Die Bundestagswahl steht vor der Tür und ich habe da „ein verdammt mieses Gefühl“. Das Gefühl dreht sich darum, dass wir uns im Kreis drehen, auf der Stelle treten, nicht vorwärts kommen, obwohl wir das eigentlich müssten. Leider haben da die Medien, insbesondere der bisher von mir immer sehr stark in Schutz genommene öffentlich-rechtliche Rundfunk (ÖRR) eine sehr unrühmliche Rolle gespielt. Eigentlich wollte ich mich des Themas nicht annehmen, aber angesichts des Unsinns, der da verbreitet wird, sehe ich, dass ich wohl keine andere Wahl habe. Außerdem wollte ich diese Seite wiederbeleben anlässlich des diesjährigen Jubiläums des Projekts, warum dann nicht mit gesellschaftlich relevanten Themen?
Mein Frust über die Situation hat sich über die letzten Tage und Wochen angestaut. Mir wurden die Unzulänglichkeiten der Medien immer wieder vor Augen geführt und ich fühlte mich an einen Artikel erinnert, den ich vor einiger Zeit geschrieben hatte, genau zu diesem Thema: die Unzulänglichkeiten der Medien. Als mein Frust stieg, weil wir uns wegen bestimmter Ereignisse der letzten Zeit in einer Abwärtsspiral zu befinden scheinen, fasste ich den Entschluss, das ganze nochmal für den Podcast aufzuarbeiten. Dazu zog ich meinen alten Artikel heran – und ich war entsetzt: Das Original wurde publiziert am 4. März 2013 – und jetzt, fast zwölf Jahre später diskutieren wir immer noch über die gleichen Dinge und die Diffamierungen sind sogar die gleichen. Um einen Einstieg zu bieten, möchte ich den Artikel zusammen mit ein paar Reaktionen hier veröffentlichen. Dazu überarbeite ich ihn ein bisschen, im großen und ganzen bleibt er aber in der Originalfassung. Änderungen habe ich transparent gemacht. In den nächsten Tagen gibt es dann die Fortsetzung dazu.

SWR3 Flopthema – Mein Topthema
ursprünglich veröffentlich am 4. März 2013
Es passiert so viel in der Welt – wie will man da noch auf dem Laufenden bleiben? Die verschiedenen Fernseh- und Radiosender bieten dazu die unterschiedlichsten Formate an, Nachrichten und Sondersendungen. Eins dieser Formate ist das „SWR3 Topthema“. Vom Radiosender SWR3 wird es beworben als „der tägliche Info-Schwerpunkt in der SWR3-Nachmittagsshow“. Ein aktuelles Thema wird ausgesucht, zu dem ein Reporter gegen 17.40 Uhr ausführlicher berichtet, als das innerhalb der stündlichen Nachrichten möglich ist. Eine gute Möglichkeit, sich einen tieferen Einblick in ein tagesaktuelles Geschehen zu verschaffen – wenn denn die Qualität stimmt. Und das tut sie schon lang nicht mehr: „SWR3 Flopthema“ – ein persönliches Topthema von Thorsten Reimnitz.
Der Südwestrundfunk, kurz SWR, ist 1998 aus den Sendern „Südwestfunk“ und „Süddeutscher Rundfunk“ entstanden, weil man einen Sonderfall beenden wollte: Baden-Württemberg war bis dahin das einzige Bundesland, in dessen Grenzen es zwei öffentlich-rechtliche Landesanstalten gab. Er unterhält drei Fernseh- und acht Hörfunkprogramme. Eins dieser Hörfunkprogramme ist SWR3, ein Sender, der aktuelle und 80er-Jahre-Hits spielt. Neben der Musik gibt es verschiedene Informationsformate, zum Beispiel das wochentägliche „SWR3 Topthema“. Das Format fand ich ansprechend, in einem etwa vier Minuten langen Beitrag wird auf den Hintergrund eines aktuellen Themas eingegangen. Auch praktisch: Der Sender bietet das Format als Podcast an, für den Fall, dass man zur Sendezeit um 17.40 Uhr gerade nicht vor dem Radio sitzt.
