. Die andere Überraschung offenbart sich nur langsam, während die Expedition bereits dabei ist, die Mondoberfläche zu erforschen: Ein Spion einer fremden Macht hat sich in der Rakete versteckt. Sein Ziel: die Mondrakete zu starten, die anderen auf dem Mond zurücklassen und ihre Forschungsergebnisse einer fremden Macht übergeben.

Kritik: Genauso glaubwürdig wie im ersten Band sind die Begebenheiten im zweiten Band beschrieben. Hergé verzichtete ganz auf Fantasterei, und so stoßen die Expeditionsteilnehmer nicht auf Mondbewohner oder ähnliches, sondern finden eine dunkle, lebensfeindliche Landschaft vor. Natürlich hat die Geschichte auch gewisse Fehler, aber die ergeben sich zwangsläufig, muss man doch bedenken, dass der erste Mondflug fast zwanzig Jahre später stattfand. Hergé musste sich auf wissenschaftliche Aussagen verlassen, und eine Theorie war, dass es Wasser auf dem Mond gäbe. Also lässt der Zeichner seine Helden eine Höhle entdecken, in der sie zuerst Stalagmiten und schließlich ein Eisfeld finden.

Andere Abweichungen von der Realität sind der Erzähldramatik geschuldet, wie etwa die komplett durchsichtigen Kuppelhelme. Sie waren nötig, damit man auch von hinten erkennen kann, wer gerade im Bild ist. Bei den echten Astronauten hat der Helm lediglich vorne ein Visier, und das ist goldverspiegelt, um gegen Strahlen zu schützen.

Die Geschichte von der Mondexpedition steuert in diesem Band auf einen dramatischen Höhepunkt zu, einer der dramatischsten der Serie überhaupt. Leider ist die Geschichte um die Reise zum Mond der letzte Doppelband der Reihe. Die Bildkomposition und die gut gestrickte Handlung zeigen leider nicht, unter welchen Umständen sie zustande kamen. Hergé war mehrmals am Ende seiner Kräfte, so dass er ein Zeichenstudio gründete, in dem er Mitarbeiter mit klar verteilten Aufgaben hatte. Auch sein Arbeitsrhythmus wurde geändert und die nächsten Geschichten umfassten wieder jeweils ein Album.

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Tim und Struppi: Reiseziel Mond [Rezension]

Der erste Mensch auf dem Mond – das war Neil Armstrong im Juli 1969? Falsch! Im März 1953 landete der Reporter Tim mit einer von seinem Freund Professor Balduin Bienlein geleiteten Expedition auf dem Erdtrabanten. Zumindest in einer Geschichte, die ein weiteres Meisterstück in Hergés Reihe darstellt.

Inhalt: Professor Bienlein schickt ein Telegramm und bestellt Tim und Haddock nach Syldavien, wo er sich derzeit aufhält. Die Überraschung ist groß: Syldavien hat ein Kernforschungszentrum, in dem der Wissenschaftler daran arbeitet, einen Atommotor zu erfinden. Der Motor soll eine Rakete antreiben, die Menschen auf den Mond bringen wird. Und Bienlein hat Tim und Haddock als seine Begleiter ausersehen. Doch schon in der Vorbereitungsphase wird klar: Eine fremde Macht hat großes Interesse an den Forschungsergebnissen von Bienleins Expedition. Schließlich jedoch findet er statt: der Start ins Ungewisse.

Kritik: Interessanterweise kamen auch die Autoren der 1961 gestarteten Heftroman-Reihe „Perry Rhodan“ auf die Idee, die Rakete des ersten Mondflugs – der bei ihnen 1971 stattfand – mit einem Atommotor auszustatten. Doch was den Realismus betrifft, so hatte Hergé die Nase vorn (und ich spreche hier nicht von den Außerirdischen, die Perry Rhodan auf dem Mond fand, und Tim eben nicht). Während Rhodans „Stardust“ permanent mit Atomkraft betrieben wird, benutzt Bienleins namenlose Mondrakete (lediglich das Testmodell trägt die Bezeichnung „X-FLR6“) für Start und Landung einen herkömmlichen Düsenmotor, um den jeweiligen Platz nicht radioaktiv zu verseuchen. Bei Rhodan wartete man nach der Landung noch darauf, dass die Radioaktivität außerhalb der Rakete nachlassen würde.

