„112 – Sie retten dein Leben“ – Eine genauere Kritik

Direkt im Anschluss an die erste Folge der neuen RTL-Action-Soap-Wasauchimmer-Serie „112 – Sie retten dein Leben“ habe ich mich hingesetzt und unter dem ersten Eindruck eine Kritik geschrieben. Dieser erste Eindruck war… schlecht. Sollten Sie ihn bisher noch nicht gelesen haben, nehmen Sie sich die Zeit und holen Sie es nach – Sie finden den Artikel hier: „Tatü – Tata: 112 – Wer rettet wen und warum?“ Ich warte so lange, bis Sie wieder da sind.

Gelesen? Schön. Wie ich in dem Artikel angekündigt habe, habe ich mir tatsächlich die komplette erste Woche dieser Serie angetan. Manchen Serien muss man eine gewisse Zeit geben, damit sie sich entwickeln können, oder damit man eventuell sehen kann, in welche Richtung es geht (so ist es mir persönlich zum Beispiel bei „Babylon 5“ gegangen). Da es sich bei „112…“ um ein Format mit recht kurzen Episoden handelt, ist es nicht möglich, sehr viel Handlung in einer Folge unterzubringen. Aber nun, nach fünf Folgen, kann man schon etwas klarer sehen, daher hier meine Nachbesprechung – wieder aus dem Blickwinkel eines Menschen, der – im Gegensatz zu den Schreiberlingen dieser Serie – Ahnung von der Materie hat. Ich möchte die Kritik aufteilen, zuerst eine allgemeine Einschätzung, dann werde ich mir jede der vier Folgen seit letztem Dienstag einzeln vornehmen, und dann eine abschließende Einschätzung über das Potential der Serie. Ja, sie hat ein Potential – ein Gefahrenpotential. Aber dazu kommen wir später.

Mr. Pither: Sie sind Konteradmiral Sir Dudley Compton?
Chinese: Nein. Er gestorben. Hat Herzinfarkt und fallen aus Fenster auf explodierende Bombe und getötet in Schießerei.
(aus „Monty Python’s Flying Circus“, Episode 34: „Die Fahrradtour“)

Als ich die zweite Folge der Serie sah, war ich kurz geneigt, mich positiv überraschen zu lassen. Leider wurde das alles zunichte gemacht, so dass ich zu dem Schluss kam: nach der Freitags-Folge werde ich mir keine weitere mehr antun. Ich tat es, weil ich der Serie eine Chance geben wollte. Immerhin ist es tatsächlich so, dass eine tägliche Serie, die die Arbeit von Feuerwehr und Rettungsdienst thematisiert, ein neues Konzept ist. Nicht neu ist hingegen die Umsetzung. Es ist mehr „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“, nur dass die ganzen Jugendlichen durch (einigermaßen) erwachsene Menschen ersetzt wurden und halt nicht in einem hippen Café oder einer Werbeagentur arbeiten, sondern im Rettungswesen. Die persönlichen Geschichten, die erzählt werden, könnte so auch in irgendeine andere Umgebung gesetzt werden, sie sind völlig austauschbar und gehen mir mittlerweile auf die Nerven. Hier wurden Möglichkeiten einfach verschenkt. Mal ganz davon abgesehen, dass die Menschen genauso zickig reagieren, wie in jeder anderen Seifenoper. Gibt es ein Problem oder einen Konflikt, redet man nicht darüber, nein, man schweigt beleidigt. Auf diese Weise lässt sich der Konflikt über unzählige Episoden hinziehen und man muss sich nichts neues ausdenken.

Verschenkt wurden auch die Möglichkeiten, einen Hintergrund aufzubereiten, denn darüber erfährt man eigentlich nichts. Okay, man sieht, Rettungsdienst, Feuerwehr und Polizei unter einem Dach – das scheint eine Novität zu sein. Aber warum? Was ist das? So eine Art Pilotprojekt? Das wird nicht gesagt. Ist die Verwaltungschefin deswegen so hinter den Zahlen her, weil sie weiß, wenn die Kosten aus dem Ruder laufen, wird das Experiment auch ganz schnell wieder abgeblasen? Was ist das mit der „Paramedic“? Wird hier ein neues Berufsmodell für den Rettungsdienst ausprobiert? Fragen, deren Antworten recht spannend sein könnten. Leider wurde das alles in die Wolken geblasen für ein bisschen Action und 08/15-Seifenoper-Handlung. Und wo wir gerade von der Action reden: Das Zitat aus dem „Flying Circus“ habe ich oben gebracht, weil ich bei jeder Folge an diese Szene denken musste. Es reicht nämlich nicht ein einfacher Notfall, nein, da muss immer noch was draufgegeben werden. Und damit zu den einzelnen Folgen. Da diese keine Titel haben, habe ich einfach Folgennummer und Datum angegeben.

Folge 2, 26. August 2008

  • Der Notfall

Aufgrund eines schlecht ziehenden Holzkohleofens verraucht eine Wohnung. Als die Feuerwehr den Kamin freiräumen will, entsteht ein Kellerbrand – und das in der Nähe einer schlecht verlegten Gasleitung, die zu explodieren droht.

  • Plotlöcher

Konsequenzen aus Folge 1: In Folge 1 überschreitet der von Dominic Saleh-Zaki dargestellte Polizist Florian Carstens ein paar Grenzen, als er Anweisungswidrig handelt und die Notfallsituation damit verschärft. Er muss sich hier einiges anhören und ehrlich, ich war positiv beeindruckt: Alles, was ich über den Eigenschutz in meiner ersten Kritik gesagt hatte, kam hier zur Sprache. Das waren regelrecht lichte Momente, in denen ich hoffte, man würde mehr daraus machen. Leider blieb es dabei, aber eigentlich sollte man Einsatzleiter Ingo Benders (Gernot Schmidt) Satz den Schreibern der Serie auf die Stirn tackern: „Bringt Euch nicht in Gefahr, das bringt den Opfern auch nichts!“

Paramedic – oder so: In meiner Kritik zu Folge 1 habe ich die Liebschaft des Dienststellenleiters, deren Namen ich leider vergessen (oder verdrängt) habe, noch als „Notärztin“ bezeichnet. In dieser Folge kommt nun heraus – das ist sie gar nicht. Florian Carstens bezeichnet sie hämisch als „Paramedic“, weil „zum Medizinstudium hat’s wohl nicht gereicht“. Ich weiß nicht, wo die Schreiber das her haben, aber in der Tat gibt es im Moment eine berufspolitische Diskussion um die Zukunft der Ausbildung im Rettungsdienst. Eine der Überlegungen ist es, eine Art „Paramedic“ als Beruf im Rettungsdienst einzuführen. Insofern wäre das in der Serie dargestellt Projekt wirklich richtungsweisend – aber wie schon mehrfach gesagt, man macht einfach nichts draus. Lieber konzentriert man sich auf das Verhältnis der Paramedic zu Dienststellenleiter Martin Carstens (Joachim Raaf), Florians Vater, was ein kompliziertes – und sehr konstruiertes – Dreiecksverhältnis aufbaut. Den Beruf „Paramedic“ gibt es derzeit nicht, auch haben Rettungsdienstmitarbeiter nicht die Befugnisse, die die Paramedic in der Serie ausübt (Medikamentengabe und Defibrillation ohne Notarzt und dergleichen – es gibt da zwar die so genannte „Notkompetenz“, aber das würde hier zu weit führen).

Disponentin „erhört“ den Notfallort: Bei dem Notfall dieser Episode ist eine junge Frau in einer Wohnung, die gerade von einem schlecht ziehenden Ofen verraucht wird. Sie wählt den Notruf, kann allerdings keine Angaben mehr über ihre Adresse machen. Was tun? Die Disponentin hört auf Hintergrundgeräusche und kann so den Notfallort eingrenzen. Ui, toll… Darf ich gleich zwei Alternativen anbieten, die ein wenig realistischer gewesen wären? Nummer eins, auch wenn die Anruferin ein altes Wählscheibentelefon hat, so müsste es dennoch möglich sein, ihren Anschluss zu ermitteln – schon hat man ihre Adresse. Ta – da! Wie, zu langweilig? Okay, Alternative zwei: Die Anruferin hat im Verlauf des Gesprächs erzählt, sie wolle nicht zu den Nachbarn gehen (um die genaue Adresse zu erfragen), die hätten sie kürzlich angezeigt, weil sie Gras (Canabis) auf ihrem Balkon angebaut habe. Dann muss es doch einen Eintrag bei der Polizei geben. Den Namen der Frau hat man, man fragt den Computer der Polizei ab – schon hat man ihre Adresse. Ta – da!

  • Notfall-Kokolores

Vorgehen ohne Atemschutz: Obwohl bekannt ist, dass in der Wohnung Brandgase vorhanden sind, gehen sowohl der Einsatzleiter der Feuerwehr als auch die Besatzung vom Rettungswagen ohne Atemschutz in die Wohnung. Dass das Rettungsdienstpersonal mit in die Wohnung kommt, ist an sich schon ein Unding. Die Rettung solcher Personen ist Sache der Feuerwehr – MIT Atemschutz.

Lass Dich drücken: Was zur Hölle macht die Paramedic, als der Einsatzleiter nach der Explosion – die er erstaunlich gut überstanden hat, obwohl ihn die Feuerwalze voll erfasst, hochschleudert und er auf seiner Pressluftflasche landet – auf der Trage liegt? Er hat Kammerflimmern, offenbar soll das, was sie tut, so was wie eine Herz-Druck-Massage sein. Es sieht aber aus wie Brustkorb streicheln. Dass sie kurz darauf den Defibrillator verwendet, ist sogar korrekt. Ein Kammerflimmern kann durch einen gezielten Stromstoss bekämpft werden.

Guten Morgen, Sonnenschein: Ich habe das Gefühl, ich bewege mich im Kreis. Noch in der ersten Kritik habe ich von den Patienten erzählt, die gleich nach einer Reanimation aufwachen – und zack! Was passiert? Der Einsatzleiter wacht auf, nachdem er wiederbelebt werden musste. Er gibt sogar Anweisungen und muss sich dafür die Kommentare von Kollegen anhören. An der Stelle hab ich 500 Milligramm Acetylsalicylsäure gebraucht.

Folge 3, 27. August 2008

  • Der Notfall

Ein Mann wird von seiner Frau verlassen. Als sie aus dem Haus tritt, schießt er sie vom Balkon aus nieder. Als der Rettungsdienst und die Polizei eintreffen, schießt er auch auf sie und hindert sie so daran, der Verletzten zu helfen.

  • Plotlöcher

Dieses Büro ist zu klein für uns beide: In jeder Episode zanken sich Carstens und die Verwaltungschefin Doktor Driesen (Sandra Schlegel). So auch hier. Nur langsam wird es langweilig, weil die Diskussion stets unsachlich ist, gerade so, als ob beide keine Ahnung haben, um was es eigentlich geht.

Das Bermuda-Dreieck: Weiter wird die Dreiecksbeziehung zwischen Carstens, seiner Geliebten und seinem Sohn ausgewalzt. Alles dazu habe ich bereits weiter oben erwähnt.

  • Einsatz-Kokolores

Noch fünfzehn Minuten bis Buffalo: Theodor Fontane möge mir verzeihen, dass ich sein Zitat aus „John Maynard“ mit einer Seifenoper in Verbindung bringe, aber es passt: Als die Frau verletzt auf dem Rasen liegt, sagt die Paramedic, sie habe „noch fünfzehn Minuten“, bevor sie verblutet. Wo nimmt sie diese Zahl her, noch dazu, da sie die Verletzte wegen des rumballernden Ehemans gar nicht richtig hat untersuchen können?

Ich gehe nirgendwo hin: Der Dienststellenleiter leitet zwar den Einsatz seiner Polizisten – aber er tut das von der Wache aus. Das eigentliche Verfahren – und ich denke, dass das bei der Polizei ähnlich ist wie bei anderen Hilfsdiensten – ist, dass ein Einsatzleiter vor Ort ernannt wird. Es ist viel zu Umständlich, einer in einem Büro weit entfernt sitzenden Person über Funk die Situation zu erklären, damit diese dann Entscheidungen treffen kann. Noch dazu, da sich die Situation von Sekunde zu Sekunde ändern kann und möglicherweise eine schnelle Entscheidung gefragt ist.

Folge 4, 28. August 2008

  • Der Notfall

Durch einen Defekt gerät der Motor eines Aufzugs in Brand. In dem Aufzug sind zwei Personen eingeschlossen, von denen eine kollabiert. Beim Rettungsversuch stellt sich heraus, dass bei der Wartung des Aufzugs gepfuscht wurde und das Tragseil zu reißen beginnt.

  • Plotlöcher

Und täglich grüßt das Murmeltier: Das Dreieck Vater-Sohn-Liebschaft bekommt langsam spitze Winkel, als der Sohn der Liebschaft gegenüber den Vater als Weiberheld darstellt (nicht ahnend, wem er das erzählt). Statt das Gespräch zu suchen, zieht sich die Paramedic beleidigt zurück. Vorausschaubare Teletubbie-Dramaturgie. Obwohl, das ist nicht ganz fair. Ich entschuldige mich bei den Teletubbies (und das war jetzt auch vorausschaubar, was?).

Und er soll heißen „ZDLs Traum“ – weil er so seltsam angezettelt ist: Hat man das schon erlebt – Fontane und Shakespeare zusammen in einer Kritik über eine Seifenoper? Nun, „Ein Sommernachtstraum“ ist „112…“ wahrlich nicht, denn in dieser Folge wird mit dem nächsten Klischee aufgefahren: Ein neuer Zivildienstleistender (kurz „ZDL“) hat seinen Einstand, dem die Null-Bock-Einstellung schon auf die Stirn geschrieben steht. Was macht so jemand ausgerechnet beim Rettungsdienst? Es gibt viel bequemere Stellen, wo man den Zivildienst „runterreißen“ kann.

Das „Pilot“-Projekt: Etwas ganz besonderes haben die Schreiber offenbar mit dem Piloten des Hubschraubers vor, der feststellt, dass seine Hände unkontrolliert zu zittern beginnen. Es handelt sich hierbei vermutlich um die „Oh-Gott-wenn-das-rauskommt-kann-ich-meinen-Job-nicht-mehr-machen-was-dann-ich-verheimliche-es-lieber-auch-wenn-ich-dabei-mein-Leben-und-das-von-anderen-riskiere“-Handlung, die ihren Lauf nimmt.

  • Einsatz-Kokolores

Alte Seilschaften: Um zu der zwischen zwei Stockwerken hängenden Aufzugskabine zu kommen, klettern sowohl Polizist Carstens (der Sohn) als auch die Paramedic (des Vaters Liebschaft) am Aufzugsseil hinab. Der Eigenschutz hatte wohl gerade seinen Jahresurlaub eingereicht. Oder um es mit den Worten der Paramedic (allerdings aus der nächsten Folge) zu sagen: „Das geht ja mal sowas von gar nicht!“

Ohr-Troubles – Problem mit den Ohr’n: In der Aufzugkabine angekommen wird der bewusstlose Patient untersucht. Mit Hilfe eines Stethoskops stellt die Paramedic die Diagonse „Kammerflimmern“. Das kann man nur mit einem EKG, hören tut man bei einem Kammerflimmern – gar nichts. Das Herz steht nämlich praktisch still. Das bringt uns zum nächsten Punkt.