Doch vor einiger Zeit beschlich mich ein unangenehmes Gefühl, weil mir beim „Topthema“ immer mehr Merkwürdigkeiten auffielen. Am Anfang war es ein einzelner Satz. In einem Beitrag über Politikverdrossenheit in Deutschland kam er völlig unvermittelt, als der berichtende Journalist über das Programm der so genannten „Alternativparteien“ berichtete. Der Satz, respektive, der Satzteil lautete (aus dem Gedächtnis):
„…die Piraten, die einer Sozialromantik nachhängen, die schon Griechenland ins Unglück gestürzt hat…“
So schnell wie er kam, war er auch schon vorbei und ließ mich ratlos zurück. Wovon zum Teufel sprach der Mann da? Und was sollte das?
Zunächst einmal ist das Wort „Sozialromantik“ ein negativ konnotierter Kampfbegriff, den (meistens Politiker) immer dann verwenden, wenn sie die Sozialsysteme in Deutschland diffamieren wollen: Sie sind zu teuer, und außerdem laden sie zum Schmarotzertum ein. Wer beispielsweise den berechtigten Einwand bringt, dass man die Gelder, die man nun der privaten Versicherungsindustrie in den Hals stopft, auch dazu verwenden könnte, etwa die gesetzliche Rente zu stärken, wird als „Sozialromantiker“ verunglimpft. Die Rente, so heißt es dann gebetsmühlenartig, müsse durch Privatvorsorge unterstützt werden.
Und was hat das mit der Piratenpartei und mit Griechenland zu tun? Ich weiß, dass die Piraten einige sehr weitgehende Forderungen haben, zum Beispiel das „bedingungslose Grundeinkommen“, also dass jeder Bürger Deutschlands vom Staat monatlich einen bestimmten Betrag bekommen soll, egal ob er arbeitet oder nicht. Nur: In Griechenland gab es dieses Grundeinkommen nie. Überhaupt, die Krise in Griechenland hat so vielschichtige Ursachen, dass es geradezu fahrlässig ist, sie auf eine wie auch immer geartete „Sozialromantik“ zu reduzieren.
Und da kam es mir: Reine Stimmungsmache. Der Satz soll beim Hörer hängenbleiben als „die Piratenpartei darf man nicht wählen, sonst geht’s bei uns bergab, so wie in Griechenland“. Ähnliches machten Journalisten auch mit den Grünen in ihrer Gründungszeit und danach. Nun bieten die Piraten sicherlich viele Gründe, sich kritisch mit ihnen auseinanderzusetzen, aber dann soll man das bitte Konkret machen – welche Forderung genau meint der Journalist und warum ist sie seiner Meinung nach schlecht für Deutschland? Was der Journalist hier gemacht hat, ist die Schlussfolgerung vorweg zu nehmen ohne Argumente zu liefern: die Piraten sind schlecht für Deutschland. Punkt. Eigene Schlüsse kann der Hörer nicht ziehen, denn er bekommt ja keine Fakten. Und „en passant“, wie es im Schach heißt, wird auch noch auf Griechenland eingedroschen, die „Sozialromantik“ ist schuld an dessen Situation.
Okay, aber ein blindes Korn unter vielen guten verdirbt ja nicht unbedingt ein gutes Format, oder? Richtig. Nur: es ging weiter. Und zwar gleich so drastisch, dass es mich aufhorchen ließ. Am 18. September 2012 strahlte SWR3 das Topthema „Armes Deutschland – reiches Deutschland*“ aus, in dem die Ergebnisse des so genannten „Armuts- und Reichtumsberichts der Bundesregierung“ vorweg genommen wurden. Nennen wir den Journalist, der die Reportage gemacht hat, der Einfachheit halber „W.“
Schon die Anmoderation ließ mich stutzen: „Wir Deutschen werden immer reicher. Das ist schön“, liest der Moderator vor und in seiner Stimme ist deutlich zu merken, dass er nicht weiß, ob er diese Worte mit Ernst in der Stimme oder voller Ironie vortragen soll. Doch dann kommt ein Journalist aus Berlin zu Wort, der klipp und klar sagt, dass die Reichen reicher und die Armen ärmer werden weil „den reichsten zehn Prozent der Deutschen […] mehr als die Hälfte des kompletten Privatvermögens [gehören]“.