Überhaupt wurde unheimlich Arbeit in die Recherche zu dem Doppelalbum gesteckt. Hergé ließ sich ein Modell von der Innenaustattung der Mondrakete bauen, um sicherzustellen, dass diese auf allen Bildern authentisch wirkt. Seine Mitarbeiter und er konsultierten verschiedene Fachmagazine. Wie stellten sich Wissenschaftler die Mondoberfläche vor? Wie muss die Rakete konstruiert sein, wie die Raumanzüge? Welche Fortbewegungsmittel benutzt man auf dem Mond? So nimmt auch die Konstruktionszeichnung der Mondrakete eine volle Seite ein, bei der an alles gedacht ist.

Die Geschichte rund um den Mondflug ist wieder eine geheimnisvolle Kriminalgeschichte mit einer überraschenden Auflösung – aber die kommt erst in der Fortsetzung. Ganz in der Tradition des Cliffhangers endet dieser Band mit dem Start der Rakete – und niemand weiß, ob die Astronauten noch leben.

Mir als Science-Fiction-Fan gefällt gerade dieser Doppel-Band natürlich besonders. Ich bin begeistert von davon, wie akkurat hier vorgegangen wurde. Die Doppel-Bände sind generell meine Lieblingsbände, aber dieser ist denen mein persönliches Highlight.

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Tim und Struppi: Im Reiche des schwarzen Goldes [Rezension]

1948 machte Hergé sich daran, eine Geschichte neu zu bearbeiten und fortzusetzen, die er 1940 wegen der Invasion der Deutschen hatte abbrechen müssen: „Im Reiche des schwarzen Goldes“. Nachdem er es unter den Nazis nicht wagen konnte, einen Deutschen als Bösewicht darzustellen, war das nach dem Krieg wieder möglich. Allerdings musste er die Geschichte an ein paar geänderte Situationen anpassen.

Inhalt: Die Welt steht am Rand eines neuen Krieges. Gleichzeitig sabotiert jemand die Benzinvorräte der westlichen Welt. Das Benzin ist verdorben und führt dazu, dass Motoren unerwartet explodieren. Während Schulze und Schultze dahinter eine Firma vermuten, die ihr Geld mit dem Abschleppen und Reparieren von Autos verdient, macht sich Tim allein auf die Suche nach der Ursache, die ihn nach Khemkhâh führen, in das Emirat von Scheich Ben Kalisch Ezab. Dort trifft er einen alten Bekannten wieder: Doktor Müller. Und er darf die Bekanntschaft des Scheichs und seines unvergleichlichen Sohnes Abdallah machen.

Kritik: Die Geschichte entstandt ursprünglich zu einem Zeitpunkt vor „Die Krabbe mit den goldenen Scheren“, also bevor Tim Haddock traf. Und ausgerechnet bei „Im Reiche des schwarzen Goldes“ war es nicht möglich, den Kapitän einfach so in die Handlung zu integrieren (das Abenteuer nimmt seinen Anfang, als Tim als Funker auf einem Öltanker anheuert, um verdächtigen Spuren nachzugehen; es wäre schlichtweg unmöglich gewesen, Haddock, der ja immerhin Kapitän ist, da mit einzubeziehen). Also bediente sich der Zeichner eines Tricks: Ganz zu Beginn der Geschichte erhält Tim einen Anruf von Haddock. Der Kriegsgefahr wegen ist er zur Marine eingezogen worden und muss ein Schiff kommandieren.

Der Hintergrund eines drohenden Krieges hat mich als junger Leser etwas verwirrt. Natürlich entstand die ursprüngliche Geschichte im Hinblick auf den Zweiten Weltkrieg, der ja eigentlich schon begonnen hatte und nur darauf wartete, dass die Aliierten in den Konflikt eintreten würden. Hergé bleibt allerdings unbestimmt, die Schlagzeilen, die Tim in der Zeitung liest, sprechen lediglich von einem Krieg, aber nicht, wer die kriegführenden Staaten sind. Mitten in der Geschichte hört der Reporter schließlich eine Radiomeldung, dass die Kriegsgefahr gebannt sei.

Ungefähr an dem Punkt, an dem Hergé die Geschichte 1940 das erste Mal abbrechen musste, ist auch der Punkt, wo die Geschichte, die am Anfang wieder recht düster war, endgültig einen leichteren Tritt bekommt. Und sah das ursprüngliche Konzept vor, dass das verdorbene Benzin die Armee des Gegners lahmlegen soll, so ist der Hintergrund nun – wie schon beim Arumbaya-Fetisch – der Kampf von zwei gegnerischen Ölföderungsgesellschaften.