Dieser Notfall wird Ihnen präsentiert von SALZ(TM). Denn: SALZ(TM) ist überall. Gewöhnen Sie sich dran! Nachdem die Paramedic also die Diagnose „Kammerflimmern“ gestellt hat, brüllt sie den Schacht hoch nach ihrer Notfalltasche (die in der Serie übrigens konsequent falsch als „Koffer“ bezeichnet wird). Warum die Notfalltasche? „Ich brauche die Salzlösung!“ Salzlösung, okay, den Begriff als solches kann man noch durchgehen lassen, aber bei einem Kammerflimmern wäre der Defibrillator das Mittel der Wahl. Die Infusion bringt gar nichts. Sie macht aber nichts dergleichen, auch keine Wiederbelebung. Hätte er wirklich ein Kammerflimmern gehabt, wäre der Mann gestorben. Aber wir sind ja nur beim Fernsehen. Ist ja alles gar nicht echt. Der tut ja nur so.

Entschuldigung. Ich mache gleich weiter. Ich muss nur meine Fassung wiederfinden.

Danke, geht schon wieder. Also, weiter im Text. Ist ja nur noch eine Folge.

Folge 5, 29. August 2008

  • Der Notfall

Ein Verkehrsunfall. Ein Motorradfahrer stürzt, ein Kleintransporter weicht ihm aus und überschlägt sich. Der Kleintransporter landet genau auf der Fracht des Motorrads, ein Spenderorgan, das dringend benötigt wird.

  • Plotlöcher

Väter der Klamotte: Natürlich muss das Dreieck noch ein wenig komplizierter werden. Der Sohn entlarvt die „Maschen“ des Vaters und dessen Vorliebe bei Frauen. Die Paramedic wird noch zickiger (falls das überhaupt geht). Habe ich die Teletubbies schon erwähnt?

Der Fluch des Navigators: Die Ausfälle des Piloten werden immer heftiger, Händezittern, verschwommenes Sehen, starke Kopfschmerzen. Laut den Regeln der Seifenopern-Medizin spricht das alles dafür, dass der Pilot ein Hirntumor hat. Das würde zu der „Oh-Gott-wenn-das-rauskommt-kann-ich-meinen-Job-nicht-mehr-machen-was-dann-ich-verheimliche-es-lieber-auch-wenn-ich-dabei-mein-Leben-und-das-von-anderen-riskiere“-Handlung noch die „Oh-Gott-ich-habe-eine-gefährliche-Krankheit-sag-es-aber-niemandem“-Handlung dazubringen. Das Resultat wäre eine „Oh-Gott-ich-habe-eine-gefährliche-Krankheit-die-meine-Leistungskraft-beeinflusst-wenn-das-rauskommt-kann-ich-meinen-Job-nicht-mehr-machen-was-dann-ich-verheimliche-es-lieber-auch-wenn-ich-dabei-mein-Leben-und-das-von-anderen-riskiere“-Handlung.

Rettung aus der Not: Ein gewisser Doktor Tom Wagner (Max Alberti) stellt sich vor, der demnächst als „Rettungsarzt“ anfangen soll. Anderswo nennt man solche Leute „Notarzt“ – und wieder wird mir das System nicht klar, denn bisher hat man keinen Notarzt im Einsatz gesehen, nur die Paramedic. Wozu braucht man den Neuen, außer zum Aufpeppen der Handlung?

„Ent-scheidung“ ist auch ’ne Scheidung: Dienststellenleiter Carstens und Frau Doktor Driesen geraten mal wieder aneinander. Sie will den Hubschrauber aus Kostengründen nicht starten lassen. Auch wenn die Bürokraten mittlerweile im medizinischen Sektor sehr viel Macht haben, so weit ist es noch nicht. Wird ein Hubschrauber gebraucht, startet ein Hubschrauber – über die Kosten kann man nachher streiten.

Flieger, grüß mir die Sonne: Das Konzept mit dem Hubschrauber ist mir auch nicht ganz klar. Da ist also an dieser Rettungszentrale ein Hubschrauber stationiert. Mit einem Piloten. Punkt. Der rückt ab und zu mal aus und wird auch für Rettungstransporte benutzt. Aber mit welcher Besatzung? Der vor Ort? Heißt das, die lassen ihr Auto stehen und fliegen mal schnell wohin? Bin ich der einzige, dem das in irgendeiner Art und Weise merkwürdig vorkommt.

  • Einsatz-Kokolores

Blaulicht an, Hirn aus: Ja, es gibt Leute bei den Hilfsorganisationen, die eine riskante Fahrweise haben. Aber so, wie das in der Serie gezeigt wird, ist das trotzdem arg überzogen.

Ich drück‘ dich: Der Hubschrauber drückt mit seinen Kufen den Transporter zur Seite, so dass das darunter eingeklemmte Transportbehältnis mit dem Spenderorgan herausgeholt werden kann („Medicopter 117“ lässt grüßen). Das ist natürlich hanebüchen und viel zu gefährlich. Außerdem hätte die Feuerwehr geeignete Mittel, so ein Auto sicher anzuheben.

Sonntags-Rede: Schließlich steht die Besatzung des Rettungswagens vor demselben und unterhält sich. Drin im Fahrzeug liegt der Patient. Wer kümmert sich um ihn?

Finaler Rettungs-Schluss: Schließlich kam die Stelle, die mich endgültig davon überzeugte, dass ich mit den Kritiken an dieser Serie nicht mehr weitermachen sollte, da ich sonst Gefahr laufe, dass mein Gehirn implodiert. Nachdem der Pilot wieder zurück ist auf der Station wird er von einer anderen Paramedic angesprochen, weil er so müde aussieht. Um ihn aufzumuntern, sagt sie folgenden Satz:

„Was Du heute geleistet hast, das hätte nicht jeder von uns geschafft!“

Was ist das für ein Binsenwahrheits-Müll? Natürlich hätte das nicht jeder von den anderen geschafft. Ich wage sogar zu behaupten, dass keiner von den anderen das geschafft hätte, weil er eben Pilot ist und als einziger einen Hubschrauber fliegen kann! Und damit kommen wir zum Ende meiner persönlichen Reihe über diese Serie und der angekündigten Einschätzung.

Ist doch einfach nur noch so ’ne Serie – ist das wirklich so schlimm?

Die Zuschauer der Science-Fiction-Serie „Babylon 5“ waren sich bewusst, dass das, was sie sehen, nicht real ist. Die Menschen haben keine Raumstation diesen Ausmaßes im All und auch keinen Kontakt zu den außerirdischen Spezies, die dort mitspielten.

Bei Serien, die irgendwie auf „real“ machen, wie eben auch Seifenopern, ist das was anderes. Es gibt genügend (und meiner Ansicht nach zu viele) Leute, die glauben Beziehungen funktionieren genau so, wie sie den Seifenopern eben nicht funktionieren. Und Serien, die wie „112…“ den Realismus fast zur Gänze vermissen lassen, verbreiten leider über das Genre, in dem sie spielen, ein gefährliches Halbwissen. Es ist zwar positiv, dass mit dem Titel die neue alte Notrufnummer 112 publik gemacht wird, der Rest jedoch wirft den Rettern in manchen Situationen mehr Steine in den Weg, als man denken mag. Beispiele gefällig? Ich habe genügend. Das Folgende habe ich entweder selbst erlebt oder aus erster Hand von Kollegen erzählt bekommen:

  • Wir (Besatzung eines Rettungswagens) wurden zu einem Notfall in eine Wohnung gerufen, ein Mann sei kollabiert. Beim Eintreffen stellen wir fest, dass der Mann, etwa 75 Jahre alt, einen Herzstillstand hat. Als mein Kollege ihm das Hemd aufreißt und mit einer Herz-Druck-Massage beginnt, fällt ihm die Ehefrau in die Arme mit den Worten: „Hören Sie auf! Sie bringen ihn ja um!“ Wertvolle Zeit geht verloren, während wir die Frau davon überzeugen müssen, dass eine „richtige“ Herz-Druck-Massage nichts mit dem Brustkraulen zu tun hat, das sie aus dem Fernsehen kennt.
  • Beim Brand eines Mehrfamilienshauses sind wir (Besatzung eines Rettungswagens) als erste vor Ort (in Ortschaften mit freiwilliger Feuerwehr kommt das vor, da wir schon am Standort sind und nur noch ausrücken müssen, während die Feuerwehrler erstmal zur Wache kommen müssen). Aus mehreren Fenster schlagen die Flammen. Personen sind keine mehr im Gebäude, aber in der Wohnung oberhalb des Brandes seien noch zwei Hunde. Eine Bewohnerin verlangt (!) von mir, ich solle in das Gebäude gehen und die Hunde rausholen. Als ich versuche, ihr zu erklären, dass das viel zu gefährlich ist, erwidert sie schnippisch: „Im Fernsehen tut Ihr immer so, als wärt Ihr die Helden. Aber wenn’s mal drauf ankommt, dann ist halt nichts.“
  • Bei einer geringfügig außer Kontrolle geratenen Feier von ungefähr acht Jugendlichen zwischen vierzehn und siebzehn erleidet ein Fünfzehnjähriger vermutlich aufgrund seines Alkoholkonsums einen cerebralen Krampfanfall (umgangssprachlich auch „epileptischer Anfall“ genannt). Nachdem der Rettungsdienst vor Ort ist, erklärt einer der Jugendlichen, nachdem sein Freund nicht mehr reagiert und nur noch gezuckt habe, habe er bei diesem eine Herz-Druck-Massage durchgeführt. Als der Notarzt nachfragt, erklärt er seine Methode: Wie im Fernsehen gesehen, habe er sich auf den Bauch des am Boden liegenden Bewusstlosen gesetzt und mit beiden Händen beide Seiten des Brustkorbs eingedrückt. Mal ganz davon abgesehen, dass die Reanimations-Methode falsch ist, ist eine Bewusstlosigkeit an sich kein Grund, jemanden wiederzubeleben. Der Fünfzehnjährige hat die „Behandlung“ zum Glück unbeschadet überstanden.
  • Bei einer Reanimation, bei der schnell feststand, dass dem Patient nicht mehr zu helfen war, wurde von Angehörigen nach Abbrechen der Maßnahmen gefragt, ob man denn nicht „mit dem Elektrodings“ (gemeint war der Defibrillator) noch was machen könnte. Den hätten wir ja gar nicht verwendet, und im Fernsehen hilft der immer.
  • Zuletzt: Bei mehreren Notfällen ist es mir und auch Kollegen schon passiert, dass wir Anweisungen von Schaulustigen bekommen haben, was zu tun sei, oder warum wir dies und jenes nicht tun würden. Bei einem speziellen Fall wurde ich gefragt, warum ich der Patientin nicht „was wegen dem Blutdruck spritze“ (die Patientin war eine Leichtverletzte eines Verkehrsunfall, aber wegen des Schrecks etwas blass). Als ich darauf entgegne, dass das nicht nötig sei und ich sowieso keine Medikamente spritzen dürfe, bekomme ich zu hören: „Ja, ja, wenn Ihr nur an Euren blöden Vorschriften kleben könnt. Und ob’s den Patienten gut geht, ist Euch egal.“ Dass das Nichtbefolgen der „blöden Vorschriften“ für mich im Zweifelsfall die Konsequenz haben könnte, entlassen zu werden und nicht mehr im Rettungsdienst arbeiten zu dürfen, ist offenbar egal.

Es gab einmal eine Untersuchung über Reanimationen im Fernsehen. Dabei kam man zu dem Ergebnis, dass Reanimationen im Fernsehen eine Erfolgsquote von etwa 95 % haben. Und der Zuschauer erwartet das gleiche in der Realität. Aber die Realität hält dem nicht stand. Das Fernsehen vermittelt den Eindruck, egal welcher Ausgangspunkt eine Reanimation hat, in den meisten Fällen geht es gut. Dass es rein aus dramaturgischen Gründen geschieht, wird übersehen. Man fällt auf die vorgegaukelte Realität herein. Und „112…“ bietet da leider nichts neues. Keine Innovation. Nur das, was man eh schon kennt, vorhersehbare Handlungsstränge, geschrieben von Ahnungslosen, produziert von Willenlosen, aber gesehen von den Massen. In meinem ersten Beitrag zu Serie schreibt ein Kommentator, er habe gelesen, dass 89 Folgen bereits produziert seien, er rechne aber damit, dass die Serie bald abgesetzt wird. Ich fürchte, dass das nicht der Fall sein wird. Zwar ist die Serie mit weniger als 13 Prozent Marktanteil gestartet, aber die Quoten haben sich im Verlauf der ersten Folgen auf 15,6 Prozent der Zielgruppe gesteigert. Und wenn das mit den 89 Folgen stimmt, dann ist für fast 18 Wochen Material vorhanden. 18 Wochen, in denen dem Publikum demonstriert wird, wie die Arbeit von Feuerwehr, Rettungsdienst und Polizei nicht läuft.

Ein Gegenpunkt: Die Realität

Aber ich höre schon die Stimmen: Die Realität ist doch so langweilig. In guten Geschichten muss ein Konflikt herrschen, damit sie interessant werden. Richtig – aber wer sagt denn, dass die Realität langweilig sein muss? Ich meine, das ist die Notfallrettung. Menschen in Extremsituationen. Die kann man auch interessant rüberbringen, ohne solche Münchhauseniaden zu produzieren. Stoff gibt es wahrlich genug:

  • Beziehungen zerbrechen häufig an den ungewöhnlichen Arbeitszeiten und dem teilweise bis auf 48 Wochenstunden erhöhten Pensum – bei gleichzeitiger minderer Bezahlung.
  • Ein anderer Grund für das Zerbrechen von Beziehungen ist, dass Menschen mit „normalen“ Berufen die Motivation für den Rettungsberuf oft nicht nachvollziehen können.
  • Für Konflikte sorgen posttraumatische Belastungsstörungen nach schwerwiegenden Einsätzen, oder einer Belastungsstörung, die sich über Jahre hinweg schleichend entwickelt.
  • Ein anderes Konfliktszenario: Derzeit wird darüber gestritten, wie die Ausbildung im Rettungsdienst in Zukunft aussehen soll. Als Idealvorbild steht dabei der Paramedic aus den USA, der erweiterte Befugnisse (zum Beispiel Medikamentengabe) hat. Dagegen laufen Ärzteverbände – teilweise sehr rüde – Sturm, die ihre Felle davonschwimmen sehen (oder denen ein Zacken aus der Krone bricht); auf der anderen Seite sind da die Kostenträger, die sich weigern, die Kosten für eine verbesserte Ausbildung, die dann nötig wird, zu zahlen. Mittendrin ist der Rettungsassistent, auf den die Situation zurückfällt, und zwar jedes Mal, wenn er zu einem Einsatz kommt, bei dem er denkt: Ich könnte, ich sollte – aber ich darf halt nicht.
  • Und wo wir gerade von „Kostenträgern“ sprechen: Mehrfach habe ich die Rolle von Frau Doktor Driesen kritisiert, die sich ständig mit Carstens streitet. Ja, da gibt es einen Konflikt zwischen den „Leuten vom Fach“ und den „Leuten aus der Bürokratie“, aber das läuft auf einem ganz anderen Level ab, und nicht mit diesem „Mein-Schäufelchen-Dein-Förmchen-und-Du-bist-selber-doof“-Geplänkel, das einem hier geboten wird.