Aber gleich darauf haut mir der Journalist W. meine Hoffnung auf eine ausgewogene Berichterstattung um die Ohren: „Bevor die nächste Neiddebatte losbricht“, meint er und lässt damit gleich den nächsten Kampfbegriff raus, müsse man bedenken, dass die reichsten zehn Prozent auch 55 Prozent der Lohn- und Einkommenssteuern zahlen. Auch der Umstand, dass die Einkommenssteigerung bei den Reichen viel höher war und bei den unteren 40 Prozent der Einkommensskala diese Steigerungen sogar von der Inflation mehr als aufgefressen wurden, lässt den Reporter kalt:
„Dieses typisch deutsche Ungerechtigkeitsempfinden ist schön und gut, aber die Lohnentwicklung sollte eigentlich ökonomisch begründet sein. Ansonsten gibt’s ganz schnell griechische Verhältnisse.“
Ah ja, das hat jetzt natürlich wieder sein müssen: das „Schreckgespenst Griechenland“ wird an die Wand gemalt. Die Frage nach der Gerechtigkeit der Verteilung ist per se eine „Neiddebatte“ und es ist völlig okay, dass bei den unteren 40 Prozent der Einkommensspanne in den letzten Jahren wegen der Inflation keine Lohnsteigerung stattgefunden hat.
Man denkt hier, zynischer geht’s nicht mehr, doch die Regierung selbst stellte sich als noch zynischer heraus: Als einige Wochen nach diesem unseligen „Topthema“ der „Armuts- und Reichtumsbericht“ wirklich herauskam, war er „modifiziert“ worden – man hatte Passagen, die auf ein Versagen der deutschen Sozialpolitik hinwiesen, einfach entfernt.
Am 19. Oktober 2012 berichtet das SWR3 Topthema – ebenfalls von W. erarbeitet – unter der Überschrift „Das dicke Ende kommt noch*“ über die angekündigte Strompreiserhöhung, die angeblich allein wegen der so genannten „Energiewende“ kommt. Gegenargumente werden geradezu unverschämt abgekanzelt:
„Natürlich gibt es jetzt Märchenonkel und Lügenbarone wie Jürgen von Trittin (sic!). Der behauptet allen Ernstes, dass der Verbraucher nur deshalb so viel bezahlen muss, weil ein Teil der Industrie von der Ökostromumlage befreit ist.“
Nun finde ich die Bezeichnung „Märchenonkel“ und „Lügenbaron“ aus dem Mund eines investigativen Journalisten nicht unbedingt professionell, mal ganz davon abgesehen, dass gerade das Prädikat „Lügenbaron“ von nicht ganz so humorvollen Zeitgenossen durchaus als Beleidigung aufgefasst werden kann. Auch in der Argumentation ist der Journalist schwach und schiebt gleich hinterher:
„Das ist natürlich – erstens – blühender Blödsinn…“
Warum es „blühender Blödsinn“ sein soll, erklärt der Journalist nicht. Er behauptet es einfach. Die „Blätter für deutsche und internationale Politik“ stellen in dem Artikel „Das sabotierte Jahrhundertprojekt“ fest, die Verbraucher würden für großzügige Geschenke an die Industrie zahlen und weisen das auch nach. Des weiteren heißt es:
„Dabei bedienen [die Regierungsparteien] sich einer perfiden Strategie: Sie bürden den Bürgerinnen und Bürgern, aber auch großen Teilen des Mittelstandes, höhere Lasten auf als notwendig und entlasten im Gegenzug die großen Industrien. Dieser Tatsache wird in der seit Monaten heiß laufenden Debatte über steigende Strompreise viel zu wenig Beachtung geschenkt. Stattdessen liegt der Fokus auf einer wegen der Ökostromförderung angeblich „unkontrollierten Entwicklung“ der Stromkosten.“
Das allein ficht W. nicht an – und wer „erstens“ sagt, der muss auch „zweitens“ sagen. Und so heißt es im SWR3 Topthema weiter:
„…zweitens kann Jürgen von Trittin (sic!) gerne mal nach Griechenland fahren und sehen, wie gut es in einem Land ohne wettbewerbsfähige Industrie und Wirtschaft geht…“
Das musste ja kommen! Ohne Griechenland kann man den Hörern ja gar nicht so richtig Angst machen vor der bösen Energiewende, die einer der apokalyptischen Reiter ist, bevor dann der Weltuntergang kommt. Wahrlich, ich sage Euch, der Weltuntergang ist grün! Wann er kommt? Keine Ahnung. Aber irgendwann wird die Welt schon untergehen, und dann ist die Energiewende mit Sicherheit einer der apokalyptischen Reiter.