Beinahe schelmisch geht der Zeichner mit Haddock um. Anstatt sich eine weitschweifige Erklärung für seine Abwesenheit und sein plötzliches Auftauchen am Ende der Geschichte auszudenken, macht er es ganz kurz. Als Haddock am Anfang zur Marine eingezogen wird, macht Hergé sich nicht einmal die Mühe, das Schiff des Kapitäns mit einem Namen zu bezeichnen, es heißt nur „XY (der Name muss geheim bleiben)“. Und aus seinem Auftauchen am Schluss macht der Autor einen „running gag“: Jedes Mal, wenn Haddock Tim erzählen will, wie es kommt, dass er so unverhofft auftaucht, wird er unterbrochen.

Gesamt gesehen war das Album keine Steigerung gegenüber dem Doppelband „Die sieben Kristallkugeln“ / „Der Sonnentempel“, aber Hergé hatte ein gewisses Niveau erreicht, unter das er fortan nicht mehr fallen sollte, obwohl er noch mit Ideen aufwarten sollte, die manche als „merkwürdig“ empfanden.

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Tim und Struppi: Der Sonnentempel [Rezension]

Über die Entstehung des Albums wurde im Artikel „Die sieben Kristallkugeln“ schon alles gesagt. Dieser Band schließt sich nahtlos an.

Inhalt: Bienleins Entführer sind in Peru angekommen. Offenbar hat der zerstreute Professor in ihren Augen Gotteslästerung begangen, weil er sich den Armreif der Mumie des Rascar Capac angelegt hatte. Mit Hilfe des Indianerjungen Zorrino folgen Tim und Haddock den Entführern in die Anden, zum letzten Versteck der Inkas: dem Sonnentempel.

Kritik: Das Okkulte, das in Teil 1 der Geschichte angelegt wurde, tritt hier für eine lange Zeit erst einmal in den Hintergrund. „Der Sonnentempel“ ist zur Hauptsache eine Abenteuergeschichte und berichtet davon, wie Haddock und Tim zum Sonnentempel kommen und was sie dort erleben. Die „Pointe“ der Geschichte, die Hergé übrigens von einer Erzählung über Christoph Kolumbus hat, bereitete dem Zeichner selbst Magenschmerzen, und das aus zwei guten Gründen. Erstens dauert das Ereignis, das Tim ausnutzt, viel zu lang für einen Überraschungseffekt. Zweitens: Wie heißt nochmal der Ort, an dem sich die wackeren Abenteurer befinden? Richtig – und man kann eigentlich davon ausgehen, dass Priester eines solchen Tempels bestens über solche Ereignisse Bescheid wissen. Er ließ die Geschichte trotzdem so enden, und es tat ihr keinen großen Abbruch.

Wieder kommt der Humor nicht zu kurz, dafür sorgen unter anderem Schulze und Schultze, aber auch Kapitän Haddock. Bei diesem benutzt Hergé einen Kunstgriff, den er in „Die sieben Kristallkugeln“ schon angedeutet hat. Als Haddock dort eine Treppe in Birnbaums Haus herunterfällt, blickt er scheinbar den Leser mürrisch an, als wolle er sagen: „Wehe, wenn Sie lachen!“ Im „Sonnentempel“  geht er noch weiter: Haddock will seine Fitness demonstrieren und springt ohne Anlauf längs über einen Tisch. Er schafft den Sprung aber nicht ganz und schlägt mit dem Hinterteil auf der Tischkante auf. Der Tisch kippt und eine Obstschale wird hochkatapultiert, deren Inhalt Haddock auf den Kopf fällt. Hier durchbricht Hergé dann die berühmte „vierte Wand“, der Kapitän schaut den Leser direkt an und fragt: „Finden Sie das etwa komisch?“

Für die Umarbeitung als Album musste die Geschichte etwas gekürzt werden, aber das fällt nur auf, wenn man sehr genau hinsieht und es stört den Fluss der Handlung nicht. Beispiel gefällig? Als die beiden kurzfristig getrennt werden, trifft Haddock schließlich auf einen als Indio verkleideten Tim und erkennt ihn nicht wieder. Auf Seite 12 des Albums in der obersten Reihe spricht Haddock Tim im mittleren Bild an: „Sage mir, mein Sohn, hast du einen jungen Weißen mit einem kleinen Hund gesen?“ Auf dem nächsten Bild zieht Tim seine Mütze ab und sagt: „Ja, und ich kenne ihn sehr gut!“ Wenn man genau hinsieht, erkennt man, dass die beiden im mittleren Bild auf der Straße stehen. Im nächsten Bild stehen sie plötzlich auf einem Stück Rasen vor dem Haus, das vorher im Hintergrund war. Hier wurde eine Bildfolge entfernt, in der Haddock mit Kreide ein Bild von Tim an die Hauswand malt. Die Geschichte gewinnt dadurch – und die anderen Kürzungen – an Tempo, auch wenn so den Comic-Album-Lesern Haddocks zeichnerisches Talent vorenthalten wird.