Was die Einsätze betrifft, auch diese sind nicht langweilig. Jeder ist irgendwie anders, und genügend davon ließen sich zu einer spannenden Episode umschreiben. Dann kann man auch auf die überkonstruierten Mehrfachsituationen verzichten (Fahrstuhl bleibt stecken UND Person kollabiert UND Fahrstuhl droht abzustürzen oder Patient mit Rauchgasvergiftung UND Kellerbrand UND explodierende Gasleitung). Wer in richtigen Einsätzen unterwegs war, der weiß, dass es das nicht braucht. Jeder Einsatz hat seine Eigenheit und sein Spannungspotential. Es gibt genügend Geschichten, sie sind da. Offenbar will sie nur keiner erzählen. Man müsste sich eben mit den Profis zusammensetzen. Aber so eine Fernsehfolge ist halt sehr viel schneller produziert, wenn die Beteiligten keine Ahnung haben.

Damit komme ich zum Ende. Wie angekündigt werde ich „112…“ nicht weiter verfolgen. Dass ich es nach der ersten Folge getan habe, war für diesen Bericht. Den habe ich hiermit abgeliefert. Ich wende mich wieder anderen Dingen zu. Dingen, die etwas erfreulicher sind. Die Seite Quotenmeter.de schreibt in ihrer Kritik über die Serie als Zusammenfassung: „Für alle Soap-Fans zu empfehlen, alle anderen Zuschauer werden nach kurzer Zeit wieder die Flucht ergreifen. Denn am Ende bleibt doch nur eine harmlose neue Endlosserie aus dem Dunstschatten der Daily-Soaps.“ Das kann ich fast so unterschreiben. „Fast“ deswegen, weil das Prädikat „harmlos“ so nicht stehenbleiben kann. Serien dieser Art sind, wie ich oben dargelegt habe, nicht „harmlos“. Aber wer weiß – vielleicht sieht das mal jemand ein und macht sich an ein völlig neues Projekt. Das würde ich mir sogar antun. Bis dahin bleibt mir nur ein verzweifelter Ausruf als Zitat zum Schluss:

„Satras hat sie gewarnt, Satras hat sie alle gewarnt! Aber niemand hört auf Satras! Armer Satras!“
(Satras in der Serie „BABYLON 5“ von J. M. Straczynski)

UPDATE: Die neueste Entwicklung von „112…“ gibt es hier: „‚112…‘ zum Vierten: Sie rettet nun keiner„. Deswegen wurde die Kommentarspalte dieses Beitrags auch geschlossen, kommentieren in Zukunft bitte beim neuen Beitrag.

Tatü – Tata: „112…“ – wer rettet wen, und warum?

Es gab ja schon Serien im Fernsehen, die einen richtig positiven Effekt hatten. Ein Musterbeispiel, was das betrifft, ist die amerikanische Serie „Emergency!“, die bei uns in Deutschland unter dem Titel „Notruf Kalifornien“ lief. Im Pilotfilm der Serie wurde der Kampf um die Ausbildung des Rettungsdienstpersonals thematisiert, es wurde beispielhaft erklärt, wie es zum Beruf des „Paramedics“ kam, und in den weiteren Folgen wurden Feuerwehr und Rettungsdienst bei der Arbeit gezeigt. Die Serie hat in Amerika viel dazu beigetragen, dass die Bevölkerung über die Strukturen der Rettungsdienste und deren Arbeit aufgeklärt wurden. Alle Fälle, die in der Serie gezeigt wurden, hatten reale Vorbilder, sie waren dem Wachenbuch einer „richtigen“ Feuerwache entnommen und unter Beratung von Experten fürs Fernsehen realisiert worden. Es hatte dazu geführt, dass die amerikanische Bevölkerung wusste, wer denn kommt, wenn man den Notruf wählt. Als die Serie eine Auszeichnung erhielt, wurde ein Zuseher, der kurz darauf einen Herzinfarkt erlitt, mit den Worten zitiert: „Ich wusste, wenn ich die 911 [den amerikanischen Notruf] wähle, dann kommen die Paramedics und helfen mir.“

In Deutschland haben wir dafür kein so glückliches Händchen, wie es scheint. Und das ist teilweise verheerend, denn tatsächlich ziehen etliche Bevölkerungsteile ihr Weltbild aus fiktiven Serien. Nehmen wir zum Beispiel Für alle Fälle Stefanie, eine Krankenhausserie um eine Pflegerin, bei der mehrfach die Darstellerin ausgetauscht, die jeweilige Figur aber immer (des Serientitels wegen) „Stefanie“ hieß. Diese Krankenschwester arbeitet mal auf Station, mal im OP, mal auf Intensiv – und das meistens innerhalb einer Folge. Und es wurde gern das Klischee bedient, dass Krankenschwestern immer mit Ärzten anbandeln. In der Tat gehen Angehörige der Gruppe der medizinischen Berufe viel häufiger Beziehungen mit Angehörigen dieser Gruppe ein, als das bei anderen Berufssparten der Fall ist, aber das weniger romantische, als mehr pragmatische Ursachen: die verkorksten Arbeitszeiten werden von einem Partner, der im gleichen oder ähnlichen Beruf arbeitet eher toleriert, die besondere Situation des Berufs besser verstanden. Außerdem verbringt man viel Zeit am Arbeitsplatz, ist sogar Nachts dort – soziale Kontakt außerhalb des eigenen Berufsfelds sind da schwierig.

Zu neuen Höhen, zumindest was den Rettungsdienst betrifft, wollte sich Medicopter 117 aufschwingen, landete allerdings umso unterirdischer. Hauptsache, es kracht und zischt – mehr war da nicht drin. Absoluter Tiefpunkt aus meiner Sicht war die Episode „Nasses Grab“, die in weiten Teilen aus James Camerons Kinospektakel „The Abyss“ abgeschrieben worden war – und zwar schlecht!

Nun schwingt man sich erneut auf, eine Rettungsserie zu starten: 112 – Sie retten Dein Leben (Eintrag beim Fernsehlexikon hier). Neu an dem Konzept: Sie läuft täglich Montags bis Freitags und dauert nur 25 Minuten pro Episode. Ich möchte hier einen kritischen Blick auf diese Serie werfen, aus der Sichtweise eines Menschen, der sich in dem Metier auskennt. Der Vollständigkeit halber – bevor Fragen aufkommen – möchte ich hinzufügen, dass ich seit 17 Jahren im Rettungsdienst arbeite, davon 12 Jahre als Rettungsassistent. Zunächst sehen wir uns mal an, woran es „medizinischen Serien“ in Deutschland bisher eigentlich meistens krankte:

  • Durcheinander von Bezeichnungen

Statt sich genau zu informieren, glauben manche Autoren scheinbar lieber an das, was sie zu wissen glauben. Da ist vom „Sanka“ die Rede, wenn ein Rettungswagen gemeint ist („Sanka“ ist eine Verballhornung einer Abkürzung für „Sanitätskraftfahrzeug“ und wird schon seit Jahren nicht mehr verwendet), von „Sanitätern“, „Notfallsanitätern“ oder gar „Rettungshelfer“, wenn eigentlich ein Rettungsassistent gemeint ist („Sanitäter“ ist keine geschützte Berufsbezeichnung in Deutschland, und „Rettungshelfer“ ist die unterste Ausbildungsstufe im Rettungsdienst)… und so weiter. Klar, dem Zuschauer fällt sowas nicht auf, er weiß es ja nicht besser. Aber etwas mehr Akuratesse täten den Drehbüchern gut.

  • Absolute Ahnungslosigkeit im medizinischen Bereich

Manche Autoren scheinen – wenn überhaupt – lediglich ein medizinisches Nachschlagewerk zur Verfügung zu haben, um ihre Skripte zu schreiben. Niemand scheint ihnen zu erklären, wie das wirklich läuft, dass Ärzte zum Beispiel aufgrund eines isolierten Symptoms niemals innerhalb von Sekunden eine Diagnose stellen, schon gar nicht, wenn es sich um eine schwere Erkrankung handelt. Ganz besonders beliebt ist auch der „erwachende Reanimationspatient“ – in der Realität ein absolutes Unding, da man darauf achtet, dass solche Patienten eben nicht aufwachen.

  • Absolute Ahnungslosigkeit, was Abläufe betrifft

Wie geht man an einen Notfall heran? Ganz egal – hauptsache, der Held sieht gut aus. Da ich selbst auch schreibe, ist mir natürlich klar, dass die Realität sich manchmal unter der Dramatik einer Geschichte wegducken muss – aber die Realität deswegen zum Kriechgang zu verdammen?

  • Klischees und Konter-Klischees

Die Klischees habe ich weiter oben schon mal angesprochen. Es gibt dann noch Autoren, die offenbar der Ansicht sind, dass es bereits kein Klischee mehr darstellt, wenn man einfach die Rollen tauscht, also statt der Krankenschwester, die sich einen Arzt angeln will, nun einen Pfleger nimmt, der hinter einer Ärztin her ist. Genauso häufig wird auch gerne eine Frau in eine Führungsrolle gesetzt, einfach weil das gerade modern ist – und man das der Figur leider zu deutlich anmerkt, wenn sie den unsichtbaren Schriftzug auf der Stirn trägt: „Eigentlich hätte ich ein Mann sein sollen…“

  • Medizin für Vollidioten

Vor allem in älteren Serien gab es die Unart, den Ärzten Texte zu schreiben, in denen sich diese gegenseitig ihre Diagnosen erklärt haben. Gerade so, als ob ein Arzt nicht wüsste, dass eine „Apendizitis“ umgangssprachlich „Blinddarmentzündung“ genannt wird. Das wäre an sich noch nichts schlimmes, bei den „CSI“-Serien wird es auch immer noch praktiziert, um den Zuschauer nicht im Unwissen zu lassen. Aber bei manchen dieser Texte war es wirklich schlimm und teilweise überflüssig.

Kommen wir also nun zu „112 – Sie retten Dein Leben“. Eine sehr schöne Einschätzung der Serie gibt Michael Reufsteck im „Fernsehlexikon“ unter dem Titel „08/15 – Sie retten deinen Sendeplatz auch nicht„. Ich möchte mich der medizinischen und der handlungstechnischen Ebene zuwenden und heute die erste Folge unter die Lupe nehmen, die gestern lief. Danach soll es noch weitergehen, da jede Episode aber nur 25 Minuten lang ist, werde ich vielleicht wochenweise darüber schreiben. Ich weiß aber nicht, wie lange ich das durchhalte, vielleicht tut mein Gehirn bald so weh, dass ich es aufgebe.

Die einzelnen Folgen tragen offensichtlich keine Titel (ich habe zumindest keinen solchen entdeckt), deswegen gibt es als Angabe nur eine Nummer und den Tag der Ausstrahlung.

112 – Sie retten Dein Leben / Folge 1, 25. August 2008

  • Plotlöcher

Konzept: Ist es nicht eigentlich die Aufgabe der ersten Episode, den Zuschauer so weit in das Geschehen einzuführen, dass er versteht, worum es geht? Offenbar soll das besondere dieser Serie sein, dass Feuerwehr, Rettungsdienst und Polizei unter einem Dach organisiert sind und zusammenarbeiten. Das habe ich aber aus dieser ersten Episode nicht erfahren, lediglich aus der Pressemitteilung dazu. Überhaupt wurden von den Figuren nur ein paar vorgestellt, was an der beschränkten Zeit lag. Vielleicht hätte man doch eine Doppelfolge als Pilotfilm machen sollen? Insofern kann man über das Team noch nicht so viel sagen, außer, dass der Sohn vom Polizeichef von allen anderen aufgezogen wird, weil er „der Kleine“ ist.

Blinde Disponentin: Da bleibt abzuwarten, ob man in der Serie noch erfährt, wie das mit ihrer Erblindung war. Wenn Sie von Geburt an blind war, ist ihre Rolle völlig unrealistisch, denn um als Disponent bei Feuerwehr und Rettungsdienst zu arbeiten, muss man zuvor Berufserfahrung im Einsatz gesammelt haben. Und blinde Mitarbeiter gibt es im Fahrdienst des Rettungsdienstes nicht, weil es einfach nicht geht.

  • Notfall-Kokolores

Einsatztaktik: Ein (vermutlicher) Verkehrsunfall wird gemeldet. Die Disponentin entsendet laut ihrer Durchsage einen Rettungswagen (RTW), einen Einsatzleitwagen (ELW) und ein weiteres Fahrzeug, dessen Bezeichnung nicht zu verstehen ist, weil in dem Moment die dramatische Musik immer lauter wird. Wohlwollend kann man ihr zugute halten, dass die unverständliche Bezeichnung kein Fahrzeug, sondern einen ganzen Zug meint, denn es rücken wesentlich mehr Fahrzeuge aus: zwei Polizeifahrzeuge, ein Rettungswagen, ein Notarzteinsatzfahrzeug (NEF), ein Einsaltzleitwagen, ein Vorausrüstwagen (VRW), eine Drehleiter mit Korb (DLK) und ein Fahrzeug mit einer Hebebühne.

Hubschrauber: Der Hubschrauber wird nachalarmiert, allerdings ist mir nicht ganz klar geworden, wie dieser besetzt ist. In der Szene macht es den Eindruck, als wäre er nur mit Pilot besetzt zum Notfallort geflogen – und das wäre Blödsinn.

Eigenschutz: Es ist nicht actiontauglich, ich weiß, aber es gibt bei der Notfallrettung eine in Stein gemeißelte Regel – „Eigenschutz geht vor!“ Natürlich hätte der Wagen jederzeit abstürzen können, aber trotzdem hätte er zuerst abgesichert werden müssen. Das Manöver, die Notärztin von der Hebebühne aus über den Abhang in das lediglich mit einem einzelnen Stahlseil gesicherte Auto abzuseilen, ist hochgefährlich – und wenn dabei etwas passiert, ist der Einsatzleiter dran. Der kann seinen Hut nehmen. Keiner – außer vielleicht ein paar unter Adrenalin stehenden übereifrigen – riskiert seine Gesundheit oder sein Leben in einem solchen Einsatz leichtfertig. Aber das Thema „Eigenschutz“ war schon bei dem geistigen Tiefflieger „Medicopter 117“ immer so eine Sache gewesen.