Auch bin ich mir gar nicht sicher, ob der Umstand, dass W. den Politiker Jürgen Trittin konsequent falsch „von Trittin“ nennt, wirklich ironisch gemeint, sondern nur dem Umstand geschuldet ist, dass der Journalist von seiner „Lügenbaron“-Analogie so selbstbeschwippst war, dass er Trittin mit dem Freiherrn von Münchhausen durcheinander geworfen hat. Ich weiß es nicht, und wie ich jetzt gelernt habe, recherchiert man in so einem Fall nicht, sondern geht einfach von einem Umstand aus, der einem genehm ist.
Mal ganz davon abgesehen – was hat Griechenland hier verloren? Nichts! Es ist eine billige Pointe auf dem Niveau der BILD, mehr nicht. In diesem Topthema geht es doch angeblich um den deutschen Strommarkt.
Doch gemach! Noch sind die Ausführungen des W. nicht beendet, er hat noch zwei Punkte abzuarbeiten. So sagt er:
„…drittens hat er [Trittin] mit seiner ersten Energiewende die Ökostromumlage selbst eingeführt…“
Ein absolutes Nullargument: die Umlage wird jedes Jahr neu berechnet und die jeweils aktuelle Bundesregierung hätte es in der Hand, einzugreifen. Genau genomment wurde das ja gemacht, nur halt im Sinne der Industrie, nicht im Sinne des Verbrauchers.
Als letzter Punkt wird dann noch gesagt:
„…und das viertens in einer Art und Weise, die einer unkontrollierbaren Luxussubvention von Solar und Wind gleichkommt, entgegen dem Rat aller Fachleute, die rechnen können.“
Da wird es ganz besonders flach: „Fachleute, die rechnen können.“ Und alle Fachleute, die anderer Meinung sind, können einfach nicht rechnen, oder wie? Immerhin, im Rest des Berichts bekommt auch die Bundeskanzlerin ihr Fett ab, weil sie mal behauptet haben soll, die (zweite) Energiewende sei zum Nulltarif zu haben und zum Schluss hin bemüht sich der Journalist um einen Witz. Da der Offshore-Windpark in der Nordsee bislang noch nicht ans Stromnetz angeschlossen aber bald schon fertig gestellt sei, würde man sich überlegen, den dort produzierten Strom dazu zu verwenden, das Meer rund um Helgoland aufzuheizen. Das sei zwar eine kleine Ökosauerei, aber für die erste deutsche Tropeninsel werde es schon reichen. [Anmerkung aus dem Jahr 2025: Angesichts des an Fahrt gewinnenden Klimawandels sollte W. sein „Witz“ im Hals steckenbleiben. Es erinnert mich an folgende Konversation aus „Star Trek“:
Checkov: I made a little joke, Mr. Spock.
Spock: Extremely little, Ensign!]
Ja, ich weiß, das ist nicht lustig, nicht mal ansatzweise – ich sagte aber auch, W. „bemühe“ sich um einen Witz, nicht dass er wirklich einen mache. Dieser „Witz“ ist so peinlich, den würde nicht mal Mario Barth erzählen.