„Der Sonnentempel“ ist ein würdiges Finale für eine rundum überzeugende Geschichte, die Hergés Vorliebe für die amerikanischen Naturvölker entspricht.

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Tim und Struppi: Die sieben Kristallkugeln [Rezension]

Dezember 1943 begann die Hergé mit einer neuen, längeren Geschichte, die allerdings insgesamt 4 Jahre bis zur Vollendung brauchen würde. Der Grund war der Krieg, Deutschland wurde zurückgeschlagen und die Repression der Nazis schlug um in ihr Gegenteil. Schwarz oder weiß – entweder, man war ein Nazi-Kollaborateur gewesen oder ein Widerstandskämpfer. Da Hergé für Le Soir gearbeitet hatte, war er automatisch zum Kollaborateur geworden. Er hatte aber Glück, Freunde zu haben, die seine humanistische Einstellung kannten und wussten, dass er kein Freund von Faschisten war. Von September 1944 bis September 1946 hatte Hergé Arbeitsverbot. Dank seines Freundes Raymond Leblanc änderte sich jedoch alles – Tim bekam sein eigenes Wochenmagazin: Tintin. Und die Geschichte konnte weitergehen.

Inhalt: Eine Expedition kehrt aus Südamerika zurück, nachdem sie dort ein Inkagrab gefunden und die Fundstücke nach Europa gebracht hat. Dann geschehen merkwürdige Dinge, ein Expeditionsmitglieder nach dem anderen fällt in einen kataleptischen Schlaf, der alle 24 Stunden um immer exakt die gleiche Uhrzeit durch einen psychotischen Anfall unterbrochen wird. Immer werden dabei neben den Opfern Kristallsplitter gefunden, die offenbar von einer kugelförmigen Ampulle stammen. Als als letzter Bienleins Freund Professor Hippolytos Birnbaum noch nicht betroffen ist, besuchen Tim, Haddock und Bienlein diesen. Er erzählt vom Fluch des Inka Rascar Capac, der sich offenbar an der Expedition erfüllt.

Kritik: Hergé unternimmt in diesem Doppelalbum einen Ausflug in die Welt des Okkulten, was die Geschichte teilweise sehr unheimlich macht (etwa wenn Haddock, Tim und Bienlein davon träumen, die Mumie des Rascar Capac würde in ihr Schlafzimmer eindringen). Gleichwohl hat die Geschichte aber auch ihre lustigen Höhepunkte und mit General Alcazar, der unter dem Namen Ramon Zarate im Varieté arbeitet, trifft Tim einen alten Bekannten wieder.

Die Geschichte bekommt einen besonderen Dreh, als Bienlein entführt wird, offenbar von den gleichen Leuten, die für den Zustand der sieben Forscher verantwortlich sind. Von da an tritt das Okkulte ein wenig in den Hintergrund und die Kriminalgeschichte in den Vordergrund, als es darum geht, die Entführer zu verfolgen. Mit der Spur, die nach Südamerika führt, endet schließlich das Album.

Zweifellos gehören die doppelbändigen Geschichten zu den besten der Reihe. Leider wird es nach „Die sieben Kristallkugeln“ / „Der Sonnentempel“ nur noch eine solche geben: „Reiseziel Mond“ / „Schritte auf dem Mond“. Hergés Perfektionismus war inzwischen auf seinem Höhepunkt, er sammelte von überall her Informationen und Bilder. Seine Hauptinformationsquelle, zum Beispiel über fremde Völker wie die Inkas, war das „National Geographic“. Bei „Der geheimnisvolle Stern“ hatten Kritiker ihm hämisch vorgeworfen, Haddocks Schiff wäre weder see- noch hochseetauglich. Er wollte nicht, dass ihm das nochmal passiert. Seinen Alben tat der Perfektionismus gut. So auch diesem.