Notfallmedizinisches: Anweisung der Ärztin: „Mach den Koffer auf!“ Der „Koffer“ ist eine Notfalltasche. Als die Ärztin kurz darauf der Patientin in die Augen leuchten will, um die Pupillenfunktion zu kontrollieren, sieht man deutlich, dass sie daneben leuchtet. Dann wird es „Wischi-Waschi“, die Ärztin will ein „stabilisierendes Mittel“ geben, damit die Patientin die Rettung übersteht. Ein „stabilisierendes Mittel“ in diesem Sinne gibt es nicht. Nachdem die Rettung geglückt ist, wird von einem „Tropf“ geredet, diese Bezeichnung verwendet man im medizinischen Personal eigentlich nicht mehr, es heißt einfach „Infusion“. Und als die Patientin beim Hubschrauber auf der Trage liegt, ist der Stifneck, die stabilisierende Halskrause, verrutscht – so sehr, dass diese den Kopf wenden kann, was der Stifneck eigentlich verhindern soll.

Kapazitätsprobleme: Als der Sohn der Patientin gefunden ist, will dieser natürlich mit seiner Mutter im Hubschrauber mitfliegen und fragt den Polizisten, der ihn gefunden hat, ob er auch mitkommt, was dieser bejaht. Moment mal? Also, Patientin, Notarzt, Flug-Rettungsassistent, Pilot, das Kind – und der Polizist? Ist das ein Großraumhubschrauber?

Also, dieser erste Eindruck ist kein guter und etliche meiner Befürchtungen haben sich bestätigt. Ich lasse mich gern eines besseren belehren, deswegen werde ich mir noch die weiteren Folgen ansehen – wie lange ich es aushalte, bleibt abzuwarten. Bislang scheint es sich dabei nur um eine weitere tägliche Serie zu handeln, bei der „Realismus“ mit „ä“ geschrieben wird. Oder um es etwas blumiger zu sagen:

Wenn „Emergency!“ der edle Champagner unter den Rettungs-Serien ist, dann ist „112 – Sie retten Dein Leben“ ein Glas Ahoj-Brause, bei dem man allerdings sowohl das Wasser als auch die Brause vergessen hat und das Glas zudem schmutzig ist.

UPDATE: Ein genauerer Blick auf weitere Folgen dieser Serie hier: „‚112 – Sie retten dein Leben‘ – Eine genauere Kritik„.

UPDATE 2: Die neueste Entwicklung, was „112..“ betrifft, gibt es hier: „‚112…‘ zum Vierten: Sie rettet nun keiner„. Deswegen sind die Kommentare unten in diesem Beitrag geschlossen.

STAR WARS – Episode 3: Die Rache der Sith [Rezension]

Drei Jahre dauern die Klon-Kriege bereits an, als die Separatistenbewegung ein riskantes Manöver unternimmt: Sie ziehen ihre Kräfte über Coruscant zusammen und überfallen die Hauptstadt der Republik. Im Zuge dieses Handstreichs gelingt es ihnen, den Obersten Kanzler Palpatine gefangen zu nehmen. Anakin Skywalker und Obi-Wan Kenobi werden zurückbeordert. Sie befreien den Kanzler und Anakin tötet Count Dooku. Leider entkommt der General der Separatistenarmee, ein Wesen, halb Droide, halb Mensch: Grievous.
Während die Jedi Obi-Wan allein losschicken, um nach diesem zu suchen, muss Anakin mit einer Reihe verwirrender Eindrücke fertigwerden: Padmé ist schwanger, er bekommt neue Alpträume, dass sie bei der Geburt des Kindes stirbt, auf Betreiben von Palpatine wird ihm ein Sitz im Rat der Jedi gewährt, allerdings ohne dass er zum Meister befördert wird. Die Jedi ahnen nicht, dass der letzte Schritt der Sith, die Falle für die Jedi zuschnappen zu lassen, kurz bevorsteht…

  • Rezension

Teil 3 markiert die größte Not, in die die Galaxis im Verlauf der Saga stürzen wird. Nun endlich kommen all‘ die kleinen Spiele ans Licht, nur dummerweise haben sich die Jedi so sehr gefangen nehmen lassen, dass sie sich nicht mehr befreien können. Ihr Untergang steht bevor. Und auch diesmal, bevor ich weitermache, die Warnung: Dies ist keine gewöhnliche Rezension, um die Motive der Episode zu ergründen, komme ich nicht umhin, Plotverläufe und zukünftige Entwicklungen – und damit verbundene eventuelle Überraschungen – offen zu legen. Lesen Sie bitte nur dann weiter, wenn Ihnen damit nicht zu viel verraten wird.

„Die Rache der Sith“ beginnt handlungstechnisch, bildlich und musikalisch mit einem Paukenschlag. Nachdem das Vorwort vorbei ist, tauchen wir mitten ein in die Schlacht von Coruscant. Lucas‘ Erzählart, eine Geschichte nicht am Anfang, sondern sozusagen „in medias res“ zu beginnen, wird damit auf die Spitze getrieben. Anakin Skywalker und Obi-Wan Kenobi sind mit ihren Jägern mitten in der Schlacht und suchen das Schiff von General Grievous, um den entführten Kanzler Palpatine zu befreien. Dieser ist, wie Obi-Wan später erwähnt, mit seinen 13 Jahren Amtszeit weit über die übliche Zeit eines Regierungschefs der Republik hinaus. Nur durch Sonderverordnungen und -vollmachten ist ihm das gelungen, ein Treiben, das die Jedi mit zunehmenden Argwohn betrachten. Was dahinter steckt, nämlich dass Palpatine und der Sith-Lord Darth Sidious ein und dieselbe Person sind, erkennen sie nicht. Sie halten es lediglich für Manöver eines machtbesessenen Politikers, der seinen Stuhl nicht räumen will.

Nachdem Obi-Wan und Anakin in Grievous‘ Schiff eingedrungen sind, finden sie den Kanzler – und treffen auf Count Dooku. Es kommt zum erneuten Duell zwischen den dreien. Dooku gelingt es, Obi-Wan außer Gefecht zu setzen, doch Anakins Kräfte sind in der Zwischenzeit gewachsen. Er überwindet den Sith-Lord und schlägt ihm die Hände ab. In dem Moment befiehlt Palpatine, Anakin sollte ihn töten. Schließlich sei er ein Sith und zu gefährlich, um am Leben zu bleiben. Anakin kämpft mit sich selbst, weil dieser Mord gegen den Kodex der Jedi verstößt, doch dann tut er es. Die Flucht gelingt allerdings nicht, und die Jedi werden mit dem neuen General der Separatisten konfrontiert: Grievous, einem ehemaligen Lebewesen, der jetzt zum größten Teil ein Droide ist. In der folgenden Auseinandersetzung gelingt ihm die Flucht, wobei er sein eigenes Flaggschiff dem Untergang geweiht zurücklässt. Anakin gelingt es jedoch, dieses mit einer Bruchlandung zu Boden zu bringen.

Auf Coruscant trifft Anakin auf Padmé, die ihm eröffnet, von ihm schwanger zu sein. Ihre heimliche Beziehung hat sich damit noch verkompliziert, doch Anakin freut sich, was sich kurz darauf ändert: Wie Jahre zuvor bei seiner Mutter bekommt er nun Visionen von Padmé, die stirbt – bei der Geburt des Kindes. Doch er ist wild entschlossen, sie zu retten.

Palpatine will Anakin wegen seiner besonderen Verdienste zu „Augen und Ohren der Republik“ im Jedi-Rat machen. Er geht dabei sehr subtil vor. Einerseits versucht er, Anakins Gewissenskonflikt um den Mord an Count Dooku zu zerstreuen, andererseits sät er Zweifel gegenüber den Jedi. Anakin weiß, dass er gegen den Kodex der Jedi verstoßen hat, doch Palpatine bezeichnet es als eine „natürliche Reaktion“, er habe sich nur dafür rächen wollen, dass ihm Dooku den Arm abgeschlagen hat. Wieder sieht man Palpatines / Sidious‘ Talent, Leute zu seinen Gunsten in die Irre zu führen: Er redet Anakin ein, dass es sein Wunsch gewesen sei, Dooku zu töten, obwohl er es erst getan hat, nachdem der Kanzler ihn dazu angestachelt hatte. Diese seine eigene Rolle bei der Sache lässt er allerdings unter den Tisch fallen. Zweifel gegenüber den Jedi sät Palpatine, indem er diese verdächtigt, einen Staatsputsch zu planen und behauptet, er halte lediglich Anakin für vertrauenswürdig genug, deswegen solle er den Sitz im Rat erhalten und ihn warnen, falls die Jedi etwas gegen die Republik planen.

Natürlich weiß Palapatine, dass die Jedi von seinem Vorstoss nicht sehr erfreut sind, aber das ist sogar eingeplant. Denn so fügen sich die Jedi seinem Wunsch, aber sie verweigern Anakin die Ernennung zum Meister. Als kurz darauf zur Sprache kommt, dass Obi-Wan nach General Grievous suchen soll, verwehren sie ihm diesen Auftrag. Anakin ist wütend und enttäuscht, obwohl Obi-Wan ihn zu beruhigen versucht. Er sei das jüngste Mitglied im Rat der Jedi, darauf solle er stolz sein.

Weiter verunsichert wird Anakin durch ein Gespräch mit Meister Yoda. Er führt dies wegen seiner Visionen um den Tod von Padmé. Doch anstatt ihm erwartungsgemäß einen Rat zu geben, was er tun kann, um diese Ereignisse zu verhindern, sagt ihm Yoda, dass man um die, die in die Macht eingehen, nicht trauern soll. Das widerspricht Anakins Gefühl, und in die Lücke springt mal wieder Palpatine, der von Darth Plagues dem Weisen erzählt. Er habe die Midichlorianer so manipulieren können, dass sie Leben erschufen, womit er das Sterben der Menschen verhindern konnte. Als Anakin nachfragt, ob man diese Fähigkeit lernen könnte, antwortet der Kanzler: „Jedenfalls nicht von einem Jedi.“

Die Jedi hingegen begehen einen weiteren Fehler, indem sie umgekehrt Anakin auf den Kanzler ansetzen. Sie misstrauen ihm, geben sie unumwunden zu, und wollen wissen, was passiert, wenn der Krieg wirklich beendet wird – ob Palpatine dann alle seine Sondervollmachten wie versprochen wieder zurückgebe. Doch damit „bestätigen“ sie das Misstrauen, das Palpatine schon zuvor ausgesprochen hat: die Jedi planen eine Verschwörung, die Republik zu übernehmen. Sie verstoßen damit auch gegen ihre eigenen Regeln, nicht in die Politik einzugreifen, genauso wie es die Sith geplant haben. Die Sith haben die Jedi dadurch, dass einer der ihren im höchsten politischen Amt sitzt, quasi dazu gezwungen, gegen den eigenen Kodex zu handeln. Dadurch wird es später einfacher, gegenüber dem Volk und den Senatoren zu behaupten, die Jedi hätten einen Aufstand geplant.

Obi-Wan reist unterdessen nach Utapau, wo er Grievous stellt und töten kann. Anakin wird auf Coruscant beauftragt, dem Kanzler die Botschaft zu übermitteln. An seiner Reaktion darauf wollen sie ablesen, was zu tun ist. Palpatine überrascht Anakin mit sehr viel Wissen um die dunkle Seite der Macht – und da erkennt er, dass er Darth Sidious vor sich hat. Er meldet seine Erkenntnis dem Jedi-Rat weiter. Wieder zeigt der Sith-Lord höchste Flexibilität in seinem Plan: Zuerst lässt er seinen Schüler Dooku töten, weil ihm klar war, dass Anakin sehr viel machtvoller sein wird, nun überlässt er Anakin scheinbar die Entscheidung, ob er zum Rat geht oder nicht. Ihm ist bewusst, dass Anakin zwischen zwei Welten schwankt und er pokert hoch. Anakin geht in der Tat zu Mace Windu und teilt ihm mit, was er herausgefunden hat. Mace geht mit einigen Jedi zum Kanzler, um ihn festzusetzen. Dieser lässt dabei alle Masken fallen und verteidigt sich mit einem Laserschwert, das er hervorragend zu führen versteht.

Anakins innerer Konflikt ist indessen auf dem Höhepunkt. Er quält sich mit seiner Entscheidung. Einerseits ist er ein Jedi – andererseits will er Padmé retten. Schließlich bricht auch er zum Büro des Kanzlers auf. Dort angekommen ist dieser von Mace Windu in die Enge getrieben worden. Seine Machtblitze werden vom Laserschwert des Jedi-Meisters zurückgeworfen und entstellen ihn. Windu will den Sith töten, da er zu gefährlich sei, um am Leben zu bleiben. Anakin will ihn lebendig, um wenigstens die Chance darauf zu haben, von seinem Wissen um Leben und Tod für Padmé zu profitieren. Er hält Windu auf, indem er ihm beide Hände abschlägt, worauf Sidious den Jedi-Meister aus dem Fenster seines Büros in die Straßenschluchten von Coruscant schleudert.

An diesem Punkt hat sich alles so weit kummuliert, dass Anakin bereit ist, sich für die dunkle Seite zu entscheiden. Sidious benutzt auch immer noch Tricks, indem er beispielsweise behauptet, wenn Anakin die Separatisten vernichtet (die der Sith ja selbst angestachelt hat), herrsche endlich Frieden in der Galaxis. Die Jedi erklärt er zu Feinden der Republik und schickt Anakin mit einigen Klon-Batallionen in den Jedi-Tempel. Gleichzeitig lässt er an alle in der Galaxis verteilten Truppen die „Order 66“ ausgeben. Dieser geheime Befehl war den Klon-Truppen während ihrer Herstellung auf Kamino einprogrammiert worden. Sie wenden sich damit gegen die sie befehlenden Jedi und töten sie. Nur Yoda, der einen Feldzug auf Kashyyk geleitet hat, entkommt mit Hilfe der dort lebenden Wookiees, sowie Obi-Wan, der bei einem Schuss aus dem Hinterhalt knapp verfehlt und für tot gehalten wird.