Schlagen wir die Brücke in die Gegenwart, denn heute habe ich beschlossen, mein Podcast-Abonnement für das SWR3 Topthema zu beenden. Der Grund: das SWR3 Topthema vom Freitag, 1. März 2013, das ich heute gehört habe. Das Thema: das vom Bundestag verbrochene Leistungsschutzrecht (LSR). Journalist: W.
Die Überschrift „Neues von den Schildbürgern in Berlin“ würde ich ja noch so mittragen, aber der Rest hat mich fassungslos den „Podcast-Abonnement beenden“-Knopf klicken lassen. Eigentlich fängt es vielversprechend an, W. spricht davon, dass diese vom Bundestag verabschiedete Fassung des Leistungsschutzrechts hauptsächlich eine Geld- und Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Anwälte ist und den Steuerzahler Geld kosten wird. Doch nicht etwa, weil ein solches Gesetz von vornherein Unsinn wäre, nein.
W. behauptet, Google würde „aus Zeitungen (sic!) Überschriften und kurze Texte kopieren und sie ins Netz stellen, ohne dafür zu bezahlen…“ Das ist schon mal falsch, denn die Texte stellen die Zeitungen selber ins Netz. W. redet der Verlegerlobby das Wort, die Google als „digitale Wegelagerer“ bezeichnet. Dass man es auch anders sehen kann – geschenkt. Argumente? Fehlanzeige. [Anmerkung aus dem Jahr 2025: Interessant, wie sich die Situation hier gedreht hat. Damals nahm Google die Textschnippsel und leitete den interessierten Besucher auf die entsprechende Webseite weiter, was ja der Sinn einer Suchmaschine ist. Dieser Sinn sollte durch das LSR sabotiert werden und in dessen Zug die Struktur des Internets. Heute ist es tatsächlich so, dass Google die Inhalte von Webseiten aufbereitet und auf der eigenen Seite parat stellt.]
Auf dünnes Eis begibt er sich, als er behauptet, die kurzen Textschnippsel oder „Snippets“ würden nun ausdrücklich von dem neuen Gesetz erlaubt: Der Medienjournalist Stefan Niggemeier hat bei den Verlagen nachgefragt und laut deren Meinung gingen die Suchergebnisse von Google über die vom Gesetz definierten „kleinsten Textteile“ hinaus (siehe hier), das LSR würde bei Google also greifen. Selbst W.s Kollegin Sarah Renner vom ARD-Hauptstadtstudio, die in dem Podcast von einer Pressekonferenz in Berlin berichtet, kann nur sagen, dass die Vertreter der Regierung auch auf Nachfragen keine genaue Antwort gegeben hätten.
Warum das Leistungsschutzrecht nun so aussieht wie es aussieht, das weiß W. auch sehr genau: Viele Internetbenutzer hätten „wütend“ auf die erste Fassung des Gesetzes reagiert, „befeuert von einer monatelangen, extrem teuren Anzeigenkampagne von Google“. Dass diese ominösen Internetbenutzer sich vielleicht auch eigene Gedanken gemacht haben, kommt W. offenbar nicht in den Sinn. Den Leuten sei „eingeredet worden, die Regierung würde die Freiheit im Internet bedrohen“. Dann versteigt sich W. zu etwas, das ich schon mal gehört habe:
„Das ist natürlich blühender Blödsinn…“
Ach tatsächlich? Na ja, vielleicht hat ja auch der Lügenbaron Hieronymus von Google seine Finger im Spiel? Aber es ist interessant, wie völlig ohne jedes Argument hier einfach etwas behauptet wird. Es ist nicht einfach „nur“ blühender Blödsinn, es ist „natürlich“ blühender Blödsinn! Jedem muss das klar sein. Argument überflüssig. Und wenn das Leistungsschutzrecht nicht kommt, dann haben wir bald griechische Verhältnisse. Da soll Jürgen von Trittin ruhig mal nach Griechenland fahren und nachschauen, wie es in einem Land ohne Leistungsschutzrecht aussieht! Aber echt, he!
Und Google ist böse, das merken wir gleich daran, dass die nicht einfach eine Anzeigenkampagne gefahren haben, o nein! Sie haben eine „extrem teure“ Anzeigenkampagne gefahren! Oh mein Gott, ich muss mir an den Kopf fassen! Schnell, rennt alle zu den Fenstern und gebt mir Bescheid: Ist das Abendland schon untergegangen?