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Tim und Struppi: Der Schatz Rackhams des Roten [Rezension]

Über die Entstehung des Albums ist bei „Das Geheimnis der ‚Einhorn'“ schon alles gesagt worden. Hergé hat die Geschichte beider Alben in einem konzipiert. Aber im zweiten Teil der Schatzsuche kommt endlich das letzte bedeutende Mitglied auf Tims Bühne, das fortan unverzichtbar wird.

Inhalt: Nachdem Tim und Haddock im letzten Album das Geheimnis der „Einhorn“ ergründet haben, begeben sie sich nun auf die Suche nach dem Schatz. Frantz von Hadoque hat die Position des gesunkenen Schiffes auf einem Pergament hinterlassen. Umd das Schiff finden zu können, brauchen sie eine besondere Tauchausrüstung, und die liefert ihnen Professor Balduin Bienlein.

Kritik: Die Handlung ist genauso mit einem überraschenden Ende versehen, wie bereits der erste Teil, auch wenn es diesmal keinen zweiten Handlungsstrang mehr gibt. Mit Professor Balduin Bienlein hat Hergé eine weitere Persönlichkeit geschaffen, die er nach dem bekannten Wissenschaftler Auguste Piccard gestaltete. Bienlein ist beinahe sowas wie der Prototyp des zerstreuten Professors, ein Erfinder, der ab und an selbst mit alltäglichen Dingen überfordert ist (deutlich zu sehen in „Tim und die Picaros“, als er ein Bad nimmt und vergisst, seinen Bademantel auszuziehen). Und die Schwerhörigkeit, mit der ihn der Zeichner ausstattet, bietet exzellente Vorlagen für allerhand komische Situationen. Am besten kommt das zum Tragen, als ein Reporter an Bord des Schiffes kommt, als es von seiner Expedition zurückgekehrt ist und Haddock ihn auf Bienlein verweist – der arme Mann verzweifelt an den Antworten des Professors, die so gar nichts mit seinen Fragen zu tun haben.

In diesen Album wird die Suche vom ersten Teil genauso clever fortgesetzt, wie sie begonnen hat. Die Geschichte als ganzes (also beide Folgen zusammen) ist sicherlich einer der Höhepunkte der Reihe. Meine Ausgabe von „Der Schatz Rackhams des Roten“ ist genauso zerlesen wie „Das Geheimnis der ‚Einhorn'“. Tatsächlich bleibt auch mir nichts anderes übrig, als mich Shakespeare anzuschließen, den Bienlein als Schlusswort zititert: „Ende gut, alles gut“.

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Tim und Struppi: Das Geheimnis der „Einhorn“ [Rezension]

Mit Beginn der Arbeit an seinem neuesten Comic hat nach Einschätzung von vielen Kennern Hergé eine neue Schaffensperiode eingeläutet. Tim war erwachsener geworden. Die neue Periode begann der Zeichner dann auch gleich mit zwei Neuerungen, die sich als sehr erfolgreich erwiesen: einem Abenteuer, das doppelt so lang war wie die bisherigen, und der Einführung der zwei letzten wichtigen Personen ins Repertoire der Geschichten.

Inhalt: Auf dem Flohmarkt findet Tim das Modell eines alten Schiffes, das er Haddock schenken will. Doch nicht nur er interessiert sich dafür. Er kann es dem Kapitän nur noch zeigen, dann wird es ihm gestohlen. Doch Haddock stellt fest, dass das Schiff das Modell der „Einhorn“ ist, das Schiff seines Vorfahren Frantz von Hadoque. Besagter Frantz hat einen Schatz versteckt, und die Modelle der „Einhorn“, von denen es drei gibt, sind der Schlüssel dazu. Langsam wird Tim klar, was die Diebe seines Modells gesucht haben, als er von diesen entführt wird.

Kritik: Die Geschichte – und ihre Fortsetzung – hält einige Überraschungen bereit. Die Suche nach Hinweisen auf einen Schatz ist mit einer Krimihandlung verwoben, bei der manche mehr zu wissen glauben, als sie wirklich wissen. Und im Gegensatz zu „Der geheimnisvolle Stern“ kommt hier der Humor nicht zu kurz.