Zurück auf Coruscant müssen die beiden von Anakins Taten erfahren, der im Jedi-Tempel selbst die Jünglinge nicht verschonte. Yoda bestimmt, dass es Obi-Wans Aufgabe sei, seinen ehemaligen Schüler aufzuhalten, während er selbst Sidious konfrontieren werde. Selbiger ist gerade dabei, eine Rede vor dem Senat zu halten. Er bezichtigt die Jedi der Kollaboration und des Verrats der Republik und verkündet gleichzeitig die Umformung dieser in das erste „Galaktische Imperium“, dessen Imperator er sein wird. Die Senatoren spenden Beifall, was Padmé zu der entsetzten Feststellung treibt: „So geht die Demokratie unter. Mit tosendem Applaus!“

Die Beispielse ähnlicher Situationen in der Geschichte der Menschheit sind vielfältig, wenngleich es natürlich kein direktes Vorbild gibt. Die wenigsten Anführer, die sich schließlich zu Tyrannen entwickelten, hatten ihre Machtübernahme so minutiös geplant. Meistens war es der Fall, dass sie am Anfang noch tatsächlich aus höheren Motiven handelten, dann aber von der erlangten Macht so berauscht waren, dass sie sie nicht mehr abgeben wollten. „Cäsaren-Wahn“ nennt man so was auch, und das gibt es im großen wie im kleinen. Prominentestes Beispiel für eine solche Machtübernahme, die tatsächlich auch von vorneherein einem Plan folgte, ist sicherlich Adolf Hitler, dessen Partei das deutsche Parlament zunächst mit Verfahrensfragen blockierte und dann Schritt für Schritt die Macht an sich riss, bis das „Dritte Reich“ ausgerufen wurde. Wieder griff hier – wie auch bei Palpatine – das Argument, dass Demokratie viel zu kompliziert sei, weil es so viele Leute mit so vielen Meinungen gäbe, und dass es sehr viel einfacher wäre, wenn ein starker Mann alle Staatsgeschäfte regelt, ohne dass ihm jemand reinredet.

Nachdem er sich zum Imperator erklärt hat, wird Palpatine von Yoda konfrontiert. Das Duell geht unentschieden aus, auch wenn die beiden dabei den halben Senat zerlegen. Yoda kann Palpatine nicht besiegen und flieht mit Hilfe von Senator Bail Organa von Alderaan.

Obi-Wan spricht mit Padmé und erzählt ihr von Anakins Taten. Besorgt folgt diese Anakin zum Planeten Mustafar, wo dieser die Anführer der Separatisten ermordet hat. Obi-Wan fliegt als blinder Passagier in ihrem Schiff mit. Als Anakin ihn sieht, verdächtigt er Padmé, sich auch gegen ihn gewandt zu haben. Er würgt sie, als er sie loslässt, bleibt sie bewusstlos liegen. Es kommt zunächst zu einem verbalen Schlagabtausch zwischen ihm und Obi-Wan, der beide Seiten nochmal aufzeigt. Obi-Wan wirft Anakin vor, er habe sich manipulieren lassen, worauf Anakin die Jedi der Lüge bezichtigt. Wütend bezeichnet er Padmé quasi als sein Eigentum („Ihr habt sie gegen micht aufgehetzt!“ – „Ihr werdet sie mir nicht wegnehmen!“), Obi-Wans Einwand, dass sein Verhalten das bereits getan hätte, wischt er beiseite („Erteilt mir keine Lektion!“). Er brüstet sich damit, Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit für „sein“ neues Imperium gebracht zu haben. Obi-Wan erwidert, seine Loyalität läge bei der Republik und der Demokratie. Zum zweiten Mal geht Anakin auf sein Argument nicht ein: „Wenn Ihr nicht auf meiner Seite steht, dann seid Ihr mein Feind!“ Damit macht er klar, dass das Duell nicht mit Argumenten auszutragen sei. Wenn Obi-Wan nicht seine Ansicht teilt, ist er sein Feind. Basta! Damit beginnt das berühmte Duell zwischen Obi-Wan Kenobi und Anakin Skywalker, einer der Dreh- und Angelpunkte der STAR-WARS-Saga.

Bei dem Duell stolpert Anakin über seine Selbstüberschätzung. Obi-Wan ist ihm tatsächlich überlegen, dennoch bringt er es nicht über sich, ihn zu töten, als er ihn schwer verletzt hat. Die Hitze eines Lavastroms setzt ihn schließlich in Brand. Obi-Wan hält ihn für so gut wie tot, nimm sein Laserschwert mit und verlässt den Ort mit der ebenfalls verletzten Padmé.

Nun kommt es zu einer sehr symbolischen Geburtsszene: Während Padmé ihre Kinder auf die Welt bringt (es sind Zwillinge, wie sich überraschend herausstellt) und ihnen den Namen Luke und Leia gibt, wird Anakin in einem Behandlungsraum von Medo-Droiden versorgt. Seine abgetrennten Gliedmaßen werden durch mechanische Implantate ersetzt, seine Atmung durch ein Lebenserhaltungssystem unterstützt und sein verbranntes Gesicht hinter einer schwarzen Maske versteckt. Aus Anakin Skywalker ist endgültig Darth Vader geworden. Und wie er es vorausgesehen hat, stirbt Padmé kurz nach der Geburt an gebrochenem Herzen. Ihre Kinder aber leben, Leia wird von Senator Organa adoptiert und Luke zu Owen Larrs und Beru nach Tatooine gebracht. Obi-Wan wird in seiner Nähe bleiben und auf ihn achten. Yoda geht auf einen Sumpfplaneten namens Dagobah ins Exil. Und das neue „Galaktische Imperium“ beginnt mit dem Bau einer Superraumstation von der Größe eines kleinen Mondes.

Alles, was die Jedi versucht haben, hat sich in dieser Episode gegen sie gewendet. Selbst die Klone, die die Republik so bereitwillig eingesetzt hat, obwohl ihre Herkunft mehr als zweifelhaft war. Vielfach wurden die Fallstricke von ihren eigenen, starren Regeln gezogen, die sie dann gezwungen waren zu brechen. So gesehen hat sich die Prophezeiung des Auserwählten schon zur Hälfte erfüllt, wenn auch auf eine sehr grausame Weise. Wenn in den nächsten drei Episoden die Sith zu Fall kommen, wird es danach die Aufgabe der Erben der Jedi sein, einen neuen Orden aufzubauen, der keine so strikte Einteilung nach heller und dunkler Seite vornimmt. Denn jeder Mensch hat beides in sich, Licht und Schatten. Eine Seite davon abzulehnen bedeutet, sich selbst abzulehnen. Man muss lernen, damit umzugehen. Und außerdem ist es nicht so, dass man einmal eine Entscheidung für eine Seite trifft, die dann das ganze Leben beeinflusst. Die Entscheidung muss man ständig treffen. Man ist nicht gefeit vor der einen oder der anderen Seite. Das leugnen wir im wahren Leben gern, genauso wie es die Jedi geleugnet haben. Selbst Obi-Wan gab zu, Gefühle entwickelt zu haben, brüderliche Gefühle für Anakin Skywalker. Seine Enttäuschung, ja seine Wut darüber, dass Anakin sich der dunklen Seite angeschlossen hat, ist ihm deutlich anzumerken. Und die Gefühle sind es auch, die ihn daran hindern, selbst Hand an den schwer verletzten Schüler zu legen. So überlebt Darth Vader, damit er letztlich den Imperator zu Fall bringen kann. Erst dann ist der Ausgleich erreicht – und man kann nochmal neu anfangen.

Die Episoden 1 bis 3 sind von manchen Fans sehr hart kritisiert und abgelehnt worden. Ich persönlich denke, dass das jeder mit sich selbst ausmachen sollte. Es ist die Wiedergabe vieler bekannter Motive aus der wirklichen Welt in einer Galaxis „weit, weit von hier entfernt“. Insofern sind die Episoden 1 bis 3 sogar vielschichtiger als 4 bis 6. In 4 bis 6 waren die Fronten nämlich sehr deutlich und klar gezeichnet, die Geschichte eingeteilt in „gut“ und „böse“. In 1 bis 3 kann man sich nie zu sicher sein. Wie ich zu Beginn dieser Rezensionsreihe schon erwähnte, hängt das vermutlich mit George Lucas‘ persönlicher Entwicklung zusammen. Die Episoden 1 bis 3 sind im letzten Schliff nochmal geprägt worden von unserer Gegenwart.

Man muss sie nicht mögen, Kritikpunkte gibt es sicher viele. Aber das ist weder ein Grund noch eine Rechtfertigung für die teilweise groben Beleidigungen, die hier die Runde machen. Das erinnert ja fast an die schlimmsten Zeiten des Konflikts „Star-Wars-Fans gegen Star-Trek-Fans“.

Mit dieser Geschichte war die erste Trilogie abgeschlossen. Ungefähr 20 Jahre sollte die Galaxis unter der Herrschaft des Imperiums leiden, bevor die Handlung von Episode 4 einsetzt und deren Untertitel zufolge „Neue Hoffnung“ bringt. Mehr Ereignisse von diesem Zeitraum soll uns eine Serie nahebringen, die demnächst produziert werden soll. Da darf man gespannt sein.

Die Saga ist noch lange nicht beendet…

Tim und Struppi – Die Reihe (Einblicke / Ausblicke)

In den letzten drei Wochen sind wir alle Abenteuer von Tim, dem „pfiffigen Reporter“, und seinen Weggefährten durchgegangen. Den letzten Wunsch respektierend wurde die Reihe nach Hergés Tod im Jahr 1983 nicht fortgesetzt und auch das unvollendete Werk „Tim und die Alpha-Kunst“ nicht vervollständigt. Das wöchentliche Magazin „Tintin“ wurde bald eingestellt. Der Popularität der Comicfigur ist jedoch ungebrochen, sie ist ein Stück belgisches Kulturgut geworden. Bestes Beispiel ist das Jubiläum, das im Jahr 2004 gefeiert wurde: 75 Jahre Tim. Eine große Zeitung verzichtete an diesem Tag auf sämtliche Fotos, ausnahmslos alle Artikel waren mit Szenen aus den Tim-und-Struppi-Alben bebildert. In dem Fall dürfen sich die Fans schon auf 2009 freuen, wenn es das 80jährige Jubiläum zu feiern gibt.

Hier nochmals alle Beiträge der Reihe über die Alben:
Tim im Lande der Sowjets
Tim im Kongo
Tim in Amerika
Die Zigarren des Pharaos
Der blaue Lotos
Der Arumbaya-Fetisch
Die schwarze Insel
König Ottokars Zepter
Die Krabbe mit den goldenen Scheren
Der geheimnisvolle Stern
Das Geheimnis der „Einhorn“
Der Schatz Rackhams des Roten
Die sieben Kristallkugeln
Der Sonnentempel
Im Reiche des schwarzen Goldes
Reiseziel Mond
Schritte auf dem Mond
Der Fall Bienlein
Kohle an Bord
Tim in Tibet
Die Juwelen der Sängerin
Flug 714 nach Sydney
Tim und die Picaros
Tim und der Haifischsee
Tim und die Alpha-Kunst

Zu Tim gibt es inzwischen auch einiges an Sekundärliteratur. Für all jene, die es bedauern, dass es keine neuen Abenteuer mehr geben wird, ist sicherlich der Comic „Die Abenteuer von Hergé“ ein kleiner Trost. Hier gerät der Zeichner selbst in den Mittelpunkt, es ist quasi eine Biographie in Comicform – was passt wohl besser zu einem Comiczeichner? Hier werden in Episoden Einblicke in Hergés Leben gewährt, wobei man ständig auf verschiedene Tim-Geschichten anspielt. Anlässlich Hergés 100. Geburtstag im Jahr 2007 kam eine neue, erweiterte Auflage heraus, die auf acht Seiten zwei neue Episoden enthält.

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Bereits ausführlich an dieser Stelle besprochen habe ich „Auf den Spuren von Tim und Struppi“ von Michael Farr. Der Autor stellt die Entstehung jedes einzelnen Albums dar, welche Dinge Hergé beeinflusst haben und was er alles verarbeitet hat. Der Fokus wird dabei bewusst auf Tim gehalten, andere Arbeiten Hergés (wie etwa „Stups und Steppke“) werden nur am Rand erwähnt.

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Auch im Internet gibt es einige Seiten, die sich mit den Abenteuern des ewig jungen Reporters befassen. Die „Comic Radio Show“ beispielsweise würdigt an dieser Stelle das 75jährige Jubiläum der Comic-Reihe, und an dieser Stelle den 100. Geburtstag Hergés. In beiden Artikeln finden sich übrigens Bilder, die nicht so weit verbreitet sind, so zum Beispiel ein Foto, das eine Szene aus dem Realfilm „Tim und das Geheimnis des goldenen Vlieses“ zeigt und das von der Optik her einen recht guten Eindruck macht. Und an dieser Stelle vermeldet die „Comic Radio Show“, man habe im Nachlass von Bob de Moor, Hergés Assistent, der 1993 verstorben ist, ein verschollenes Abenteuer mit dem Titel „Tim in Australien“ wiederentdeckt. Der Leser möge jedoch ganz oben in dem Artikel nachschauen, an welchem Tag dieser veröffentlicht wurde, um ihn zu verstehen.

Tim hat auch mich als junger Leser sehr beeindruckt, was man am Zustand mancher Hefte meiner Sammlung auch sieht. Ich wollte sogar selbst eine zeitlang Comiczeichner werden, doch leider fehlt mir da offenbar ein Stück Talent, die Szenen, die ich mir vorgestellt habe, auch so zu Papier zu bringen, dass man sie erkennt. Die Abenteuer des Reporters haben mir über manche Krankheit hinweg geholfen und über den Verlust meiner Milchzähne. Als ich erfuhr, dass es Kinofilme vom Tim gibt, wollte ich diese unbedingt sehen, hatte aber Pech: 1969 (zu „Der Sonnentempel“) war ich noch nicht geboren und 1973 (zu „Tim und der Haifischsee“) war ich zu jung. Und in den 1970er Jahren war das noch nicht so mit Video anschauen. „Der Sonnentempel“ wurde schließlich Ende der 1970er Jahre in der ARD als Zweiteiler ausgestrahlt, „Tim und der Haifischsee“ Anfang der 1980er Jahre (nicht als Zweiteiler).

Und damit sind wir schon bei der Zukunft Tims, denn die liegt offenbar im Kino. Genau rechtzeitig zum Jubiläum 2009 planen Steven Spielberg („E.T.“, „Indiana Jones“, „Schindlers Liste“) und Peter Jackson („Der Herr der Ringe“) einen computeranimierten Film, respektive, es wird sich um eine Trilogie handeln, basierend auf den Comicbüchern. Spielberg und Jackson waren sich einig, dass Tim das Potential für einen guten Film habe, man aber Hergé nicht gerecht werde, wenn man diesen mit echten Schauspielern produziere. Deswegen wird die Reihe als Computeranimation entstehen, die aber fotorealistisch aussehen soll. Die beiden haben sich da hohe Ziele gesteckt und wir dürfen gespannt sein, was das Resultat betrifft. Kurze Artikel über das Projekt erschienen im Gurdian und bei BBC News.

Die Zukunft des Reporters scheint also gesichert zu sein. Seit 2002 gibt es Deutschland übrigens auch „Tim – Das Magazin“, das vier Mal im Jahr erscheint. Die letzte Ausgabe trägt die Nummer 23 und erschien Winter 2007 / 2008, eine aktuellere scheint im Moment nicht zu geben, ist aber angekündigt. Die Fans dürfen also gespannt sein, wie die Reise des Reporters und seiner Gefährten weitergeht.