Kein Wort von der Kampagne der Presseverlage, die es mit der Wahrheit nicht so genau nahmen, um es mal freundlich zu formulieren. Stefan Niggemeier war nicht so freundlich, „Lügen für das Leistungsschutzrecht“ nannte er es. Interessanterweise kommt Niggemeier in dem Podcast selber zu Wort. Nach einer Einschätzung über Sinn und Unsinn des Leistungsschutzrechts wurde er offenbar nicht gefragt. Die Kampagne der Verlage kann man bei ihm hier nachlesen:
- Lügen für das Leistungsschutzrecht (1)
- Lügen für das Leistungsschutzrecht (2)
- Lügen für das Leistungsschutzrecht (3)
- Lügen für das Leistungsschutzrecht (4)
- Lügen für das Leistungsschutzrecht (5)
W. verschweigt so viel: Dass es Verlage gibt, die das LSR kritisch sehen – geschenkt. Dass es Journalisten gibt, die das LSR kritisch sehen – geschenkt. Das existiert alles nicht in der Welt des SWR3 Topthemas. Die Initiative IGEL – geschenkt. Dass nicht jeder – vermutlich die wenigsten – Kritiker des LSR von Google gekauft wurden – geschenkt. Dass die Verlage das Gesetz der Regierung quasi diktiert haben – geschenkt. Der ganze Podcast ist eine einzige Kampagne, auf die Christoph Keese vermutlich stolz wäre.
All das hat letztlich dazu geführt, dass ich den Podcast abbestellt habe. Ich will keine Phrasen („blühender Blödsinn“, „Neiddebatte“) oder gar Beleidigungen („Lügenbaron“) hören, ich will Argumente. Und eine Meinung will ich mir selber bilden, ansonsten kann ich auch eine Boulevardzeitung lesen. Ich will ausgewogene Berichterstattung und Information. Aber offenbar ist das ja zu viel verlangt. Oder ich bin hier einfach an der falschen Stelle. Na ja, jetzt nicht mehr.
[Anmerkung aus dem Jahr 2025: Der Artikel erschien vor der Einführung des LSR. Was in Folge passiert ist, berichtet die Seite zum Leistungsschutzrecht auf der Wikipedia:
Die mediale Berichterstattung zum Leistungsschutzrecht wurde vielfach kritisiert. Der Medienjournalist Stefan Niggemeier veröffentlichte hierzu etwa mehrere Episoden mit dem Titel Lügen fürs Leistungsschutzrecht, in denen er scharfe Kritik an den Medien übte, vor allem in Bezug auf Zensur und Fehlinformation. So blieb etwa das kritische, von 18 Professoren unterzeichnete Gutachten zum Leistungsschutzrecht des Max-Planck-Instituts trotz mehrerer dpa-Meldungen weitgehend unbeachtet, während über andere unbedeutendere Befürworter berichtet wurde.
Auch wurde oftmals behauptet, Google würde Inhalte der Verlage widerrechtlich übernehmen. Ein in der Main-Post und der Augsburger Allgemeinen erschienener Artikel behauptet etwa:
„Der amerikanische Internetriese sammelt Texte ohne Rücksicht auf Urheber und Verlagsrechte in speziellen Nachrichtenportalen.“
Jedoch können Verlage Google jederzeit mit Hilfe der robots.txt den Zugriff verweigern. Des Weiteren wird durch Snippets das Urheberrecht nicht verletzt. Zudem ist es möglich, die Snippets abzustellen, aber trotzdem in den Suchergebnissen angezeigt zu werden. Für Google News ist außerdem eine gesonderte Registrierung mittels eines Formulars bei Google nötig.
Vom Handelsblatt wurde des Weiteren die Behauptung verbreitet, dass Google Suchergebnisse „über Stunden“ zu seinen Gunsten zensiert und Google-kritische Beiträge sowie Berichte über die Debatte zum Leistungsschutzrecht entfernt habe.