Während bei „Die Zigarren des Pharao“ und „Der blaute Lotos“ die Fortsetzung noch lose war und beide Alben auch allein stehen können, ist die Handlung in „Das Geheimnis der ‚Einhorn'“ nicht abgeschlossen. Es gibt zwar ein Happy-End, aber den Schatz, um den es geht, hat man noch nicht gefunden. Als neue Figur wird der Diener Nestor eingeführt, der später Haddocks Diener werden wird. In diesem Band ist er noch Butler der Antiquitätenhändler Vogel-Faull, ohne allerdings von deren verbrecherischen Ambitionen zu wissen. Für die leichtere Note sorgen vor allem Schulze und Schultze, die einem Taschendieb auf der Spur sind. Diese Handlung hat mit dem Geheimnis der „Einhorn“ zwar nur am Rande zu tun, wird aber auf eine interessante Weise mit der Geschichte verknüpft.

Dieses Album ist einer der Höhepunkte der Reihe. Nebenbei bemerkt ist es auch eines meiner ersten Alben von Tim und Struppi gewesen, was man ihm mittlerweile auch ansieht. Der Rücken ist ausgeblichen, die Bindung nicht mehr frisch und die Seiten haben Falten vom vielen Lesen. Man sieht: ich nehme es immer noch gerne zur Hand.

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Tim und Struppi: Der geheimnisvolle Stern [Rezension]

Oktober 1941: Schon einen Tag, nachdem das Abenteur „Die Krabbe mit den goldenen Scheren“ seinen Abschluss fand, wurde der Auftakt für die neueste Geschichte veröffentlicht, der man wieder mehr die düstere Zeit anmerkte, in der sie entstand.

Handlung: „Aber das wäre ja dann…“ – „Das Ende der Welt! Jawohl!“ Nachdem Tim in einer extrem heißen Nacht einen neuen Stern im Sternbild des Großen Bären entdeckt hat und Kontakt mit Observatoriumsdirektor Johann Baptist Phossyl aufnimmt, erfährt er, dass der Stern in Wahrheit ein Meteor ist, der am nächsten Morgen mit der Erde zusammenstoßen wird. Doch der Weltuntergang findet nicht statt, der Meteor verfehlt die Erde, aber ein Stück von ihm landet im Polarmeer. Da auf ihm ein Element vermutet wird, dass es auf der Erde nicht gibt, wird eine Expedition ausgerüstet, um dieses Gestein zu bergen. Die Zeit drängt, denn schon ist eine von Bankiers aus Sao Rico finanzierte zweite Expedition unterwegs, die das Gestein weges seines Wertes holen soll.

Kritik: Das Album ist etwas düsterer als seine Vorgänger, was zweifellos dem Krieg geschuldet ist. Gleich zu Beginn der Geschichte wartet Hergé mit einem Paukenschlag auf: Das Ende der Welt soll gekommen sein.  Andere düstere Elemente sind die Verwendung von Träumen, die als solche nicht erkennbar sind, der Auftritt eines gefährlichen Geisteskranken und die Ankunft auf dem Meteor selbst, mit Riesenschmetterlingen, Riesenspinnen und Riesenpilzen. Aber Kapitän Haddock, der das Schiff der Expedition kommandiert, hat sich gemacht. Weit entfernt von dem Alkoholwrack, das noch in „Die Krabbe mit den goldenen Scheren“ ein Rettungsboot in Brand steckte, zeigt er sich zwar noch immer dem Alkohol zugeneigt, steht aber seinen Mann, wenn es darauf ankommt. Beispielhaft ist die Episode, als er während eines Sturms auf der Brücke steht und diesen als „nur eine Mütze voll Wind“ bezeichnet und kurz darauf geistesgegenwärtig die Kollision mit einem anderen Schiff verhindert.

In diesem Band wollte Hergé wieder etwas Kapitalismuskritik anbringen: hier die europäische Expedition, die aus rein wissenschaftlichen Gründen nach dem Meteor sucht, auf der anderen Seite die Expedition aus Sao Rico, von Banken finanziert, die aus dem unbekannten Element Kapital schlagen möchte. Dass hier wieder ein fiktives Land ins Spiel kommt, liegt allerdings an einer Änderung, die erst später gemacht wurde. In der ursprünglichen Fassung stammte die Konkurrenz aus den USA.

Eine nicht ganz so heitere Geschichte mit vielen sehr düsteren Nuancen um einen (moralischen) Wettlauf, die allerdings, gerade was Kapitän Haddock betrifft, einige wichtige Entwicklungen enthält. Damit rangiert die Folge ungefähr im Mittelfeld, während die nächste Geschichte wieder einen Höhepunkt darstellt.

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