Zum Abschluss noch meine persönlichen Favoriten:

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16 Jahre alt – und 6,2 Promille

Na klasse… mir hat man auf der Rettungdienstschule beigebracht, dass Werte von über 3,0 Promille eigentlich tödlich seien. Lediglich Alkoholiker könnten höhere Werte aufweisen, weil diese durch ihren dauernden Konsum höhere Dosen gewohnt sind.

Doch in meinen Jahren als Rettungsassistent musste ich immer wieder erleben, wie sich diese Grenze nach oben verschob, Patienten mit 3,3 Promille, letztlich gar 3,6. Und wohlgemerkt, es handelte sich um Patienten, die ganz und gar nicht dem Klischee des Alkoholikers entsprachen. Im Gegenteil, sie waren relativ jung und wirkten nicht alkoholkrank.

Das Alter der Patienten sank generell, auch wenn die jüngeren in der Regel nicht solche Werte vorwiesen. Ich war entsetzt, als ich vor Jahren den ersten 15jährigen mit einer Alkoholvergiftung ins Krankenhaus bringen musste. Doch auch dieser „Rekord“ ist mittlerweile gebrochen, mein jüngster Patient mit dieser Diagnose war 12. Er wollte seine Freundin beeindrucken und versuchte, eine Flasche Tequila leer zu trinken. Man muss dem Himmel danken, dass er bereits nach etwas mehr als der Hälfte so betrunken war, dass er nicht weitertrinken konnte.

Nun vermelden der Südkurier und n-tv den Fall eines 16jährigen Jugendlichen aus dem Kreis Waldshut-Tiengen. Dieser war auf einer privaten Party, bei der es auch Hochprozentiges zu trinken gab. Als er so betrunken war, dass er bereits bewusstseinsgetrübt war, machten sich seine Kumpels einen Spaß daraus, ihm noch mehr Alkohol einzuflößen. Als er gar nicht mehr reagierte, rief man den Rettungsdienst. Der komatöse Jugendliche wurde ins Krankenhaus gebracht – und dort wurde ein Blutalkoholwert von 6,2 Promille festgestellt.  Zur Erinnerung: Im März 2007 starb ein 16jähriger aus Berlin an einer Alkoholvergiftung – und hatte „nur“ 4,8 Promille. Der Jugendliche aus Waldshut-Tiengen landete schließlich in der Uniklinik Freiburg, die er offenbar am 7. Mai wieder verlassen durfte.

Die Polizei ermittelt nun den genauen Hergang. Sollte es sich bewahrheiten, dass die Freunde des Jugendlichen diesem noch im bewusstseinseingetrübten Zustand weiterhin Alkohol eingeflößt haben, wird ein Verfahren wegen gefährlicher Körperverletzung eingeleitet.

Unabhängig von diesem Fall habe ich mir schon mehrfach die Frage gestellt, wieso Menschen – egal welchen Alters – sich so sehr betrinken, dass sie bewusstlos werden. Ist das ein besonderes Zeichen von Männlichkeit? Nicht wirklich, denn ich habe auch schon Frauen in dem Zustand ins Krankenhaus gebracht. Also ein Zeichen von „cool sein“? Von „stark sein“? „Dabei sein“? „Toll sein“? Wenn das der Fall sein sollte, dann sollen sich alle, die sich gerne mal am Wochenende (oder wahlweise auch unter der Woche) die Birne so zuknallen, dass sie nicht mehr aufwachen, folgendes merken:

Wenn Ihr so zugedröhnt seid, dass Ihr beim Rettungsdienst auf der Trage liegt, dann ist von „cool sein“ nicht mehr viel übrig. Dann seid Ihr nur noch ein Häufchen Elend, das im eigenen Erbrochenen und im eigenen Urin liegt. Ihr kriegt das in dem Moment vielleicht nicht mehr mit, aber dafür jeder andere. Und Ihr merkt die Folgen am nächsten Tag. Falls Ihr überhaupt wieder aufwacht. Denn an so einem Rausch kann man auch ganz einfach sterben. Sicher, wir vom Rettungsdienst tun unser Mögliches, dass das nicht passiert, aber wir können auch nicht Wunder wirken. Der Jugendliche aus Waldshut-Tiengen hat Glück gehabt. Er kann einen zweiten Geburtstag feiern (hoffentlich ohne Alkohol). Aber so viel Glück hat nun mal nicht jeder. Versucht, das mal im Hinterkopf zu halten. Ansonsten kann es sein, dass wir uns bald persönlich begegnen. Und glaubt mir, das wollt Ihr nicht, nicht unter diesen Umständen.

Ja ja, der Alkohol, ja ja, der Alkohol
Ist ein Dämon, der uns’re Sinne trübt.
Doch er ist sehr beliebt
Weil es nichts schön’res gibt
Als wenn man b’soffen wie ein Häusltschick* nicht weiß
Wo man ist und wie man heißt.

(aus EAV: „Ja Ja, der Alkohol“ von der CD „Im Himmel ist die Hölle los“)
* „b’soffen wiar a Häusltschik“ = österreichischer Begriff für „sternhagelvoll“. Ein „Häusltschick“ ist wörtlich ins Hochdeutsch übertragen ein „Zigarettenstummel in einer Toilette“. Unsere Nachbarn haben ein Talent dafür, Tatsachen gnadenlos deutlich darzustellen.

Sind kranke Arbeitslose seltsam?

Wie die „Bild“-Zeitung heute vermeldet, sind Arbeitslose häufiger krank als Arbeitnehmer (Online-Version des Artikels hier). Das wäre für sich noch nicht so erwähnenswert, vor allem in diesem Blog. Allerdings stellt der Autor des Artikels die Arbeitslosen durch die Einfügung von ein paar kleinen Worten in ein merkwürdiges Licht: „Seltsam, seltsam!“ stellt er der Überschrift „Arbeitslose häufiger krank als Arbeitnehmer“ voran. Im Text heißt es zur Begründung für die durchschnittlich 18,7 Krankheitstage im Jahr 2007 der Arbeitslosen: „Ein Grund laut Experten: die angeblich starke psychische Belastung wegen der Arbeitslosigkeit.“ (Hervorhebung von mir) Gleich hintendran heißt es noch, dass Arbeitslose sowieso mehr Zeit hätten, überhaupt zum Arzt zu gehen.

Hier soll also zwischen den Zeilen suggeriert werden, dass Arbeitslose keinen Grund hätten, krank zu werden. Am Allerwenigsten noch wegen „angeblicher“ psychischer Belastung. Derartiges kann eigentlich nur jemand schreiben, der entweder noch nie arbeitslos war oder in der Zeit der Arbeitslosigkeit finanziell anderweitig abgesichert war. Subtil eingesetzt auch der Zusatz, dass Arbeitslose sowieso mehr Zeit hätten, zum Arzt zu gehen. Sie haben ja sonst nichts zu tun.

Immerhin nicht dass erste Mal, dass man sich in dieser Zeitung auf Arbeitslose eingeschossen hat (Beispiel siehe hier). Nur diesmal ist es nicht ganz so plakativ. Mehr unterschwellig. Besser wird es deswegen nicht. Sollte jemand auch der Meinung sein, dass Arbeitslose zu viel Zeit hätten, um zum Arzt zu gehen und dass die psychische Belastung der Arbeitslosigkeit nur „angeblich“ vorhanden sei, dann möge jener doch mal selbst ausprobieren, wie es ist, arbeitslos zu sein und keine Perspektive zu haben, anstatt solche Pauschal-Verurteilungen abzugeben. Und seien sich auch noch so subtil.

Der Server unter www.google.de konnte nicht gefunden werden

Das ist doch mal eine Fehlermeldung: „Der Server unter www.google.de konnte nicht gefunden werden.“ Aufgefallen ist es mir eigentlich mehr oder minder zufällig, als ich feststellte, dass mein Googlemail-Konto nicht mehr erreichbar ist. Doch das war nur eine Sache. Der PageRank(TM), der bei mir im Browser ermittelt wird, fror ein. Statt Adsense-Anzeigen erschienen graue Balken oder Fehlermeldungen.

Tatsächlich war – oder ist? – Google nicht zu erreichen. Nicht das erste Mal, wie ich bei einem Blick (bei der Konkurrenz) feststellen musste. Mal trennte ein Bagger in der Schweiz ein Glasfaserkabel durch (so geschehen am 19. Februar 2008), mal war es ein unklarer technischer Defekt (wie am 21. November 2005). Sind wir gespannt, was es diesmal war.

So ein Ausfall führt einem mal wieder vor Augen, dass es nicht gut ist, zu viele Dinge auf einen Anbieter zu konzentrieren. Es mag vielleicht eine praktische Seite haben, aber wenn es dann zu so einem Ausfall kommt, ist eben alles weg. Da nützt nicht einmal der gestiegene PageRank(TM) etwas.

Richard Dawkins, Oolon Cluphid und der arme Babelfisch

Im Moment wird ja – mal wieder – über (im wahrsten Sinne des Wortes) Gott und die Welt gestritten, beziehungsweise, ob Ersterer existiert oder nicht. Aus der Diskussion hervorgetan hat sich Richard Dawkins mit seinem Buch „Der Gottes-Wahn“, der einen Ansatz besitzt, darzulegen, warum es sehr unwahrscheinlich sei, dass Gott existiere. Fragt man Dawkins, so beschreibt er, wie unwahrscheinlich es ist, dass sich das Leben auf dem Planeten Erde entwickelte und – trotz einiger globaler Katastrophen der Vergangenheit – nicht ausgelöscht wurde, wie unwahrscheinlich es ist, dass sich intelligentes Leben entwickelte und durchsetzte, wie unwahrscheinlich es ist, dass so ein komplexes System wie die Biosphäre unseres Planeten so gut funktioniert, und wie unwahrscheinlich es ist, dass wir Menschen dort ankamen, wo wir heute sind. Angesichts all‘ dieser Unwahrscheinlichkeiten stellt man sich gerade die Frage, ob Dawkins nicht doch darauf hinaus will, dass es irgendwie eine übergeordnete Macht geben muss, die das Leben gegen alle Unwägbarkeiten verteidigt und das System so raffiniert ausgetüftelt hat, dass es funktioniert, da macht der Religionskritiker in seiner Argumentation eine 180-Grad-Wende: Wenn es so unwahrscheinlich ist, argumentiert er, dass das Leben und das System auf der Erde sich so komplex entwickelt hat und doch alles irgendwie einander passt, müsste ein göttliches Wesen, das über allem steht, ja noch komplexer sein. Und das wäre nicht nur unwahrscheinlich, sondern extrem unwahrscheinlich.

Hm.

Also, ich muss bei dieser Argumentation immer wieder an folgenden Abschnitt aus einem empfehlenswerten Buch denken:

„Der Babelfisch ist klein, gelb und blutegelartig und wahrscheinlich das Eigentümlichste, was es im ganzen Universum gibt. (…) Der praktische Nutzeffekt der Sache ist, dass man mit einem Babelfisch im Ohr augenblicklich alles versteht, was einem in irgendeiner Sprache gesagt wird. (…)
Nun ist es aber verdammt unwahrscheinlich, dass sich etwas so wahnsinnig Nützliches rein zufällig entwickelt haben sollte, und so sind ein paar Denker zu dem Schluss gelangt, der Babelfisch sei ein letzter und entscheidender Beweis dafür, dass Gott nicht existiert.
Die Argumentation verläuft ungefähr so: „Ich weigere mich zu beweisen, dass ich existiere“, sagt Gott, „denn ein Beweis ist gegen den Glauben, und ohne Glauben bin ich nichts.“
„Aber“, sagt der Mensch, „der Babelfisch ist doch eine unbewusste Offenbarung, nicht wahr? Er hätte sich nicht zufällig entwickeln können. Er beweist, dass Du existierst, und deswegen existierst Du nicht. Quod erat demonstrandum.“
„Ach du lieber Gott“, sagt Gott, „daran habe ich gar nicht gedacht“, und löst sich prompt in ein Logikwölkchen auf.
„Na, das war ja einfach“, sagt der Mensch und beweist, weil’s gerade so schön war, dass schwarz gleich weiß ist und wird wenig später auf einem Zebrastreifen überfahren.
Die meisten Theologen behaupteten, dieser ganze Streit sei absoluter Humbug, aber das hinderte Oolon Coluphid nicht, ein kleines Vermögen damit zu verdienen, dass er ihn zum zentralen Thema seines neusten Bestsellers Na, lieber Gott, das war’s dann wohl machte.“

(aus Per Anhalter durch die Galaxis von Douglas Adams)

Einfache Lösungen für sehr komplizierte Probleme

„Es gibt keine einfachen Lösungen für sehr komplizierte Probleme. Man muss den Faden geduldig entwirren, damit er nicht reißt.“

Hartzlich willkommen im Jahr 2008 – und immer schön Kopf hoch! Eigentlich sollte es in diesem Beitrag relativ neutral um das Zitat gehen, das ich oben angestellt habe. Es kam dann aber anders. Was hat es damit auf sich? Nachdem das Jahr 2007 für mich persönlich und für das Phantastische Projekt nicht so gut gelaufen ist, hatte ich beschlossen, alle Arbeit ab November bis zum Jahresende erst einmal einzustellen. Das mag nun töricht klingen, aber ich wollte mit dem Jahreswechsel so eine Art neuen Startpunkt setzen (meine Gedanken dazu habe ich in dem Beitrag „Gedanken auf dem Friedhof – Anfang und Ende…“ zusammengefasst). Passend dazu kam das Motto, das ich schon früher im Jahr gefunden hatte, das war eben der Spruch über die einfachen Lösungen, den ich als Kalenderspruch für 2008 verwendete.

Und nun ist das Jahr 2008 gerade mal sieben Tage alt, und schon beginnt der Spruch sich auf das Grausamste zu bewahrheiten. Ich werde das in diesem Beitrag darlegen und am Ende sogar einen Lösungsvorschlag bringen, der so genial ist, dass ich dafür mit Preisen überhäuft werden sollte – aber dazu später, ganz am Ende.

Während ich noch Ideen für diesen Beitrag sammelte, brachte RTL am 2. Januar die erste Episode einer neuen so genannten „Doku-Soap“ mit dem Titel „Der Arbeitsbeschaffer“. Darin sollte die Arbeit eines Menschen gezeigt werden, der Leuten, die lange Zeit ohne feste Anstellung waren, eine ebensolche wieder beschafft. Gezeigt wurde allerdings ein lebendes Klischee, nicht in Form des „Arbeitsbeschaffers“, sondern mehr in Form der Familie, die er mit seinem Wirken beehrte. 2000 Euro hätte diese monatlich zur Verfügung – einfach so, ohne Arbeit. Dann wurde gezeigt, wie der Arbeitsbeschaffer ans Werk ging und mal kräftig aufräumte. Komischerweise übersah er es, dem arbeitssuchenden Familienvater eine kleine Lektion in Sachen „Vorstellungsgespräch“ zu geben, so dass dieser unpassend gekleidet dort aufkreuzte. Aber der Beschaffer legte sich ins Zeug, zuerst verschaffte er der Tochter eine Ausbildungsstelle am Wohnort, dann der Mutter eine Stelle bei einer Spielothek – und zuletzt dem Vater eine Stelle,… die nur 100 Kilometer Luftlinie vom Wohnort der Familie entfernt war. Und kein Problem, man könne ja umziehen, zahlt alles die Arbeitsagentur. Auf dem Widerspruch, dass es sich weder der Vater noch die Mutter von den Gehältern leisten könnten, jeden Tag über 200 Kilometer zu pendeln, wird nicht eingegangen. Stattdessen wird die Weigerung des Vaters, diese Arbeitsstelle anzutreten, dazu benutzt, um das Klischee vom arbeitsscheuen Arbeitslosen zu bedienen.