Der Verband Deutscher Zeitschriftenverleger behauptete zudem, dass die Anzahl der Befürworter des Gesetzes die Zahl der Kritiker übersteige. Doch während außer den Verlegern keine weiteren Unterstützer des Gesetzes bekannt sind, wurde es von vielen Industrieverbänden und Organisationen abgelehnt.
Bevor das Leistungsschutzrecht am 1. August 2013 in Kraft getreten ist, hatte sich Google Deutschland im Juni 2013 an die Presseverleger gewandt. Diese sollten Google mitteilen, ob sie auf die Ansprüche aus dem Gesetz bezüglich Google News verzichten und diesem eine kostenlose Lizenz gewähren. Andernfalls würden ihre Inhalte ab dem 1. August nicht mehr in Google News gelistet; in der normalen Suche blieben sie jedoch weiterhin. Zur Begründung führte Google an, dass von Google News weltweit jeden Monat sechs Milliarden Nutzer weiter auf die Seiten von Medien klicken und Google daher einen echten Mehrwert für die Verleger bedeute.
Kurz vor Inkrafttreten des Leistungsschutzrechts wurde am 30. Juli 2013 bekannt, dass viele der stärksten Befürworter des Gesetzes, darunter die Verlage Axel Springer, Burda und FAZ, durch Annahme des von Google geforderten „Opt-in“ einer weiteren unentgeltlichen Listung in Google News zugestimmt haben.
Nicht nur Google setzte Maßnahmen gegen das Leistungsschutzrecht um. Seit Anfang August 2014 zeigen die Webportale GMX, Web.de und T-Online keine Suchresultate mehr für Inhalte von Axel Springer und anderen Verlagshäusern an, die ihre Leistungsschutzrechte durch VG Media vertreten lassen. Auch weniger bekannte Suchmaschinen schränken ihre Dienste vorsorglich ein oder wurden inzwischen wegen des Leistungsschutzrechts gänzlich eingestellt. Indes besitzt Google als einzige Suchmaschine eine unentgeltliche Lizenz der VG Media. Dies wird regelmäßig als Wettbewerbsverzerrung und Stärkung der monopolähnlichen Situation des deutschen Suchmaschinenmarktes beurteilt.
Quelle: Wikipedia-Artikel „Leistungsschutzrecht für Presseverleger“ – Der Text ist unter der Lizenz „Creative-Commons Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen“ verfügbar; Informationen zu den Urhebern und zum Lizenzstatus eingebundener Mediendateien (etwa Bilder oder Videos) können im Regelfall durch Anklicken dieser abgerufen werden.]
Für diesen Artikel greift das LSR nicht, da diese Art der Bearbeitung in Deutschland (noch) durch das Zitatrecht geschützt (UrhG § 51 Zitate) ist. Mal sehen, wie lange noch.
* Diese Reportagen sind online, soweit ich das gesehen habe, leider nicht mehr verfügbar. Die Podcasts lagen mir aber vor.
Ergänzung vom 5. März 2013 zum Artikel von mir:
Und noch eine interessante Tatsache: In dem letzten „Topthema“ kommt ja Stefan Niggemeier zu Wort (wenn auch nur kurz). Der hat aber gar nicht mit SWR3 gesprochen, sondern mit dem Deutschlandfunk, und über diese Art der Zweitverwertung ist er gar nicht begeistert:
http://www.stefan-niggemeier.de/blog/luegen-fuers-leistungsschutzrecht-5/#comment-734501
Er nennt das „Topthema“ eine (Zitat) „missglückte Kritischer-Journalismus-Simulation“. Dem ist nichts mehr hinzuzufügen.
Weitere Ergänzung vom 6. März 2013 zum Artikel von mir:
Noch eine Ergänzung zum LSR-Podcast und den zeitlichen Abläufen: W. dreht die zeitlichen Abläufe durch den Wolf, weil es ihm in seiner Argumentation in den Kram passt. Google hat seine Initiative „Verteidige Dein Netz“ erst im November 2012 – also relativ spät – gestartet. Die Initiative gegen ein Leistungsschutzrecht IGEL beispielsweise startete schon Dezember 2010. Und auch andere Gegenstimmen waren schon lange vor der Google-Initiative zu hören. „Verteidige Dein Netz“ war nur die Reaktion von Google auf die verheerend falsche Berichterstattung der Pressemedien.
Kommentar eines vorgeblichen Redakteurs, der nach eigener Auskunft selbst einmal am „Topthema“ gearbeitet haben will, geschrieben unter den Originalartikel am 7. März 2013:
Als jemand, der selber mal vor 15 Jahren das Topthema bei SWR3 gemacht hat: bei aller Kritik an Themensetzung und -behandlung nicht vergessen, dass es nicht um einen Post mit unbegrenzt Platz geht, sondern um Radio. Das zielt erstens eher auf den Bauch als auf den Kopf – das muss eine Popwelle wie SWR3 tun, sonst wird sie nicht gehört.
Zweitens: Selbst die fünf Minuten, die das Topthema so etwa bekommt, sind verdammt wenig Zeit – hättest Du, Thorsten, Deinen Blogpost ins Topthema gepackt, wäre in etwa nach dem Wort „Sozialromantik“ Schluss gewesen. Und was da alles hinten runter gefallen wäre…
(Das als kleiner Blick auf die andere Seite – also bitte nicht zu laut wundern, dass SWR3 irgendwie nicht der Deutschlandfunk ist.)
Meine Antwort darauf vom selben Tag:
Also, Entschuldigung: DAS kann ich nicht gelten lassen, denn das zeigt, das an dem Format generell was faul ist. Wie soll man denn das Publikum anständig informieren, wenn von vornherein keine Zeit dafür da ist? Desinformation und Manipulation werden quasi billigend in Kauf genommen?
Dann soll man es doch lieber gleich bleiben lassen. Das Problem ist doch, dass unzählige Hörer – sei es aus Bequemlichkeit oder simplem Zeitmangel – sich nicht aus mehreren Quellen informieren. Und die denken, sie werden vom „Topthema“ einigermaßen „neutral“ informiert. Auch weil SWR3 ein öffentlich-rechtlicher Sender ist und das bei vielen noch immer den Anschein einer gewissen Neutralität hat, zumindest aber den Anspruch einer besseren Qualität als beispielsweise RTL und Konsorten.
Was den Spruch „das muss eine Popwelle wie SWR3 tun, sonst wird sie nicht gehört“ betrifft: Ich glaube, hier wird der Hörer unterschätzt, und das zeigt ein grundsätzliches Problem des „Radiomachens“, nämlich der Eindruck, dass man einem – wie auch immer gearteten – Durchschnittsmenschen zu viel Niveau nicht zumuten kann. Da bleibt man doch lieber „seicht“.
Ich bekam auch ein paar eMails zu dem Artikel, die ich aber leider nicht mehr wörtlich habe. Ein Schreiber verteidigte das Vorgehen des SWR und die Kürze der Beiträge, darauf entgegnete ich ihm, dass man dem Hörer doch was zutrauen müsse und ihm gut ausgearbeitete und auch längere Reportagen zu hören geben. Seine Antwort darauf (an die erinnere ich mich noch sehr gut): „Wer sowas sagt, der fragt sich auch, warum auf RTL keine Opern laufen.“
Außerdem hatte ich im Anschluss an den Artikel ein paar interessante Telefonate mit einer Person, die selbst über Vorkommnisse im Funkhaus recherchierte. Über die Person und den genauen Inhalt der Telefonate möchte ich nichts sagen, um mich nicht juristisch angreifbar zu machen. Eine eMail meinerseits an den Sender direkt mit den wesentlichsten Kritiken blieb unbeantwortet.
Eine Fortsetzung der Geschichte gab es bereits hier im Blog im Jahr 2017: „Der Dudelfunk – eine unendliche Geschichte„.
2 Antworten auf „Ist das die perfekte Welle oder ein Wiedergänger? – Themen, die nicht totgehen und wiederkommen mit der unangenehmen Regelmäßigkeit einer ungeliebten Jahreszeit“