Es ist schlimm genug, wenn Menschen derart in der Öffentlichkeit vorgeführt werden. Doch ausgerechnet das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ verdingt sich in der Sache als Jubelperser für RTL: „‚Nu aber‘-Beratung im Plattenbau„, so der Titel einer Kritik zu der Sendung, respektive, es handelt sich um eine Lobpreisung der Sendung, die, so der Autor des Beitrags, endlich mal mit dem Tabu bricht, man dürfe über Arme nichts Schlechtes sagen. Wurde aber auch verdammt Zeit, ich wollte schon lange mal was Schlechtes über Arme sagen und durfte nie. – Geht’s noch? Der Beitrag lässt jede Distanz vermissen und nimmt alles, was dort auf dem Schirm zu sehen ist, für bare Münze. Dass das fürs Fernsehen aufbereitet sein könnte, darauf kommt der Autor nicht. Er schlägt in die gleiche Kerbe wie die Sendung selbst, die man sehr gut dazu gebrauchen kann, sich selbst zu erhöhen, indem man auf andere herabschaut. Sehr her, so bin ich ja nicht. Dazu kann man nur den Philosophen Thomas Hobbes zitieren, der schon früh erkannte: „Alle Herzensfreude und alle Heiterkeit beruhen darauf, dass man Menschen habe, im Vergleich zu denen man hoch von sich denken kann.“ Eine sehr schöne Betrachtung zu dem „Spiegel“-Artikel steht im BatzLog unter dem Titel „Hartz Hunter Reloaded„, denn hier schreibt jemand, der selbst einmal an der Erstellung ähnlicher Fernsehformate beteiligt war – und der kann so einiges über deren Wahrheitsgehalt wiedergeben.

Und schon sind wir mitten im Thema der „einfachen Lösungen“, denn wenn man die Diskussion verfolgt, die zu dem Artikel auf Spiegel Online läuft, bekommt man diese Reihenweise um die Ohren geschlagen: Jeder könne in Deutschland Arbeit kriegen, man müsse nur wollen. Soll man denen doch die „Stütze“ streichen, komplett. So einfach ist das. Ein Beitragsschreiber versteigt sich sogar, nach Irland zu verweisen, wo faktisch Vollbeschäftigung herrscht. Der Grund? In Irland bekommt niemand mehr als 750 Euro im Monat, wenn er arbeitslos ist. Das müsse man einfach nur in Deutschland einführen, dann gehe es auch bei uns wieder bergauf. Den Arbeitslosen geht es bei uns doch viel zu gut.

Es gibt wenige Dinge, die komplizierter sind als der Arbeitsmarkt. Ist es denn in Irland so einfach gewesen? Nein, natürlich nicht. In Irland spielten ganz andere Faktoren eine Rolle. Es wurden ausländische Unternehmen mit niedrigen Steuern angelockt, der EU-Binnenmarkt als Absatzchance genutzt, außerdem sieht die Demografie in Irland ganz anders aus, denn dort hatte bis Anfang der 1980er Jahre jede Irin im Schnitt 3 (!) Kinder. Damit konnten die Sozialsysteme viel besser finanziert werden. Der Rückgang der Geburten seither wird im Moment noch kompensiert und ist für den Arbeitsmarkt eher gut, zumindest im Moment. Gleichzeitig wurde ein Bündnis zwischen Gewerkschaften und Staat gebaut: der Staat senkte die Steuern, dafür verpflichteten sich die Gewerkschaften für Lohnzurückhaltung. Das Resultat: trotz nur moderater Steigerung der Löhne hatten die Arbeiter mehr in der Tasche (die durchschnittliche Steuerlast eines unverheirateten Arbeiters sank um etwa 20 Prozentpunkte). Und als der Aufschwung kam, stiegen die Nettolöhne innerhalb von 6 Jahren um 42 Prozent, obwohl der Tarifabschluss in der gleichen Zeit nur insgesamt 16 Prozent mehr hergab. [Wer sich genauer informieren will, hier gibt es einen interessanten Berich: „Irland – Das keltische Wirtschaftswunder„]

Diese Informationen hätte jeder finden können. Mal ganz davon abgesehen, dass man sich denken kann, dass eine so einfache Lösung wie „wir pressen Hartz IV auf maximal 750 Euro“ nicht der Komplexität des Arbeitsmarktes gerecht wird. Aber wie wir an den Spiegel-Artikel sehen, ist nicht nur der „gemeine Bundesbürger“ vom Virus der Einfachheit befallen, sondern auch so genannte „Qualitäts-Journalisten“, die es eigentlich besser wissen müssten – wissen könnten, denn immerhin habe sie doch mal gelernt, wie man richtig Recherche betreibt.
Bleiben wir doch gerade mal beim „Spiegel“. In einem schönen Rückblick auf das Jahr 2007 im Rahmen des „Scheibenwischer“, der Satire-Sendung der ARD, nimmt auch Hagen Rether das Nachrichtenmagazin aufs Korn. Seine Rede kann man bei „Boje online“ komplett anschauen: „Komplett Paranoid – Spalten statt versöhnen„. Ihm fällt auf, wie der „Spiegel“ immer dringlicher vor der Gefahr des „Islam“ warnt – des „Islam“ wohlgemerkt, nicht des „Islamismus“. Die ganze Religion wird aufgrund einiger Fundamentalisten in Sippenhaft genommen. Und er empfiehlt Günter Wallraff, der den Plan hatte, die „Satanischen Verse“ in einer Moschee vorzulesen, doch stattdessen lieber „Das Leben des Brian“ im Kölner Dom vorzuführen, wenn er unbedingt mit Fundamentalisten in Kontakt kommen möchte. Übrigens, ganz interessant in dem Zusammenhang ist ein Satz, der in dem „Spiegel“-Artikel über die Arbeitsbeschaffer-Doku-Soap steht: die Doku-Soaps, ganz besonders die „Super-Nanny“, so lesen wir mit erstaunten Blick, seien (Zitat) „auf Augenhöhe mit der gesellschaftlichen Desintegration – ganz anders etwa als das ach so kritische linke Kabarett eines Urban Priol oder Hagen Rether, das ressentimentgeladen vor sich hin klimpert.“ Der Hinweis hat in dem Artikel eigentlich nichts verloren, das eine sind Doku-Soaps, das andere Satire; Äpfel und Birnen – ob da wohl jemand eingeschnappt ist?

In seiner aktuellen Ausgabe haut ausgerechnet das Nachrichtenmagazin noch tiefer in die Kerbe des Populisms und verdingt sich als Steigbügelhalter des wahlkämpfenden Roland Koch: „Junge Männer: Die gefährlichste Spezies der Welt“, die durch eine „Migration der Gewalt“ zu uns kämen. Sehr schöne Kommentare dazu gibt es bei Chat Atkins (kurz, aber auf den Punkt!) und bei Feynsinn. Und wie man die Angst von den Ausländern so richtig schürt, hat ja die Bild-Zeitung vorgemacht, wie das BILDBlog berichtet.

Und das Resultat?

Einfache Lösungen für komplexe Probleme. Roland Koch hat es in seinem Wahlkampf als Paradebeispiel vorgemacht. Nicht nur, dass er ein Thema erhebt, von dem nicht ganz klar ist, ob es überhaupt ein Thema ist (die Statistiken sprechen nämlich keine eindeutige Sprache, was die Zu- oder Abnahme von Straftaten krimineller Ausländer betrifft – Update: das BILDBlog nimmt hierzu auch den „Report über kriminelle Ausländer“ auseinander: „Alle Kriminellen sind Ausländer, fast überall„, und auch der Blick, den die Tagesschau auf die Statistik wirft, bringt weniger Sensationelles denn Ernüchterndes zutage: tagesschau.de), er präsentiert auch noch die berühmte einfache Lösung: Das Jugendstrafrecht verschärfen (denn das Strafrecht für ausländische Jugendliche darf ja nun mal nicht explizit verschärft werden, wenn schon, dann trifft es alle). Problem gelöst. Hurra. Juhu. Wäre ja auch viel zu kompliziert, sich damit zu beschäftigen, warum Jugendliche zu Straftätern werden. Und noch komplizierter, auf dieser Basis eine Lösung zu erarbeiten. Und das Allerkomplizierteste wäre es, das den Wählern in maximal fünf Sätzen zu erklären. Also doch lieber Parolen, die mich sehr stark an die Schlussworte des satirischen Sketches „Der Tschusch“ von Lukas Resitarits erinnern: „Ausländer raus – aus [dem Inland*]! Ausländer raus – aus Europa! Ausländer raus… aus dem Ausland!“ Und da haben wir ein schwerwiegendes Problem: Solchen Parolen folgt meist sehr schnell der Ruf nach einem „starken Mann“ in der Politik.

In der „Süddeutschen Zeitung“ erschien zum Thema ein Kommentar zum Thema des verschärften Jugendstrafrechts, in dem darauf aufmerksam gemacht wird, dass das Jugendstrafrecht bereits vorbildlich sei, aber dass auch und gerade in Hessen die Mittel zur Durchführung dieses Strafrechts zusammengestrichen wurden. Mit anderen Worten: Koch macht die adäquate Anwendung geltenden Rechts schwierig bis fast nicht möglich – und fordert daher ein schärferes. Eine Logik, die nicht einleuchtet (mehr dazu hier).

So, nun haben wir schon ein großes Stück dieses Knäuels entwirrt. Tatsächlich, wie der Spruch sagt, den ich an den Anfang stellt, muss man den Faden geduldig entwirren. Sonst reißt er. Leider geben sich sehr viele Menschen damit zufrieden, die einfachen Lösungen zu hören. In der Diskussion zu dem Kommentar in der „Süddeutschen“ beispielsweise beruft sich ein Diskussionsteilnehmer mit einem Gegenargument ausgerechnet auf die Bild-Zeitung, deren Zahlen das BILDBlog (Link siehe weiter oben) schon widerlegt hat. Aber ist das denn immer so? Nein. Scheinbar handelt es sich um ein selektives Phänomen, denn ich habe auch Gegenbeispiele ausgemacht, die aber deswegen nicht unbedingt positiv sein müssen. Mehr oder weniger Zufällig stieß ich auf eine Blogdiskussion um das Nichtraucher-Schutzgesetz. Und wo sonst die Affinität zu einfachen Lösungen vorhanden war, war hier das exakte Gegenteil der Fall. Alles, was als Argument für einen Nichtraucher-Schutz gebraucht wurde, wurde zutiefst in Zweifel gezogen und teilweise negiert, zum Beispiel den Zusammenhang zwischen einem erhöhten Krebsrisiko und dem Rauchen. Teilweise erschienen mir die Argumente geradezu grotesk, als es zum Beispiel hieß, die Sozialkassen würden es ja gar nicht aushalten, wenn alle auf einmal mit dem Rauchen aufhörten, weil die ehemaligen Raucher dann eine höhere Lebenserwartung hätten und somit länger Rente beziehen würden (und in der längeren Zeit auch mehr den Krankenkassen auf der Tasche lägen). Anstatt zu vereinfachen wurde hier das Hinterfragen auf die Spitze getrieben und Argumente am Haar herbei gezogen, das niemals dünner war**. In Schopenhauer’sche Höhen glitt die Diskussion schließlich ab, als einem Nichtraucher mitgeteilt wurde, „Du verstehst es nicht und wirst es nie verstehen“ – nämlich, warum Rauchen ein Genuss sei.

Puh – so langsam nähern wir uns dem Kern des Knäuels, denn gerade ist ein wichtiger Name gefallen: Schopenhauer, genauer gesagt, Arthur Schopenhauer (1788 – 1860), Philosoph und Verfasser etlicher Werke über die Menschen und ihren Umgang miteinander. Dazu gehört eine Schrift, die den Titel „Eristische Dialektik oder Die Kunst, Recht zu behalten“ trägt. Gleich im ersten Satz stellt Schopenhauer klar, was „Eristische Dialektik“ ist, nämlich die Kunst, so zu diskutieren, dass man am Ende Recht behält, ganz egal, ob man wirklich Recht hat oder nicht. Einer meiner beiden Lieblingsautoren mit dem Namen „Adams“, nämlich Douglas Adams, umschreibt das in einem seiner Bücher sehr schön mit „einem (…) Esel alle vier Beine wegdiskutieren“. Schopenhauer zeigt in seiner Schrift 38 Kunstgriffe, mit denen man jede Diskussion gewinnen könne, und hier treffen alle Fäden, die ich versucht habe, mit diesem Beitrag zu entwirren, aufeinander. Denn daran kranken viele Diskussionen, die derzeit geführt werden: jeder will uneingeschränkt Recht behalten. Gerade Politiker – und im verstärkten Maße auch Journalisten – scheinen die Eristik mit der Muttermilch aufgesogen zu haben. Einen Politiker ernsthaft zuzuhören, ist sehr anstrengend, vor allem, wenn jener so tut, als würde er eine Frage beantworten. Auf Argumente der Gegenseite wird nicht oder nur verfälscht eingegangen, indem dem Gegner einfach Aussagen unterstellt werden, die man bequem widerlegen kann oder die Argumente vereinfacht – Kuckuck, da sind wir wieder. Und Recht geben kann man dem Gegner schon gleich gar nicht, denn das könnte einem ja als Schwäche unterstellt werden. Ein Meister der Eristik ist übrigens Wolfgang Schäuble. Frech behauptete der, die Vorratsdatenspeicherung habe zur Ermittlung zweier Gewalttäter geführt, die in der Münchner U-Bahn einen Mann zusammenschlagen hatten – dabei war das Gesetz zu dem Zeitpunkt noch gar nicht Kraft. Er ist also zum rechten Zeitpunkt auf den „Gewaltkriminalitätszug“ aufgesprungen, den sein Kollege Koch in Hessen eiligst aus dem Bahnhof gewunken hatte. Genauso frech drehte Schäuble eine Demonstration gegen seine Datensammelwut bei einer Parteiveranstaltung argumentativ um, indem er den Besuchern der Veranstaltung versprach, sie können trotz der Demonstration sicher nach Hause gehen, weil ja so viele Polizisten da seien und sie beschützten (siehe Artikel bei Heise Online).

Das Problem ist also ein grundlegendes, das besonders zu Wahlkampfzeiten noch verstärkt wird (siehe Beispiel Koch). Was kann man dagegen tun? Natürlich gibt es dafür auch keine einfache Lösung, auch wenn man sie in einem vermeintlich einfachen Satz zusammenfassen kann: die graue Masse benutzen, die sich im Innern der Schädelhöhle verbirgt und die man gemeinhin „Gehirn“ nennt. Und man kann sie sehr gut benutzen. Zum Beispiel, indem man versucht, durch die Strukturen zu blicken und sich nicht mit einfachen Lösungen, die irgendjemand vorschlägt, zufrieden gibt. Oder zum Beispiel, indem man bessere Diskussionen führt. Harte Diskussionen und Streitgespräche sind gut und notwendig, aber sie müssen sachlich bleiben und dürfen nicht persönlich werden. Vor allen Dingen: Vereinfachungen vermeiden. Das ist sehr schwer, das weiß ich aus eigener Erfahrung, aber nur so kann das letztliche Ergebnis einigermaßen vernünftig werden. Beispielsweise war in den letzten Tagen mal wieder die Diskussion „Journalisten contra Blogger“ losgebrochen (von mir hier kurz angeschnitten). Hier könnte man beispielsweise beginnen, indem man eines ein für allemal festlegt: Es gibt nicht „die Journalisten“ und es gibt nicht „die Blogger“. Damit wäre eine Vereinfachung schon mal ausgeräumt. Vielleicht kann man von da aus ja weitermachen.

Das Leben ist nun mal kompliziert. Woher aber kommt dann dieser Hang, ja, diese Sehnsucht nach einfachen Lösungen? Die ist leider eine Nebenwirkung unserer Intelligenz. Wenn wir vor einem Problem stehen, fängt es in unserem Gehirn an zu arbeiten. Es wird eine ganze Menge von Lösungsmöglichkeiten erarbeitet, gegeneinander abgewogen, schließlich wird aus bestimmten Gründen eine Lösung ausgewählt, die mit äußeren Eindrücken übereinzustimmen scheint. Diese eine Lösung wird dann im Gedächtnis verankert. Dieses Verankern löst eine Ausschüttung von Dopaminen aus, die ein inneres Glücksgefühl erzeugen. Heurka!, ruft unsere innere Stimme, Ich habe es erkannt!

Dummerweise ist der Mensch in der Lage, dieses eigentlich recht funktionale System auszuhebeln. Anstatt sich lange mit dem Abwägungsprozess aufzuhalten, nehmen Menschen gerne die Abkürzung, denn um die Dopamin-Ausschüttung auszulösen, reicht es bereits, zu glauben, man habe die richtige Lösung gefunden. Warum also sich lange mit Nachdenken aufhalten?

Jugendstrafrecht verschärfen, um Jugendkriminalität einzudämmen. Ist ja klar, Strafe schreckt ab. [Zisch! Die Dopamin-Ausschüttung beginnt!] Aaaahhhh… nicht mehr nachdenken, ich habe es ja bereits erkannt.

Ja, selbst die Tatsache, in einer Diskussion zu gewinnen (oder das Gefühl zu haben, man hätte gewonnen), egal, ob man nun in der Sache Recht hat oder nicht, führt zu der Dopamin-Ausschüttung. Das erklärt die Härte, mit der manche Diskussionen geführt werden, denn keiner will um das Gefühl des Glücksrauschs des Sieges beraubt werden.

Erschreckenderweise ist dem Gehirn, wenn es um seine Dopamin-Droge geht, kein Argument zu dumm. Und gerade wenn man einen Schuldigen hat, läuft der Mechanismus besonders gut. Daher funktionieren solche plumpen Vereinfachungen wie „Arbeitslose wollen nicht arbeiten“, „Ausländer sind kriminell“ oder „Wer nichts zu verbergen hat, braucht vor der Vorratsdatenspeicherung keine Angst haben“ so wunderbar gut, genauso wie „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns“, damit verbunden ist natürlich das Gefühl, man selbst stehe auf der „richtigen“ Seite. Mit komplizierteren Gegenargumenten gibt man sich da nicht so gern ab. Ausgerechnet das System, das uns die Evolution geschenkt hat, damit wir besser lernen können, hält uns vom Lernen ab. Das müssen wir im Kopf behalten. Denn es gibt keine einfachen Lösungen…

Ach ja, man erwartet von mir ja noch eine Lösung, wie ich sie oben angekündigt habe. Nun, ich habe hier die Patentlösung schlechthin, wie man die Arbeitslosigkeit in Deutschland abschaffen kann. Die Lösung lautet:

Die Firmen in Deutschland müssen einfach mehr Leute einstellen!

Applaus! [Zisch! Die Dopamin-Ausschüttung beginnt!] Aaaahh… ich bin ja so genial. Und es ist so… herrlich einfach.

* = Anmerkung: Der Originaltext von Lukas Resitarits lautet „Ausländer raus – aus Österreich!“, was natürlich damit zusammenhängt, dass Resitarits Österreicher ist und in dem Sketch Ausländerfeindlichkeit in Wien verarbeitet. Ich habe mir erlaubt, den Text ein wenig zu ändern, damit er zur Situation passt.

** = Zitat aus dem Lied „Die Geschichte“ von der EAV.

„Gib mir den Ring!“ – Tendenzielle Berichte, Vorratsdatenspeicherung und Klimaschutz

„Gandalf, Elrond – all diese Leute haben Dir das beigebracht. Für sie selbst mag es richtig sein. Diese Elben und Halbelben und Zauberer würden vielleicht zu Schaden kommen. Indes bin ich mir of im Zweifel, ob sie eigentlich weise sind oder bloß zaghaft. Doch jeder nach seiner Art. Aufrechte Menschen lassen sich nicht verführen. Wir in Minas Tirith sind in langen Jahren der Prüfung standhaft geblieben. Wir trachten nicht nach der Macht von Zauberern, sonder nur nach Stärke, um uns zu verteidigen, Stärke für eine gerechte Sache. Und siehe da! In unserer Not bringt der Zufall den Ring der Macht ans Licht. Es ist ein Geschenk, sage ich; ein Geschenk für die Feinde von Mordor. Es ist Wahnsinn, ihn nicht zu gebrauchen, die Macht des Feindes nicht gegen den Feind zu gebrauchen. Die Furchtlosen, die Mitleidlosen allein werden den Sieg erringen. (…) Wie ich die Heere von Mordor zurücktreiben wollte und wie sich alle Männer unter mein Banner scharen würden!“
(Boromir von Gondor zu Frodo in „Der Herr der Ringe, Band 1: Die Gefährten“)

In einem anderen Bericht in diesem Blog habe ich schon einmal über Tolkiens „Herrn der Ringe“ geschrieben und darüber, was in diesem modernen Mythos steckt (siehe hier). Tolkien hat viel in das Konzept des „Einen Ringes“ gesteckt, so dass es zugleich komplex und doch auf den Punkt gebracht ist. Eine einfache Gleichsetzung, etwa dass der Ring ein Symbol für die Atomkraft und ihre Gefahren ist, wird dem nicht gerecht. In meinem vorigen Beitrag habe ich versucht, das Konzept mit „Möglichkeit, einen einfachen Weg zum Ziel zu gehen“ zu umschreiben, denn „Macht“ klingt immer gleich sehr hochtrabend. In diesem Beitrag habe ich drei aktuellere Beispiele zusammengetragen, in der es genau um dieses Thema, das der „Eine Ring“ in sich vereinigt, geht.

Wie ist das noch gleich mit den Magazinen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, die kritisch nachfragen und Recherche betreiben? Sie haben einen gewissen „Glaubwürdigkeitsbonus“. Man erwartet von ihnen, dass Beiträge, die in diesen Magazinen ausgestrahlt werden, belegbare Aussagen enthalten, objektiv und nicht manipulativ sind. Nun hat ein junger Mensch einen Beitrag bei YouTube eingestellt, in dem er die Berichte dreier solcher Magazine kritisch auseinandernimmt (siehe hier). Das Thema sind die immer wieder beliebten „Killerspiele“ und ein mögliches Verbot von ihnen. Alle drei Berichte sind überaus kritisch. Nun, das kann man bei diesem Thema sicher sein. Allerdings bedienen sich die Reporter dabei Mittel, die man zumindest als „grenzwertig“ einstufen kann. Sie dramatisieren, stellen Behauptungen auf und an einer Stelle wird gar das Lachen eines Spielers in einen Bericht eingefügt, so dass der Eindruck entsteht, dieser Spiele freue sich über das Töten einer Spielfigur. An anderer Stelle kommt ein Experte zu Wort, der nach dem Inhalt von „World Of Warcraft“ gefragt wird – und ein Militärspiel beschreibt, während „WoW“ ja eigentlich ein Fantasy-Spiel ist. Auch wird nicht ganz klar, worum es den Berichten eigentlich geht. Einerseits wird über so genannte „Ego-Shooter“ hergezogen, dann aber kommen Spiele wie „World Of Warcraft“ mit dazu. In einer Stellungnahme meint einer der verantwortlichen Redakteure, es wäre in dem Bericht um „Metzelspiele“ im Allgemeinen gegangen. [Schriftlicher Beitrag zu dem Video hier, Stellungnahme zu dem Video vom Redakteur von „Frontal 21“ hier, Kommentar und Diskussion im Blog von Stefan Niggemeier hier]
Wo liegt hierbei die Parallele zum Ring? Nun, den Beiträgen ist deutlich anzumerken, worum es den „Machern“ ging: um eine Diskussion über – wie sie es nennen – „Metzelspiele“. Und tatsächlich kann man sich bei manchen der Spiele wirklich die Frage stellen, ob die explizite Darstellung von Gewalt so sein muss. Aber die Macher gehen einen Schritt zu weit, denn man kann die Beiträge stärken, indem man trickst. Mit Verweisen auf Amokläufer, die angeblich das Zielen mit Hilfe solcher Spiele geübt haben, mit Bildern von Spielern, die sich angeblich über das Gemetzel freuen, soll der Zuschauer in eine bestimmte Richtung gebracht werden. Anstatt sich die Mühe zu machen, mit differenzierten Argumenten zu arbeiten, die es sicher gäbe, geht man den leichten Weg, Stimmung zu machen. Das Problem liegt hier im Kern der Sache: Die Diskussion über die Folgen – oder auch den (vermeintlich) großen Erfolg – von „Killer-“ oder „Metzelspielen“ kann sehr schnell ausarten und zu einer Diskussion über die Gesellschaft im Allgemeinen werden. Sowas passt aber schlecht in einen Magazinbericht, der maximal sechs bis zehn Minuten lang sein darf.
Dass man mit Tricks arbeitet, macht den Verantwortlichen aber kein schlechtes Gewissen, im Gegenteil: Beispielsweise werden die Einwände um das in den Beitrag eingeschobene vermeintliche Lächeln eines Spielers über die Metzeleien von der Redaktion abgelehnt mit den Hinweis, dergleichen sei „üblich“. Frei nach dem Motto, „wir dürfen das machen, denn wir sind ja die Guten“. Oder um es mit den Worten aus dem „Herrn der Ringe“ zu sagen: „Für eine gerechte Sache.“

Bleiben wir gleich bei dem Spruch von der „gerechten Sache“, denn das zweite Beispiel dreht sich um die vor kurzem von unseren „Volksvertretern“ beschlossene Vorratsdatenspeicherung. Angeblich ging es ja am Anfang mal um Terroristen, die man so besser aufspüren könne. Doch inzwischen haben die Bundesländer angemeldet, sie hätten auch gern Zugriff auf die Daten. Ach ja, und wo wir gerade dabei sind… Raubkopierer könnte man doch auch mit diesen Daten ausfindig machen…
Und wieder kein schlechtes Gewissen. In einer Diktatur, ja, da wäre so ein Mittel gefährlich, aber wir, wir sind doch die Guten, nicht wahr?
Mehr möchte ich dazu nicht verlieren, da gibt es einen ganz anderen Beitrag, der das ganze gut auf den Punkt bringt, beim Spiegelfechter (siehe hier).

Auch das dritte Beispiel handelt von der „gerechten Sache“, die etwas rechtfertigt: Seit einiger Zeit kooperieren der „World Wide Fund for Nature“ („WWF“), BUND und Greenpeace mit der „Bild“-Zeitung. Die Umwelt-Organisationen erhoffen sich dadurch, Menschen zu erreichen, die sie sonst nicht erreichen könnten. Ein „Highlight“ – im wahrsten Sinne des Wortes – dieser Zusammenarbeit ist die demnächst stattfindende Aktion „Licht aus! Für unser Klima“, bei der man für fünf Minuten alle Lichter ausmachen soll, um dem in Bali stattfindenden Klimagipfel ein Zeichen zu senden (Stefan Niggemeier nimmt das zum Anlass, hier seine Fördermitgliedschaft bei Greenpeace zu kündigen, und hier stellt er die – berechtigte – Frage, ob eine Zeitung, deren Chef die Bemühungen um das Klima eher als Hysterie einschätzt, der richtige Partner ist).
Das BILDBlog hat die teils merkwürdigen Ansichten der „Bild“ über Klimaschutz dokumentiert (unter anderem hier), und daher gibt es nicht ganz unberechtigt Stimmen von Aktivisten, die die Glaubwürdigkeit der Umwelt-Verbände in Gefahr sehen (Bericht siehe hier).

Der Eine Ring begegnet uns immer wieder. Die Sängerin Heather Alexander sagt auf der Bühne im Vorwort zu ihrem Lied „The Golden Ring„, dass es eine Seite in jedem von uns gibt, die auf die Versuchungen des Ringes anspricht. Wir reden nicht gerne darüber, aber es gibt sie. Denn es gibt in jedem das Drängen, den einfachen Weg zu beschreiten. Das gilt für die großen Dinge genauso wie für die kleinen Dinge. Die Diskussion um „Metzelspiele“ mag notwendig sein – muss sie aber deswegen dramatisiert werden? Ist die Vorratsdatenspeicherung wirklich notwendig, wie manche Politiker immer wieder behaupten? Brauchen die Umweltverbände diese Aktionen? Um welchen Preis erkauft man sich das Ziel, das man sich mit seiner Aktion erhofft – die so genannte „gerechte Sache“? Und wie ist es später, beim nächsten Mal? Möglicherweise fällt es einem leichter, wieder den einfachen Weg zu gehen. Daraus entwickelt sich dann eine scheinbar einfache Sache, eine harmlose Angewohnheit, die einem leicht fällt…

…so leicht, wie sich einen goldenen Ring an den Finger zu stecken…

Update: Bei Stefan Niggemeier kann man nachlesen, dass die Kooperation von Greenpeace unter anderem auch einen eigenen prominenten Mitstreiter gekostet hat – Klaus Staeck, Grafiker und Verleger kehrt der Organisation den Rücken. Mehr und genaueres steht hier.